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Helmholtz Perspektiven September – Oktober 2014 22 standPunk tE Seid mutiger! Von gentechnik bis zum Fracking: Bei umstrittenen Forschungsthemen sind hierzulande viele Wissenschaftler auffallend zurückhaltend. Ein kommentar von ralf nestler Der Kampf währte jahrelang, doch sie gaben nicht auf. Entschlos- sen traten sie den Feind mit ihren Füßen nieder, überzogen die Feldherren mit Klagen und Kampagnen. Am Ende siegten die Aktivisten. Seit 2013 gibt es in Deutschland keine Freilandver- suche mit gentechnisch veränderten Pflanzen mehr. Nach zwei Jahrzehnten auf freiem Feld haben sich die Wissenschaftler mit ihrer Saat in Labore und Gewächshäuser zurückgezogen. Wie es aussieht, werden sie dort auch nicht mehr so schnell herauskommen. Längst sind es nicht mehr nur einige Aktivisten, die ihnen die Forschung schwer machen. Es ist schon fast eine Volksweisheit, dass grüne Gentechnik in vielerlei Hin- sicht gefährlich und unbedingt zu ächten ist. Die Politik hat sich dem längst gebeugt, auch Saatguthersteller haben bereits re- agiert und ihre Forschung auf diesem Gebiet ins Ausland verlegt. Dass viele Argumente der Kritiker maßlos übertrieben sind, wissen die Pflanzengenetiker am besten. Umso erstaunlicher ist es, dass sie sich dem Populismus nicht viel entschiedener entgegengestellt haben. Der Siegesjubel der Gentechnikgegner klingt auf jeden Fall umso lauter angesichts des Schweigens der Befürworter. Auch bei anderen Forschungsthemen ist in Deutschland immer wieder eine seltsame Zurückhaltung zu beobachten, obwohl die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überzeugt sind, die richtigen Fragen zu stellen. Zum Beispiel die, wie man neue Gasvorkommen erschließen kann oder wie man Öl umweltschonender als bislang zu Tage fördert. „Lasst bloß die Finger davon!“ schreien ihnen da aufgeregte Bürger und mancher Politiker entgegen – überzeugt, dass fossile Rohstoffe an sich des Teufels sind. Doch was passiert, wenn die Forscher sich an das Tabu halten? Gas und Öl werden anderswo in der Welt auch wei- terhin gefördert, aber wahrscheinlich weniger umweltverträglich. Wenn Wirtschaftsunternehmen sensibel auf Stimmungen reagieren, ist das nachvollziehbar. Sie müssen ihre Produkte ver- kaufen. Wenn aber Institutionen, die sich gern auf Forschungs- freiheit berufen, bei Widerständen vorschnell zurückschrecken, wenn Wissenschaftler sich nicht trauen, laut zu sagen, was sie aufgrund ihrer Forschung für richtig halten, gibt das zu denken. Dass es anders geht, zeigt ein Blick ins Ausland. Engagiert, ja hitzig wird dort über heikle Themen wie Klimawandel, Kern- energie oder die Förderung unkonventioneller Gasvorkommen diskutiert. Auch Wissenschaftler mischen sich immer wieder mit Verve in die Debatten ein, vertreten die unterschiedlichsten Positionen. Davon ist hierzulande wenig zu spüren. Vielmehr ge- winnt man den Eindruck, dass die meisten Forscher „auf Linie“ sind. Unter vier Augen sagen einige zwar schon, was sie denken. In der Zeitung möchten sie das aber lieber nicht lesen. Wie schade, denn den Zeitungen, Magazinen und Sen- dungen täte eine fundierte Widerrede in vielen Fällen gut. Zu oft werden dort vermeintlich endgültige Wahrheiten zementiert statt hinterfragt. Die Folge: Leser und Zuschauer fühlen sich nicht ernst genommen oder gar indoktriniert und wenden sich ab. Es ist das Schlimmste, was Wissenschaftlern und Journalis- ten passieren kann.  Ralf Nestler (36) ist Wissenschaftsredakteur beim Berliner Tagesspiegel

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