13 Energiewirtschaft als staatlich gelenkter Sektor für diese Orien- tierung. Bald zeigte sich aber, dass sich das Land mit Jülich gewaltig übernommen hatte. Seit Ende der 1950er Jahre steckte die KFA in einer strukturellen Finanzkrise, die sie im November 1961 sogar an den Rand der Zahlungsunfähigkeit führte. Nur durch den Vorgriff auf das nächste Haushaltsjahr konnte der öffentliche Skandal eines Bankrotts vermieden werden. Der Bund musste in die Bresche springen, um die Kernforschung in Nordrhein-Westfalen aus der Krise zu führen, in die sich das Land mit seinen hochfliegenden Plänen selbst hineinmanövriert hatte. Nach langwierigen Verhandlungen überführten Bund und Land Ende des Jahres 1967 die KFA in eine gemeinsame, zunächst paritätisch finanzierte GmbH. Ab 1970 übernahm der Bund drei Viertel und ab 1972 schließlich 90 Prozent des Zuwen- dungsbedarfs. Bonn ging es dabei um eine sinnvolle Arbeits- teilung zwischen Karlsruhe und Jülich. Während Karlsruhe das Brüter-Konzept von Wolf Häfele realisierte, sollte Jülich die Thorium-Hochtemperatur-Reaktorlinie (THTR) des Heisen- berg-Schülers Rudolf Schulten verfolgen.18 Erst als in den 1970er Jahren mit dem Schnellen Brüter und dem THTR die beiden Flaggschiffe bundesdeutscher Reaktorforschung Schiffbruch erlitten, gewann Jülich mit zukunftsorientierten Schwerpunkten wie der Festkörper- und Hirnforschung ein neues Profil als diver- sifizierte Großforschungseinrichtung. Diese beiden Beispiele der Gründung und Etablierung von Groß- forschungseinrichtungen im Bereich der Kernenergie illustrieren die Verlagerung der politischen Gewichte im föderativen System der Bundesrepublik. Die ersten Initiativen gingen von den Län- dern aus, die sich von der Kernenergie eine langfristige Lösung ihrer Energieprobleme versprachen. Aber die außenpolitische Brisanz und die militärische Relevanz der Nuklearenergie riefen von Beginn an den Bund auf den Plan. In den 1960er Jahren bekamen die Länder dann die finanzielle Wucht der Großfor- schung vollends zu spüren. Kernforschung, die nicht auf grund- legende Erkenntnisse zielte, sondern auf die Entwicklung neuer Reaktorlinien abhob, überforderte die Leistungsfähigkeit der Länder. Selbst das finanzstarke Nordrhein-Westfalen musste vor der Dynamik dieser Großforschung kapitulieren. Die erste Gründungswelle der später als Großforschungsein- richtungen bezeichneten Zentren stand im Zeichen der Atom- euphorie, die in der Bundesrepublik Züge einer säkularisierten Heilserwartung trug: Zwischen 1956 und 1960 wurden neben dem Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) und der KFA die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiff- fahrt (GKSS) in Geesthacht bei Hamburg, das Hahn-Meitner- Institut (HMI) in Berlin, das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg, das (Max-Planck-)Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München und die Gesellschaft für Strahlen- forschung (GSF) in München gegründet. Der Appetit der Kern- physiker nach Großgeräten war schier unersättlich. Die Vielzahl der Einrichtungen spiegelt teils persönliche Rivalitäten und konkurrierende Forschungsansätze in der Scientific Community, teils die Konkurrenz der Bundesländer um die Ansiedlung dieser neuen Hochtechnologie wider. Die Hoffnungen auf die Kern- energie als neue, scheinbar unerschöpfliche Energiequelle schossen ins Kraut; aber sie verflüchtigten sich auch rasch wie- der, wie der baldige Rückzug der Industrie aus der Finanzierung der Nuklearforschung zeigte.19 Werner Heisenberg (Mi.) mit Wolfgang Gentner (re.) und Alexander Hocker bei den Ver- handlungen zur Gründung der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN), 1953. Foto: Archiv MPI für Kernphysik, Heidelberg Blick in die Schaltwarte des Forschungsreaktors FR 2 in Karlsruhe mit dem zentralen Steuerpult (in der Mitte) und den wichtigsten Messinstrumenten an der Wand, 1964. Foto: KIT-Archiv