Helmholtz Perspektiven September – Oktober 2014 10 titElthEMa die Messergebnisse völlig anders aus. So ist die Luft in Nebenstraßen deutlich weniger belastet als in den befahrenen Straßen. Deshalb schauen sich die Wissenschaftler, wenn sie später die Daten von der Fahrradtour auswerten, oft die Kameraaufzeichnungen an: Auf den Videobildern erkennen sie, woher die erhöhten Konzentrationen stammen – von einem Bus, einer Baustelle, einer Fabrik oder auch einem Raucher, der an der Ampel wartet. „Allzu lange darf man sich die Videos aber nicht ansehen, ohne dass einem schwindlig wird“, sagt von Schneidemesser, „denn die Fahrt ist über weite Strecken recht holprig.“ Die Fahrradmessungen sind nur ein Teil des Pro- jekts, das die Forscher vom IASS gestartet haben. Denn obwohl die Zweirad-Messstation so gut an- kommt, dass sich sogar schon Freiwillige als Fahrer gemeldet haben, kann das Rad nicht alles. Um noch präzisere Daten zu gewinnen, müssten die Radler weitaus mehr in ihren Fahrradtaschen unterbringen als die zweieinhalb Kilogramm schweren Geräte, die sie derzeit dabei haben. Ein Instrument, das zum Beispiel die Anzahl der Partikel, deren Größe und ihre Verteilung misst, wiegt 15 Kilogramm, dazu kommen 25 Kilogramm für die benötigte Pumpe. Zusätzlich braucht das Gerät 300 Watt Strom. Diese größeren Instrumente können nur mit dem Auto transportiert werden. Deswegen sind Christian Ehlers und Dieter Klemp vom Institut für Energie- und Klimaforschung – Troposphäre des Forschungszentrums Jülich in der ersten Augustwoche mit ihrem Messwagen durch Berlin gefahren. „Nach einer Anfrage vom IASS haben wir uns entschlossen, sie im Rahmen einer einwöchigen Messkampagne bei der Analyse der lokalen Luftqualität in Berlin mit unserem Mess- wagen zu unterstützen“, sagt Ehlers. Neben den beiden Helmholtz-Forschern sind etliche Messge- räte an Bord, so dass die relevantesten Luftschad- stoffe untersucht werden können. Ungefähr neun Stunden sind die Wissenschaftler pro Tag in Berlin unterwegs. Mit dem Auto können sie eine große Fläche abdecken. Auch die Straßen rund um die fest installierten Messstationen fahren sie ab. „So können wir feststellen, ob die Messungen tatsäch- lich repräsentativ für die Umgebung sind oder ob es starke lokale Einflüsse gibt“, sagt Ehlers. Der Messwagen ist dabei auch durch den Tiergartentunnel gefahren. Denn der Straßenver- kehr ist eine der größten Emissionsquellen der Stadt. Aber die Wissenschaftler interessieren sich ebenso für biogene Emissionen, also solche, die zum Beispiel von Bäumen ausgehen. Welche Rolle spielen die vielen Grünflächen in Berlin für die Luftqualität? Hier werden auch sekundäre Spurenstoffe wie zum Beispiel Ozon gemessen. Diese entstehen erst durch chemische Prozesse in der Atmosphäre und sind nicht so direkt einer Quelle zuzuordnen wie zum Beispiel Abgase. Alle gewonnenen Daten gehen in komplexe Modelle ein, mit deren Hilfe die Wissenschaftler die Pro- zesse besser verstehen wollen. Daraus können sie im besten Fall auch Aussagen entwickeln, wie die Belastung sich effektiv reduzieren ließe. Die Ergebnisse der Untersuchungen vom IASS und vom Forschungszentrum Jülich dürften auch für die Politik relevant sein, denn die legt fest, welche Stoffe in welcher Konzentration in der Luft sein dürfen. Die Zahl der Tage, an denen die Feinstaubbelastung überschritten werden darf, wurde in Berlin in diesem Jahr bereits im Sommer erreicht. „Die politischen Richtlinien orientieren sich dabei vor allem an der Partikelmasse: Wie viel Feinstaub ist in der Luft?“, sagt Erika von Schneidemesser. „Was wir messen, ist aber nicht nur die Anzahl, sondern auch die Größe.“ Denn nicht alle der Teilchen schaffen es überhaupt in die Lunge des Menschen, wo sie unter Umständen gesundheitliche Schäden verursachen könnten. „Präzisere Daten und ein Wissen über die Zusam- menhänge können dabei helfen, die politischen Entscheidungen über das Stadtbild und die Dort staubt es Die rote Li- nie zeigt die Partikelkonzentra- tion während einer beispielhaf- ten Fahrradtour (graue Linie) durch das Berliner Zentrum am 12. August 2014 zwischen 18 und 20 Uhr. Hohe Werte treten besonders an Kreuzungen bei wartenden und beschleunigen- den Fahrzeugen, zum Beispiel Bussen, und zum Teil an Baustellen auf. Bild: IASS Präzisere daten helfen, politische Entscheidungen über das stadtbild auf eine bessere grundlage zu stellen