41 Helmholtz Perspektiven September – Oktober 2015 PORTRÄT Sternschnuppen zu beobachten, gehörte für Christopher Kyba zu den großen Erlebnissen seiner Kindheit. Abends saß er mit seinen Freunden oder Eltern unter freiem Himmel und wartete gespannt darauf, wo sich der nächste kleine Lichtblitz zeigen würde. Seine Heimat, eine Kleinstadt in der kanadischen Pro- vinz Alberta, bot dafür ganz gute Bedingungen. Man durfte nur nicht Richtung Norden blicken: In 70 Kilometer Entfernung lag die Großstadt Edmonton – und gegen ihren hellen Lichtschein konnten die Sternschnuppen kaum anstrahlen. Das war vor 30 Jahren. Heute weiß man, dass künstliches Licht ein ernstes Problem ist. Vor allem Straßenlaternen, aber auch Häuser, Werbetafeln oder Autos lassen es vielerorts nachts nicht mehr richtig dunkel werden – und dieses Phänomen hat einen Namen: Lichtverschmutzung. „Was Millionen von Jahren den Rhythmus des Lebens bestimmt hat, will seit einigen Jahr- zehnten nicht mehr so richtig funktionieren“, sagt Kyba. Dass die Welt aus diesem Takt geraten ist, bleibe nicht ohne Folgen. „Die Menschen haben zum Beispiel Schlafproble- me“, sagt Kyba. „Künstliches Licht verringert auch den Level des Schlafhormons Melatonin. Es wird vermutet, dass das Brustkrebs bei Frauen verursachen kann.“ Zudem gerate das Leben vieler Tiere durcheinander: Vögel in der Stadt hätten kürzere Ruhezeiten, nachtaktive Tiere verlieren den Schutz der Dunkelheit. Christopher Kyba untersucht am Helmholtz-Zentrum Pots- dam (GFZ), wie das künstliche Licht die Nacht verändert und was man dagegen tun könnte. „Ich möchte mit meiner Arbeit das alltägliche Leben der Menschen besser machen“, erzählt der 36-Jährige. „Ich hoffe, dass wir künftig intelligenter mit Licht umgehen. Ich will verstehen, welchen Einfluss es auf die Ökosysteme hat und wie wir Beleuchtung weltweit optimieren können.“ Das nächtliche Licht sei überdies eine große Energie- verschwendung. „Da haben wir ein riesiges Potenzial, um die Energiewende besser gestalten zu können.“ Künftig könnten Häuser und Büros zum Beispiel mit professionellen Lichtanla- gen ausgestattet werden, die sich dem konkreten Bedarf je nach Tageszeit anpassen. Licht und Energie ließe sich auch mit der modernen LED-Technik sparen – etwa bei Straßenlaternen. Für sein Projekt ist Kyba mit Messgeräten und Kameras an vielen Orten der Welt unterwegs. Er selbst ist auf Messflügen da- bei, zudem nutzt er Fotos von der Internationalen Raumstation ISS und Wettersatelliten. 2013 hat er auch ein Citizen-Science- Projekt gestartet, an dem sich Bürger weltweit beteiligen können. Sie müssen dazu eine App auf ihr Smartphone laden. Auf dem Display können sie dann die Sternbilder für ihren Standort sehen und angeben, welche Sterne davon sie am Himmel erkennen. Je mehr sie sehen, desto dunkler ist es. Mit diesen Daten will Kyba herausfinden, wie sich die Himmelshelligkeit über die Jahre verändert. Seit 2008 lebt Christopher Kyba in Deutschland. Zum Start lernte er gleich die Nöte von Nachwuchswissenschaftlern hier- zulande kennen. „Ich dachte, als Physiker würde ich leicht eine dauerhafte Stelle finden“, sagt er. Zunächst musste er aber seine 10-monatige Elternzeit unfreiwillig um acht Monate verlängern. Seit 2009 hangelt er sich von Vertrag zu Vertrag. „Seit Anfang dieses Jahres habe ich einen Drei-Jahres-Vertrag am GFZ“, sagt er. „Das ist endlich ein etwas längerer Zeitraum zum Arbeiten.“ Hat er es denn bereut, nach Deutschland gekommen zu sein? „Nein, keinen Tag“, sagt der Lichtforscher. „Dafür gab es ja auch noch andere Gründe.“ Nach seinem Studium an der Universität von Alberta war er in die USA nach Philadelphia ge- gangen, um in experimenteller Teilchenphysik zu promovieren. In dieser Zeit lernte er seine heutige Frau kennen, eine Deutsche. Nach der Promotion im Jahr 2006 arbeitete er als Postdoc in der Radiologie – und sollte bald Vater werden. „Das war für uns der Anlass, über einen Umzug nach Deutschland nachzudenken“, erzählt er. „Denn als unsere Tochter unterwegs war, wurde mir klar, dass meine Frau mit ihr irgendwann deutsch sprechen würde.“ Und weil er dabei nicht außen vor sein wollte, zogen die drei in die Heimat dieser Sprache, nach Berlin. Mittlerweile wohnt Christopher Kyba mit seiner Familie in Potsdam. Zu Hause schalten sie das Licht ab, wann immer es geht – oder dimmen es wenigstens. Es gehe aber nicht darum, Licht zu meiden. „Tagsüber brauchen wir Licht“, sagt Kyba. Deshalb ist er auch froh über jeden Einsatz in der Natur. „Das Tageslicht ist um ein Vielfaches heller als jedes künstliche Licht. Deshalb sollte man sich tagsüber möglichst viel draußen aufhalten.“ Das emp- fiehlt er auch seinen Kollegen: „Gerade morgens tut jede Kaffee- pause unter freiem Himmel gut“, sagt er. „Abends aber sollten wir mit der künstlichen Beleuchtung knauserig sein.“ Roland Koch Die Licht-Gestalt Künstliche Beleuchtung in der Nacht bringt Mensch und Tier aus dem Takt. Christopher Kyba erforscht am Helmholtz-Zentrum Potsdam, wie sich dieses Problem entwickelt und was man dagegen tun könnte