Helmholtz Perspektiven November – Dezember 2014 6 TITELTHEMA Was Rolf Müller und seine Leute in diesem Jahr gefunden haben, könnte in einem Jahrzehnte wäh- renden Krieg endlich die entscheidende Wendung herbeiführen. Es ist ein gnadenloser Krieg, einer mit Wettrüsten, flächendeckenden Angriffen, Massen- sterben und ausgeklügelten Verteidigungsstrategi- en. Er tobt in den deutschen Krankenhäusern, Tag und Nacht, wir können ihn nur nicht mit bloßem Auge erkennen, dazu sind die am Geschehen Beteiligten zu klein. Die Schauplätze: Die Hände, Nasen, Hautfalten und Schleimhaut der Patienten und Besucher, der Krankenschwestern und Ärzte. Türklinken und nachlässig gereinigte Nachttische. Eigentlich fast alles, was in den Kliniken zirkuliert oder öfter benutzt wird. Von hier aus versuchen Bakterien, die nicht auf die menschliche Haut gehören und erst recht nicht in den Körper, sich genau dort anzusiedeln. Ihre Gegner, die in Kliniken weit verbreiteten Antibiotika, sollen sie zerstören, wenn sie sich doch einmal dort angesiedelt haben. Werden die Antibiotika über einige Tage eingesetzt, löschen sie von den Problemkeimen meist fast alles aus – aber eben nur fast. Diejenigen Bakterienstämme, die eine solche massive Antibiotika-Angriffswelle überleben, haben durch Mutationen womöglich bessere Abwehrme- chanismen entwickelt, die sie widerstandsfähig und gefährlich machen. Antibiotika können gegen sie nicht viel ausrichten, im Gegenteil, sie fördern ab- surderweise sogar noch die Verbreitung der Keime: Wenn die Antibiotika alle anderen Bakterienstämme abtöten, haben die multiresistenten Erreger noch mehr Platz, um sich auszubreiten. Eine Besiedelung der Haut ist dabei nur selten ein Problem, aber bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, Verletzungen oder Operationswunden können die Keime schnell in den Körper eindringen und dort etwa lebensgefähr- liche Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen auslösen. In den vergangenen Jahren sind die so genannten multiresistenten Keime zu einem Problem herangewachsen, an dem in Deutschland jedes Jahr mehrere Zehntausend Menschen erkranken und mehr als 1500 sterben. Verstärkung auf Seiten der Antibiotika wird also dringend benötigt. Die liefert vielleicht bald die Arbeitsgruppe von Rolf Müller. Der Geschäftsführende Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland hat mit seinem Team und Kollegen vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektions- forschung zwei Wirkstoffe identifiziert, die hochwirk- sam sind gegen den multiresistenten Staphylococ- cus aureus, kurz MRSA, der häufigste Keim, bei dem klassische Antibiotika kaum noch etwas ausrichten können. „Die Substanzen wirken gegen MRSA, las- sen aber menschliche Zellkulturen unbehelligt. Alles sieht nach einem Volltreffer aus“, sagt Rolf Müller. Disciformycin A und B, wie die beiden entdeck- ten Substanzen heißen, sind Naturstoffe: Müllers Team hat sie nicht im Labor hergestellt, sondern bei einer anderen Bakterienart gefunden, den so genannten Myxobakterien. Sie sind vor allem dort verbreitet, wo Pflanzenreste anfallen, in Kompost- haufen, in Böden, im Garten und Wald, in Tierdung. Seit einigen Jahren schon war Müller an diesem Typ von Bakterien dran, immer, wenn er oder seine Mit- arbeiter mit der Familie oder mit dem ganzen Institut Ausflüge machten, wurden Bodenproben gesammelt. Sie zählen zu den größten Problemen in Deutschlands Krankenhäusern: Keime, die gegen Antibiotika resistent geworden sind. Im Kampf gegen die lebens- gefährlichen Bakterien hoffen die Forscher nun auf zwei neue Substanzen Ausholen zum Gegenschlag Sie zählen zu den größten Problemen in Deutschlands Krankenhäusern: Keime, die gegen Antibiotika resistent geworden sind. Im Kampf gegen die lebens gefährlichen Bakterien hoffen die Forscher nun auf zwei neue Substanzen In Deutschland sterben jedes Jahr mehr als 1500 Menschen an Infektionen mit MRSA Staphylococcus aureus So heißt der häufigste Keim. Bild: Manfred Rohde/HZI