19 Gesellschaft für Schwerionenforschung: Aufbau des ersten Linearbeschleunigers, der Mitte der 1970er Jahre in Betrieb ging. Foto: GSI/A. Zschau Max-Planck-Gesellschaft und anders als die Fraunhofer-Gesell- schaft (FhG), die über eine eigene Patentstelle verfügte, waren die Großforschungszentren davon betroffen, dass für sie als außeruniversitäre Forschungseinrichtungen weder die Regelun- gen der Hochschulen noch der Industrie adäquate Problemlö- sungen bereitstellten. In den Hochschulen besaß das Personal gemäß Paragraph 42 des Arbeitnehmererfindergesetzes und gestützt auf das grundgesetzlich verbriefte Recht der Wissen- schaftsfreiheit das freie Verfügungsrecht über Erfindungen. In der Industrie dagegen galten Bedingungen, die den Unterneh- men weitgehende Verfügungsrechte sicherten.31 Die Zentren saßen hier gleichsam „zwischen den Stühlen“ und behalfen sich, indem sie sich in Anlehnung an das Arbeitnehmererfindergesetz recht restriktive Regeln gaben.32 Daraufhin bildeten sich in Karlsruhe und Jülich Initiativen der Wissenschaftler, die rekla- mierten, mit den Hochschulen gleichgestellt zu werden. Hier wie vor allem auch bei der Frage, inwieweit die Kernforschungs- einrichtungen eine gemeinsame Patentverwertungsstelle in Form einer GmbH einrichten sollten, bestand intensiver Diskus- sions- und Regulierungsbedarf. Orientierung bot der französi- sche Patentpool Brevatome, in dem sich Nuklearforschungs- einrichtungen und Atomindustrie zusammengeschlossen hatten. Allerdings war eine solch weitgehende Lösung weder in den Mitgliedseinrichtungen des Arbeitsausschusses noch im zustän- digen Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung (BMwF) konsensfähig. Als sich 1965 der Bundesrechnungshof und das Bundesfinanzministerium mit der Forderung einschal- teten, eine gemeinsame Patentverwertungsstelle aufzubauen, gewann das Problem so sehr an Brisanz, dass ein eigener Unter- ausschuss für Patentfragen gebildet wurde. In der Konjunktur- krise 1966/67, die den bundesrepublikanischen Traum von der immerwährenden Prosperität beendete und das „Ende des Booms“ einläutete, gewann die Frage nach dem ökonomischen Nutzen der Großforschung erstmals an Bedeutung.33 Sie sollte für die Großforschung von nun an zu einem ständigen Begleiter werden. Zur gleichen Zeit, im September 1965, benannte sich der Aus- schuss in „Arbeitsausschuß der Kernforschungseinrichtungen“ (AKF) um. Er reagierte damit auf die stete Ausweitung seiner Mitgliedschaft, die seit 1964 auch das DESY und das IPP umfasste. Als 1969 schließlich auch die DFVLR, das DKFZ und die GMD aufgenommen wurden, entfiel die Beschränkung auf die Kernphysik und umfasste mit Ausnahme der erst im Dezem- ber 1969 gegründeten Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) sämtliche Gründungsmitglieder der späteren Arbeits- gemeinschaft der Großforschungseinrichtungen. Allerdings beschränkten sich die Mitglieder nicht auf letztere. Zwar zogen sich die Unternehmen der Kernenergiewirtschaft mehr und mehr aus dem Arbeitsausschuss zurück, doch blieben die uni- versitären Mitglieder, darunter vor allem die kernphysikalischen Hochschulinstitute in München und Frankfurt am Main sowie das Institut für anorganische Chemie und Kernchemie in Mainz, weiterhin aktiv. Bezeichnenderweise war das BMwF seit 1962 ein Dauergast. Die Präsenz seiner Vertreter signalisierte, dass der Staat den Arbeitsausschuss sowohl als informelle Interes- sengruppe als auch als Forum der Mitsprache in Fragen von all- gemeiner forschungspolitischer Relevanz akzeptierte. Im Span- nungsfeld von Ausgrenzungen und Einhegungen war in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ein Zwischenstadium erreicht, das den Weg zur späteren AGF präformierte, aber alternative Wege noch offen ließ. Im Gegenzug zur Integration staatlicher Akteure aber verstärkte sich die Skepsis der Wissenschaft gegenüber dem wachsenden Einfluss des Bundes, als im Verlauf der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zwei Faktoren zusammenkamen, die der Identitäts- bildung der Großforschungszentren „von unten“ die Integration „von oben“ komplementär an die Seite stellten. Erstens baute die Bundesregierung ihre forschungspolitische Machtstellung erheblich aus. Unter der Führung des jungen, dynamischen Ministers Gerhard Stoltenberg zog das BMwF immer mehr Kom- petenzen an sich und drängte mit seinem vergleichsweise großen budgetären Spielraum die Länder ebenso wie die tradi- tionellen Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft an den Rand. In den Fokus rückte dabei insbesondere die Groß- forschung, die einen stets wachsenden Anteil an den Ressour- cen des BMwF absorbierte und sich im Gegenzug zu einer Art forschungspolitischer Hausmacht des Bundes entwickelte. Zwei- tens schwappte, wie oben erwähnt, aus den USA eine Welle der Planung und Steuerung auf die bundesdeutsche Forschung über. Der in Westdeutschland lange Zeit mit nationalsozialisti- scher Diktatur und staatssozialistischer Bürokratie verbun- dene Begriff der Planung wurde positiv umgedeutet und zum Hoffnungsträger für den Übergang in eine neue, zukunftsfähige Gesellschaft, die auf wissenschaftlicher Planung basierte.34