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Festschrift der Helmholtz-Gemeinschaft

43 Die Promotoren mögen auch diesen systemischen Wandel der Großforschung im Sinn gehabt haben, als sie Mitte der 1990er Jahre die Helmholtz-Gemeinschaft auf den Weg brachten. Im Vordergrund stand dabei freilich eine wissenschaftspolitische Argumentation: Der Rekurs auf die Größe als Konstituens von Großforschung drohte insbesondere in Zeiten des knappen Geldes die Mitgliedseinrichtungen der Gemeinschaft in eine Budgetkrise zu stürzen. Allzu häufig hatten sie erlebt, dass die staatlichen Zuwendungsgeber vor allem bei der Großfor- schung den Rotstift ansetzten, wenn es darum ging, Mittel ein- zusparen. Umso mehr galt es, „das Odium der Größe“ loszuwer- den, wie Wolfgang Frühwald dies bereits 1995 beim Festakt der Helmholtz-Gemeinschaft formuliert hatte.115 Anstelle der Größe trat nun die Vernetzung als bestimmendes Merkmal der Helmholtz-Gemeinschaft. Ob intendiert oder nicht: Mit der Helmholtz-Gemeinschaft hat die Großforschung in Deutschland die epistemische Transformation der Forschung aufgenommen und institutionell umgesetzt. Heute bereitet sich die Gemeinschaft auf eine Zukunft des deut- schen Wissenschafts- und Innovationssystems vor, das nach dem Auslaufen der Exzellenzinitiative und des Pakts für For- schung und Innovation einem intensivierten Wettbewerb um Ressourcen unterworfen sein wird. Die Helmholtz-Führung hat in ihrem Strategiepapier „Helmholtz 2020“ proaktiv Perspekti- ven für die Weiterentwicklung ihres eigenen Profils und Port- folios sowie auch des nationalen Wissenschaftssystems generell entwickelt. Das instruktive, jedoch aus Kreisen der Universitäten ob eines vermeintlichen Führungsanspruchs der Helmholtz- Gemeinschaft kritisierte Strategiepapier zeigt eine Fülle sowohl von wissenschaftlichen und technischen als auch von institu- tionellen und gesellschaftlichen Innovationen auf. Umso bemer- kenswerter ist, dass die Helmholtz-Gemeinschaft ihr Alleinstel- lungsmerkmal jedoch primär „im Management, Bau und Betrieb komplexer nationaler und internationaler Forschungsinfrastruk- turen“ und in deren Weiterentwicklung sieht. Auch wenn sie hierbei auf die Perspektive von zunehmend europäisch und damit transnational ausgerichteten Forschungsinfrastrukturen verweist, an deren Spitze sich die Helmholtz-Zentren stellen sollen, fällt doch das hohe Maß an historischer Kontinuität auf. Als vor mittlerweile mehr als einem halben Jahrhundert eine Handvoll von Großforschungseinrichtungen rund um die damals grassierende Atomeuphorie gegründet wurde, verfügten diese über handfeste Großgeräte wie Forschungsreaktoren oder Teilchenbeschleuniger, und ihre Identität speiste sich zum Gut- teil aus der Rolle als Kompetenzträger im Bau und Betrieb solcher komplexer Großgeräte der Forschung. Das aktuelle Ver- ständnis von Forschungsinfrastrukturen mag darüber hinaus- gehen und beispielsweise auch den Betrieb von komplexen Datenbanken beinhalten, und doch macht es sich vor allem am Vorhalten solch aufwendiger Großgeräte fest, deren Bau und Betrieb, Unterhalt und Weiterentwicklung enorme Ressourcen binden. Ob sie will oder nicht: Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren wird ihr historisch gewachsenes Profil als Gemeinschaft von Einrichtungen, an denen Großfor- schung betrieben wird, nicht los – und sie tut gut daran, sich an dieses tief in ihrer Geschichte verankerte Profil immer wieder zu erinnern. Die Autoren Dieter Hoffmann (geb. 1948) ist seit 1995 Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Wissenschafts- geschichte in Berlin, ab 2014 im Ruhestand. Er lehrte zugleich als apl. Professor an der Humboldt-Universität, wo er auch in Physik diplomiert (1972) und mit wissenschaftshistorischen Arbeiten promoviert (1976) und habilitiert (1989) wurde. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Wissenschafts- und Physikge- schichte des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere die Geschichte wissenschaftlicher Institutionen und die wissenschaftshistorische Biogra- fik. Darüber hinaus forscht er zu den gesellschaftlichen Rahmenbedin- gungen wissenschaftlicher Forschung in totalitären Regimen, namentlich während des Dritten Reiches und in der ehemaligen DDR. Anlässlich der Namensgebung der Helmholtz-Gemeinschaft hat er 1996 eine Ausstellung zu Hermann von Helmholtz im Deutschen Museum Bonn kuratiert, die anschließend auch in vielen Forschungszentren der Gemeinschaft gezeigt wurde. Er ist seit 2002 Mitglied der International Academy of the History of Science und seit 2010 der Leopoldina, Nationale Akademie der Wissen- schaften. 2010 wurde er mit der Ehrennadel der Deutschen Physikali- schen Gesellschaft geehrt. Helmuth Trischler (geb. 1958) ist seit 1990 Mitarbeiter des Deutschen Museums in München und seit 1993 in der Museumsleitung für den Bereich Forschung verantwortlich. Daneben leitet er das 2009 gegründete Rachel Carson Center for Environment and Society, ein Käte Hamburger Kolleg des BMBF, und lehrt als apl. Professor für Neuere und Neueste Geschichte sowie Technik- geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er auch promoviert (1986) und habilitiert (1991) wurde. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Wissenschafts-, Technik- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere der vergleichenden Geschichte nationaler Wissenschaftssysteme und Innova- tionskulturen im 20. Jahrhundert. Im Zusammenhang mit seiner Habilita- tion, die sich mit der Geschichte der Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland beschäftigte, war er an der Wende zu den 1990er Jahren leitend am großangelegten Forschungsprojekt zur Geschichte der deut- schen Großforschungseinrichtungen beteiligt. Sein 2014 erschienenes Buch „Building Europe on Expertise. Innovators, Organizers, Networkers“ wurde mit dem Freeman Award der European Society for the Study of Science and Technology ausgezeichnet.

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