22 einfacher Mehrheit der Stimmen zu fassen, ging man bereits wenige Monate später zu einer Zweidrittelmehrheit über; und in der Praxis basierte die Verbandsarbeit ohnehin auf dem Kon- sens aller Mitglieder. Das machte es nicht einfach, gemeinsame Linien zu entwickeln. Zweitens: Institutionen handeln üblicherweise auf der Basis von Rahmenrichtlinien, die in einer Satzung kodifiziert sind. Auch die AGF verfügte über eine Satzung, doch nicht lange. Als diese auf ihrer zweiten Mitgliederversammlung im Juni 1970 geändert werden musste, um das neugebildete Direktorium rechtlich zu verankern, kam es zu einer heftigen Diskussion, an deren Ende der Vorstand sich zu der Notmaßnahme gezwungen sah, auf eine Satzung ganz zu verzichten und stattdessen auf der recht- lich weit weniger bindenden Basis einer Geschäftsordnung zu operieren. Drittens: Selbst der auf dem Dobel erzielte Grundkonsens über den Charakter der Arbeitsgemeinschaft als Interessenverband zur Wahrung und zum Ausbau der Unabhängigkeit seiner Mitglie- der wurde bald schon infrage gestellt. DESY-Vorstandsmitglied Heinz Berghaus zog das Dobeler Papier bereits wenige Monate nach der Gründung in Zweifel und griff den AGF-Vorsitzenden Meusel offen an, indem er dessen politische Linie als unnützes „Kraftmeiertum“ kritisierte, das gegen die Geldgeber gerichtet sei, anstatt als deren „Treuhänder“ zu arbeiten.41 Die Anwürfe von Berghaus waren aber nicht der Grund, warum der spiritus rector der Arbeitsgemeinschaft bereits im Frühjahr 1970 als Vorsitzender zurücktrat. Vielmehr war Meusel, der in seinem Hauptamt Geschäftsführer des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik war, der Rücktritt von seinem Arbeitgeber, der Max-Planck-Gesellschaft, nahegelegt worden. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Adolf Butenandt, hatte erst aus der Tagespresse von der AGF-Gründung erfahren und noch dazu, dass deren Geschäftsführung beim IPP lag. Für Butenandt war dies „in höchstem Maße unglücklich und folgenschwer“, befürchtete er doch, das IPP würde aus dem Verbund der MPG herausgelöst werden.42 Butenandts Reaktion zeigt einmal mehr, wie schwer sich die MPG generell mit der Großforschung tat, dies vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass erst wenige Jahre zuvor die mit dem Max-Planck-Institut für Strö- mungsforschung verbundene Aerodynamische Versuchsanstalt von der MPG abgetrennt und in die DFVLR als nationale Großfor- schungseinrichtung für Luft- und Raumfahrtforschung integriert worden war.43 Ähnlich skeptisch betrachtete auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft den homo novus im deutschen Wissen- schaftssystem, der ihr über lange Jahre hinweg suspekt war. Kurzum: Wie bei der zeitlich parallel verlaufenden Reorganisa- tion der Fraunhofer-Gesellschaft zu einer Dachgesellschaft für Vertragsforschung gingen die etablierten Wissenschafts- organisationen auf Distanz zu der neu entstandenen Konkurrenz, zumal sich in dieser Phase ein verschärfter Kampf um ver- knappte staatliche Ressourcen abzuzeichnen begann.44 Schwerer noch wogen die entschiedenen Vorbehalte des Bun- desforschungsministeriums. Leussink betrachtete die AGF als Kampfansage an sein Haus, und seine Ministerialbürokratie, die ebenfalls erst über die Presse von deren Gründung erfahren hatte, wertete sie als unliebsame Intervention, von der wenig Gutes zu erwarten sei. Staatssekretär Hans von Heppe brachte die Haltung seiner Beamten auf den Punkt, dass die AGF zwar die Abstimmung zwischen Forschung und Staat erleichtern, aber „eine Fülle unerfreulicher Begleiterscheinungen mit sich brin- gen“ könne, von denen man „bereits einige Kostproben serviert bekommen“ hätte – er bezog sich dabei auf eine Beschwerde der AGF über die Ankündigung einer „nur“ fünfprozentigen Etat- erhöhung der Kernforschungszentren im Folgejahr 1971.45 Noch dezidierter war die Ablehnung durch das Bundesfinanzressort, das Bundesinnenministerium und den Bundesrechnungshof, die befürchteten, die Arbeitsgemeinschaft werde sich zu einem Gegengewicht zur öffentlichen Hand entwickeln. Der neugeborenen Arbeitsgemeinschaft waren mithin wahrlich keine guten Startvoraussetzungen in die Wiege gelegt worden. Faksimile der auf der Klausurtagung im Januar 1970 verabschiedeten „Dobler Thesen“, die die Grundlage für die Gründung der AGF bildeten. Die Helmholtz-Gemeinschaft in historischer Perspektive