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Helmholtz Perspektiven 0216

R und 600 Jahre hatte die eisenhaltige Tinte Zeit, um kleine Löcher in das Papier der alten Handschrift zu knabbern. Jetzt liegt das Buch auf einem Tisch in der Restaurierungs- werkstatt der Staatsbibliothek zu Berlin. Die Schäden sind mit dem bloßen Auge zu erkennen. Hier sollen sie behoben werden. An einem ande- ren Tisch inspiziert Julia Bispinck gerade eine Pergament-Handschrift aus dem Jahr 1415, die der einstigen schottischen Königin Maria von Geldern gehörte. Auf jeder einzelnen Seite des Werks ist die sorgfältige Handschrift von aufwendigen Ornamenten umrundet. Die Farben glänzen noch immer, die Buchstaben sind noch immer genau zu erkennen. Doch dem gleißend hellen Licht und der starken Lupe entgeht nichts: Der Blick der Ex- pertin bringt feine Risse in den kleinen Malereien und winzige Brüche im Papier zu Tage. „Das sind bereits ernsthafte Schäden“, sagt Julia Bispinck, die die Restaurierungswerkstatt der Staatsbibliothek zu Berlin leitet. „Gut, dass wir das Buch jetzt bei uns haben, so können wir verhindern, dass sie sich verschlimmern.“ Die Restauratoren bilanzieren die Beschädigungen, beheben sie sorgfältig und dokumentieren, was sie getan haben. Insgesamt zwölf Mitarbeiter hat Bispinck dafür in ihrem Team. Doch das reicht bei Weitem nicht aus. „Wir haben mehrere tausend Handschriften, die wir restaurieren müssten“, sagt die Expertin. „Allein die Dokumentation der Schäden, die durch Benutzung, falsche Lage- rung, durch Tintenfraß oder versäuertes Papier entstanden sind, kann bei Werken wie diesem bis zu einer Stunde dauern – pro Seite.“ Diese wieder in einen stabilen Zustand zu bringen, dauert ein Vielfaches dieser Zeit. 20 bis 40 Werke im Jahr können sie derzeit retten. Julia Bispinck und ihr Team haben elf Räume in der Berliner Staatsbiblio- thek. Dort entsäuern sie die Bücher in speziellen Wasserbädern, bereiten Lösungen zu, mit denen sich alte Klebereste beseitigen lassen, oder entfer- nen Schimmelpilzbefall, der sich auf altem Papier angesetzt hat. Doch die Originale geben sie nur ungern aus den Händen, selbst wenn sie wieder nutzbar sind. Denn gerade das sei eine starke Belastung für ein historisches Werk. „Wann immer es geht, bieten wir deshalb unseren Nutzern erst einmal ein Digitalisat für ihre Arbeit an“, sagt sie. In ähnlicher Situation wie die Restauratoren der Berliner Staatsbibliothek befinden sich Biblio- thekare und Archivare bundesweit. Sie stehen vor einer schier überwältigenden Aufgabe. Allein die durch Säurefraß gefährdeten Kulturgüter aus deutschen Archiven würden ein 1800 Kilometer 19 Helmholtz Perspektiven März – April 2016 FORSCHUNG

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