23 Helmholtz Perspektiven Mai – Juni 2015 standPunKtEstandPunKtE „Die Biosignale zeigen auch, wie wertvoll ein Mitarbeiter ist und wie weit sein Einsatz für die Firma geht“, sagt Jörn Müller-Quade, Professor für Kryptographie und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie und Sprecher des nationalen Kompetenzzentrums für Cybersecurity „KASTEL“ Diskutieren Sie zum Thema unter: www.helmholtz.de/ blickwinkel d as hatte sich nicht einmal George Orwell ausgedacht: Menschen tragen Armbänder, die alle Funktionen eines Lügendetektors haben. Nicht nur Kommunikation, Bilder und Videodaten sind massenhaft auswertbar, son- dern zukünftig auch unsere Gefühle, unser Gesund- heitszustand und unsere Leistungsfähigkeit. Häufig wird eingewendet, dass die eigenen Da- ten uninteressant seien. Doch wer so etwas behaup- tet, dem fehlt nur die Fantasie, wie durchschaubar wir durch diese Sensordaten werden und welchen Nutzen und Wert sie haben können, wenn sie gegen uns verwendet werden. Nicht nur für Versicherungen sind Gesund- heitsdaten interessant. Biosignale zeigen auch, wie wertvoll ein Mitarbeiter ist, seine Konzentrationsspan- ne, Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit – und wie weit sein Einsatz für die Firma geht. Die Stimmung eines Verhandlungsgegners zu kennen gibt einem Vorteile; ebenso wie Stimmungswechsel im Vorstand einer Firma, bei der Belegschaft oder bei ganzen Branchen wertvolle Informationen für Konkurrenten sind. Durch die Korrelation der Sensordaten über Herzfrequenz, Blutdruck oder Zittern mit dem, was eine Person sieht und hört, ergeben sich Persönlichkeitsprofile, die tie- fer blicken können als engste Freunde. Solange das Auswerten der gesammelten Daten Basis des Geschäftsmodells mächtiger Konzerne ist und diese dadurch in der Lage sind, unser Verbraucherver- halten zu lenken oder Staaten diese Daten ausspi- onieren, um unsere Politiker in Verhandlungen zu übervorteilen, sehe ich eine große Bedrohung in der unkritischen Verwendung von Wearables. Dies steht sicherlich im Konflikt zu den Vorzü- gen, die Wearables haben. Sie erleichtern beispiels- weise ein gesünderes Leben und erlauben ein frühes Erkennen von gesundheitlichen Problemen. Gekoppelt mit einer Notruffunktion können sie sogar Leben retten. Doch Datenschutz und Informationsfreiheit stehen unweigerlich in einem Konflikt zum Nutzen dieses massenhaften Auswertens von Daten. Diesen Widerspruch zu lösen, halte ich für eine der großen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Hierzu benötigen wir bessere Cybersecurity, neuar- tige, den Datenschutz respektierende Analysever- fahren und gesetzliche Grenzen für die Nutzung von Daten. Dafür brauchen wir aber auch neue Geschäfts- modelle. Die staatsbürgerliche Freiheit, die schwer erkämpft wurde, sollte nicht leichtfertig aufgegeben werden.