34 einen reinen Interessenverband der einzelnen Zentren hinaus entwickelt und ihre interne Kooperationen und Kohärenz deut- lich verstärkt hatte. Mit der neuen Rechtsform war zudem die Voraussetzung geschaffen, ein grundlegend neues Finanzie- rungsprinzip von Forschung einzuführen, denn nach wie vor war es schwierig bzw. nahezu unmöglich, sowohl intern zwischen den Zentren als auch extern seitens der Zuwendungsgeber For- schungsprioritäten zu setzen. Dieser faktische Verzicht auf eine inhaltliche Prioritätensetzung stellte sich mehr und mehr als das zentrale Entwicklungsproblem der Helmholtz-Gemeinschaft dar. Die triviale, aber praktisch kaum durchsetzbare Lösung des Pro- blems wäre die Neugliederung der Gemeinschaft gewesen, die in ministeriellen Runden wohl diskutiert, aber schnell wieder verworfen wurde. Sie hätte sicher zu erheblichen und unkalku- lierbaren Verwerfungen geführt und wahrscheinlich nur neue starre Strukturen geschaffen.88 Stattdessen wurde ein weniger radikaler Weg begangen, um globale Forschungsprioritäten zu setzen – die programmorientierte Finanzierung bzw. Steuerung der Forschungseinrichtungen. Doch auch hier waren der Eingriff in den Betrieb und die Organisation der Forschung tief, denn mehr oder weniger wurde die gesamte bisherige Forschung auf den Prüfstand gestellt und strategisch-programmatisch neu ausgerichtet. Bei der Programmorientierten Förderung werden innerhalb der Forschungsbereiche Programme aufgestellt, die im Wettbewerb einer externen Begutachtung unterliegen und dann für mehrere Jahre bewilligt werden. Damit wird nicht nur ein wissenschaftlicher Qualitätswettbewerb etabliert, sondern durch die entsprechende Dotierung der Forschungsbereiche erfolgte auch eine Prioritätensetzung. Damit die Programme nicht zum Korsett erstarren, wurden Freiräume von etwa 20 Pro- zent des Budgetvolumens vorgesehen, die für andere zukunfts- trächtige Forschungsthemen verwandt werden können und deren Vergabe allein in der Verantwortung der einzelnen Zentren liegt. „Mehr Flexibilität in der Forschung und weniger Gängelung beim Ressourceneinsatz bei klarer inhaltlicher Prioritätenset- zung“ war nach Maßgabe des Ministeriums und anderer wissen- schaftsleitender Organe das wesentliche Ziel bei der Einführung der Programmorientierten Förderung.89 Es nimmt nicht Wunder, dass dieser tief in die institutionellen Strukturen und die Wissenschaftskultur der Großforschung ein- schneidende Reformschritt gerade auch unter den Mitarbeitern Sorge und Kontroversen auslöste. Viele Wissenschaftler sahen darin weniger einen in die Zukunft weisenden Reformschritt, als vielmehr den Versuch der Bürokratie, die Forschung im Sinne der Administration zu gestalten und wie einen Produktionspro- zess zu organisieren. In diesem Sinne stellte Walter Kröll als Prä- sident der Helmholtz-Gemeinschaft im Jahre 2001 in einer ers- ten Bilanz fest, „dass bis heute viele Mitarbeiter nur zögerlich bereit sind, sich auf dieses neue System einzulassen“.90 Aber auch auf der Leitungsebene wurden Bedenken laut. So wiesen die Wissenschaftlich-Technischen Räte der Gemeinschaft darauf hin, dass damit ihre Einflussmöglichkeiten nachgerade existen- ziell eingeschränkt würden, da die Ressourcen künftig an ihren Mitwirkungsmöglichkeiten vorbei allein durch den Senat zuge- teilt würden. In einer gemeinsamen Stellungnahme warnten sie Ende Oktober 2000, dass die „Effizienz und Freiheit der For- schung“ durch die geplante Einführung der Programmsteuerung massiv gefährdet sei.91 Dazu komplementär forderte eine Stel- lungnahme der Mitgliederversammlung vom Mai 2001, dass „die Selbstorganisation der Wissenschaft für das gesamte Verfahren bis in die Programme hinein gewährleistet sein (müsse). Eine Selbstbeschränkung und Bindung der Zuwendungsgeber hin- sichtlich ihrer Rolle im Verfahren ist unverzichtbar.“92 Als wenig später der Wissenschaftsrat seine lang erwartete Stellungnahme zur Systemevaluation der Helmholtz-Gemein- schaft vorlegte, mochten sich die Skeptiker einer Einführung der Programmorientierten Steuerung bestätigt fühlen. Der Wissen- schaftsrat äußerte die Befürchtung, dass „bei einer inkonse- quenten Umsetzung eine Verbesserung ausbleibt und die auf- wendigeren Verfahren nicht zu rechtfertigen wären“. Sein Anforderungskatalog an die programmbezogene Finanzierung umfasste nicht weniger als zehn Punkte, die erfüllt werden müssten, um der Reform zu einem Erfolg zu verhelfen. Sie reich- ten von höherer Transparenz über eine wachsende Flexibilität der Mittelbewirtschaftung für die Wissenschaft bis zur Einfüh- rung von begleitenden Verfahren der Forschungsprospektion. Letztlich aber stützte der Wissenschaftsrat die mit der Pro- grammsteuerung auf den Weg gebrachten Reformen, versprach er sich doch davon „ein erhebliches Potential, die großen Res- sourcen der Helmholtz-Gemeinschaft noch besser als bislang nutzbar zu machen“.93 Gleichzeitig stellte er aber auch in aller Deutlichkeit fest, dass das „Verfahren einer programmbezoge- nen Finanzierung nur über zuverlässige Strukturen implemen- tierbar sein (wird). Die Aufgaben der Helmholtz-Gemeinschaft liegen hier unter anderem in der Koordination der zentrenüber- greifenden Programmentwicklung und im Controlling.“94 Mit Einführung der Programmorientierten Förderung werden seit 2003 in der Helmholtz-Gemeinschaft nicht mehr einzelne Zen- tren durch einen Globalhaushalt finanziert, sondern inhaltlich definierte Programme, die im Wettbewerb und auf der Basis strategischer Begutachtungen identifiziert werden. Sie erhalten für fünf Jahre finanzielle Planungssicherheit und werden danach evaluiert. Dies schuf die Voraussetzung für eine wesentlich verbesserte und verbreiterte Zusammenarbeit zwischen den ein- zelnen Zentren und über Disziplingrenzen hinweg. Damit konn- ten durch Wettbewerb und Kooperation die Leistungsfähigkeit und Effizienz der Forschung in den Helmholtz-Zentren gesteigert und besser miteinander vernetzt werden. Dass die Programm- orientierte Förderung schließlich und trotz aller im Vorfeld geäu- ßerten Bedenken doch ein Erfolg wurde und ungewöhnlich gut funktioniert, hat natürlich auch damit zu tun, dass die Wissen- schaftler lernten, mit dem neuen Instrumentarium pragmatisch umzugehen und unter dem Label der Programmorientierten Die Helmholtz-Gemeinschaft in historischer Perspektive