22 Helmholtz Perspektiven Juli – August 2015 FORSCHUNG Bis zur Nase hat Michael Naumann seinen warmen Jackenkragen hochgeschlagen. Das Meer ist rau an diesem Januarmorgen, und auf dem hinteren Deck der FS Elisabeth Mann Borgese muss man einen festen Stand haben, um nicht von Wind und See- gang aus dem Gleichgewicht geworfen zu werden. Gespannt warten die Wissenschaftler an Bord des Forschungsschiffs auf die ersten Sedimentproben des Tages. Ein kleines Tauchgerät hat sie auf dem Grund der Ostsee gesammelt. Kaum ist es schwankend wieder an Deck gehoben, werden dem Instrument die schmalen Plastikrohre entnommen, die gefüllt sind mit braun-grauem Schlick. In den schiffseigenen Laboren wollen die Forscher daraus Informationen über geochemische Prozesse und die Schadstoffbelastung gewinnen. Michael Naumann arbeitet am Leibniz- Institut für Ostseeforschung in Warnemünde. Das Leben auf dem Wasser ist für ihn zur Routine geworden: Mit seinen Kollegen fährt er regelmä- ßig auf die Ostsee, um zu untersuchen, wie es um das kleine Meer steht. Denn die Ostsee ist ein Sorgenkind. Dem Binnenmeer geht in den tiefen Bereichen der Sauerstoff aus, weil die zulaufenden Flüsse vermehrt Dünger ins Meer spülen. Dadurch breiten sich Algen immer weiter aus, die irgend- wann absterben und zu Boden sinken. Dort werden sie von Mikroorganismen zersetzt, die dafür viel vom lebenswichtigen Sauerstoff verbrauchen. Für andere Organismen bleibt dann nicht mehr genug übrig. Im vergangenen Dezember gab es jedoch Anlass zur Hoffnung: Sehr viel frisches Salzwas- ser ist über die schmalen Straßen der Beltsee zwischen Dänemark und Schweden, den einzigen Verbindungen der Ostsee zum offenen Meer, eingeströmt und hat viel Sauerstoff mitgeführt. Die Wissenschaftler wollen nun herausfinden, wie es sich in der Ostsee ausbreitet und auf den Lebens- raum auswirkt. Die Elisabeth Mann Borgese, die überwiegend auf der Ostsee unterwegs ist, zählt zu den fünf regional operierenden Schiffen der deutschen Forschungs- flotte: Sie misst 56 Meter und kann bis zu zwei Wo- chen auf dem offenen Meer sein. Unter deutscher Flagge stehen zudem drei große Forschungsschiffe, die weltweit in allen Ozeanen operieren können – die Polarstern, die Meteor und die Sonne. Letztere ist erst im Herbst 2014 in Dienst gegangen und somit das jüngste dieser Schiffe. „Die deutsche Forschungsflotte ist im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt“, sagt der wissenschaftliche Koordinator Rainer Knust vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz- Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Das zeigten allein schon die drei großen Forschungsschiffe, die global operieren: Die Polarstern ist vor allem in den Gewässern der Arktis und Antarktis unterwegs, die Sonne bringt Wissenschaftler in den Pazifik oder den Indischen Ozean und die Meteor fährt vor allem im Atlantik, im Mittelmeer und im Indischen Ozean. „Mit der heutigen Flotte sind unsere Wis- senschaftler in der Lage, die Meere umfassend zu untersuchen“, sagt Klas Lackschewitz vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Auf ihren Expeditionen erkunden die Schiffe die biologischen, physikalischen, geologischen und chemischen Prozesse im Meer. „So können wir zum Beispiel die Folgen des Klimawandels verstehen, Modelle für die nachhaltige Nutzung der Meere entwickeln oder uns besser gegen die Gefahren wappnen, die von ihnen für uns ausge- hen“, sagt Lackschewitz. Und da sei noch viel zu tun. So sei heute noch nicht einmal bekannt, wie viele Tierarten eigentlich in den Meeren leben. Die acht Forschungsschiffe seien längst nicht alle, die zur Aufklärung beitragen. „Zahlreiche kleinere Schiffe, Kutter oder Barkassen Um den Meeren ihre Geheimnisse zu entlocken, sind Forschungsschiffe unentbehrlich. Die deutsche Flotte gilt international als vorbildlich. Doch einige ihrer Exemplare sind mittlerweile in die Jahre gekommen Wissenschaft an Bord