22 STANDPUNKTE Was bringen Schockbilder auf Zigarettenpackungen? Groß prangt auf Zigarettenpackungen die Warnung vor dem Risiko des Rauchens; jetzt lässt die Politik die Texte mit abschreckenden Bildern von Raucherbeinen oder Teerlungen ergänzen. Doch bremsen solche Fotos tatsächlich die Lust auf das Laster? Zwei Blickwinkel „Konsumenten sind weitaus aktiver, gewiefter und subversiver, als ihnen gemeinhin unterstellt wird“, sagt Jürgen Schulz, Professor für Strategische Kommunikationsplanung an der Universität der Künste Berlin W er Warnhinweise und Schockbilder verordnet, will Konsumverhalten beeinflussen und den Verbraucher vor Risiken bewahren. Dahinter steht ein bestimmtes Verständnis vom Rezipienten und dessen Beein- flussung durch Kommunikation. So zeichnen die Gegner kommunikativer Restriktionen das Bild eines souveränen Konsumenten, des „gut informierten und zu selbstbestimmtem Handeln befähigten und mündigen Verbrauchers“, wie er noch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 beschrieben wird. Befürwor- ter sehen den Verbraucher dagegen als naives, manipulierbares Wesen, das vor den geheimen Verführern der Werbung zu schützen sei. Beide Seiten berufen sich auf die Ergebnisse empirischer Untersuchungen, die jeweils die eigene Position stützen. Die Frage nach dem Sinn von Schockbildern wird damit zu einer Frage des Menschenbildes. Während der Konsument in der Tradition der Marketingkommunikation – und inzwischen auch von der Verbraucherschutzpolitik – als Mängel- wesen gesehen wird, dessen natürliche Defizite durch staatliche Institutionen kompensiert werden müssen, verklären ihn Vertreter der Industrie gern zum homo oeconomicus, dem kompetenten und strikt rationalen Nutzenmaximierer. In unserem Forschungsprogramm „Restriktionen von Markenkommunikation zwischen Werbestra- tegie und Konsumentensouveränität“ zeigte sich dagegen, dass gerade jüngere Verbraucher heute entsprechende Intentionen blitzschnell durch- schauen. Das trifft insbesondere für Schockbilder als „Werbung gegen die Werbung“ zu, die bei den Probanden starke Abwehrreaktionen auslösten. Darüber hinaus waren weitere nicht-intendierte Effekte, zum Beispiel Aneignungspraktiken wie die Gestaltung eigener Aufkleber oder Etuis, zu beobachten. So liefert die Studie weitere Indizien dafür, dass den in Wirtschaft und Politik dominie- renden Leitbildern des souveränen beziehungs- weise naiven Konsumenten ein neues, drittes Bild gegenüberzustellen ist – das Bild des aktiven Konsumenten. Auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Ver- braucherverständnis ist also festzuhalten, dass Konsumenten weitaus aktiver, gewiefter und sub- versiver mit den Überzeugungsversuchen beider Seiten umgehen können, als ihnen gemeinhin unterstellt wird. Sie werden auch in Zukunft dem Paradox eines Genussmittels, das vor sich selbst warnt, mit kreativem Ungehorsam begegnen. Helmholtz Perspektiven März – April 2016