16 der Forschungsergebnisse auf Messen und die Spitzengesprä- che zwischen Industrie und Großforschung zur Abstimmung der jeweiligen Aktivitäten sind in diesem Kontext zu sehen.22 Nicht nur die Industrie, auch der Staat monierte immer wieder die mangelnde Flexibilität der Großforschung. Allerdings war das Tempo der Veränderungen der politisch-programmatischen Kon- zepte hoch. In der Ära Brandt (1969–1974) waren Forschungen zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Verhinderung sozi- aler und ökologischer Konsequenzen des industriellen Wachs- tums gefragt. Es folgte eine Phase, in der Forschung als wirt- schaftliche Strukturpolitik definiert wurde. Die Großforschung wurde für allgemeinpolitische Ziele instrumentalisiert, was sich unter anderem in der Übernahme einer Vielzahl von Projektträ- gerschaften niederschlug. Nach der politischen „Wende“ in den frühen 1980er Jahren sollte sich die Forschung wieder vermehrt an den unmittelbaren Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren. Dabei wurden aus Kreisen der Wirtschaft zuweilen sogar Forde- rungen laut, die Großforschung zur verlängerten Werkbank der Industrie zu machen, was indes in trauter Eintracht sowohl von der Wissenschaft als auch von politischer Seite als ein allzu dreistes Ansinnen zurückgewiesen wurde. Der Aufstieg neuer Forschungsfelder in den 1970er und 1980er Jahren schlug sich kaum in der Gründung weiterer Großfor- schungszentren nieder: die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF, 1976) in Braunschweig und das Alfred-Wegener- Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI, 1980) in Bremer- haven sind die Ausnahme. Vielmehr sticht die Diversifizierung der etablierten Einrichtungen ins Auge. Mit Ausnahme der grundlagenorientierten, in ihrem Aufgabenbereich fest umrisse- nen Zentren DESY, HMI und IPP übernahm die Großforschung in Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel weitere For- schungsaufgaben: neue Materialien, Gesundheit, Klima und Umwelt, alternative Energien, Sicherheit und Verkehr, Bio- und Gentechnologie sowie Lebenswissenschaften, Informations- und Kommunikationstechnik sind die Felder, in die sich die Zentren – nicht selten in völliger Ablösung von ihrer noch im Gesellschaftsnamen verankerten Gründungsidee – hineinbe- gaben. Nicht wenige Großforschungszentren drohten als „Gemischtwarenläden“ jedes Profil zu verlieren, eine Tendenz, der sie zum Ende der 1980er Jahre durch die Bildung von Arbeitsschwerpunkten wieder entgegenzusteuern versuchten.23 Auf einigen Feldern der Großforschung sah sich nicht einmal mehr der Bund in der Lage, die riesigen Kosten der Forschung zu schultern; hier war Europa gefragt. Der Beschluss der führen- den westeuropäischen Staaten, 1954 in der Nähe von Genf mit dem Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) in Meyrin bei Genf ein gemeinsames Zentrum für Kern- und Elementarteilchenforschung aufzubauen, markiert den Beginn des Europas der Forschung. Aus der Retrospektive des Histori- kers lässt sich festhalten, dass gerade die staatenübergreifende Kooperation von Wissenschaftlern und Ingenieuren in wissen- schaftlich-technischen Großprojekten das Zusammenwachsen Europas gleichsam aus der europäischen Gesellschaft heraus maßgeblich befördert hat. Diese „verdeckte Integration“ fußte freilich auf einer Kultur europäischer Wissenschaftskooperation, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert zurückreicht.24 Seit seiner Gründung gilt das CERN als Referenz für so gut wie alle Bestrebungen, transnational organisierte Großforschungs- einrichtungen in Europa zu gründen. Als über den nationalen Interessen stehendes, allein den Zielen der Wissenschaft die- nendes Zentrum wird es stets von neuem als Modell interessen- ungebundener Forschung stilisiert. Für Wolfgang Gentner etwa, Das ursprüngliche Hauptgebäude des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeres- forschung in Bremerhaven. Foto: Alfred-Wegener-Institut/M. Buchholz Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, Braunschweig, 1965. Foto: GBF/HZI Die Helmholtz-Gemeinschaft in historischer Perspektive