3FORSCHUNG Helmholtz Perspektiven März – April 2016 HELMHOLTZ extrem Die produktivste Alge der Arktis Ein echtes Extrem Die Alge Melosira arctica wächst sogar im Eis bei -5 Grad Celsius und stark erhöhter Salzkonzentration – durch ihre Anpassung an die extremen Bedingungen gehört sie zu den extremophilen Organismen. Bild links: Madlen Franze/AWI; Bild rechts: Julian Gutt/AWI Alle Ausgaben von HELMHOLTZ extrem unter: www.helmholtz.de/ extrem Sie ist ein echter Star im arktischen Ozean – die Kieselalge Melosira arctica. Wie kein anderes Lebewesen wächst und gedeiht sie, ob im oder unter dem Eis, in Salzlaken oder Schmelztümpeln. Melosira gehört zu den Einzellern und misst nur 30 Mikrometer – ein menschliches Haar ist beina- he doppelt so dick. Mittlerweile hat der Winzling sogar einen eigenen Fanclub: Die Algenforscher der Deutschen Botanischen Gesellschaft haben Melosira zur Alge des Jahres 2016 gekürt, da sie die wichtigste Art im arktischen Ökosystem ist und viele andere Organismen ernährt. Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz- Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), widmet der kleinen Alge jetzt ein Forschungspro- jekt. Unter anderem soll das Rätsel gelöst werden, wie Melosira die klirrende Kälte und vor allem die lange Dunkelheit im Winter übersteht. Immerhin braucht sie Sonnenlicht, um durch Photosynthese Energie zu gewinnen. Im Frühjahr kommt dann Melosiras große Zeit: Sie vermehrt sich so stark wie kein anderes Lebewesen im arktischen Ozean. Bei ihrer spektakulären Vermehrung reihen sich Abermillionen Melosira-Zellen aneinander und bilden meterlange Ketten oder ganze Teppiche, die an der Unterseite des Eises herabhängen. Die kleine Alge nimmt dabei so viel Kohlenstoffdioxid auf, dass sie bis zu 45 Prozent des gesamten, im eisbedeckten arktischen Ozean gebundenen Koh- lenstoffs trägt. Schmilzt im Sommer das Meereis, sinken die Algenteppiche zum Meeresgrund, wo sie Seegurken und Haarsternen als Nahrung die- nen und letztlich von Bakterien zersetzt werden. Im Labor nutzen die AWI-Forscher die promi- nente Alge, um die Auswirkungen des Klimawan- dels auf das arktische Ökosystem zu untersuchen: Was würde mit Melosira passieren, wenn die Arktis irgendwann eisfrei werden sollte? Über die Dauer von bis zu 150 Algen-Generationen, also etwa über ein Jahr, soll Melosira beweisen, ob sie auch bei höheren Temperaturen oder verändertem Lichteinfall so fortpflanzungsfreudig bleibt. Andreas Fischer