Helmholtz Perspektiven Mai – Juni 2015 13Titelthema „Wir sind noch Lichtjahre von den Zielen entfernt“ Die Energiewende-Ziele der Bundesregierung bis 2050 sind ambitioniert. Beim Anteil der erneuerbaren Energien im Stromsektor hat sich in den vergangenen Jahren auch einiges getan. In allen anderen Feldern bleibt jedoch viel zu tun, sagt Umweltökonom Erik Gawel Erik Gawel ist als Umwelt- und Ener- gieökonom stellvertretender Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz- Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und Direktor des Instituts für In- frastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig. Er koordiniert die ökonomische Forschung des UFZ in der Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS. Herr Gawel, was sind aus Ihrer Sicht die größten Baustellen der Energiewende? Der Versuch, den Energieverbrauch insgesamt zu senken, ist bislang relativ erfolglos. Dazu gehört auch die Stei- gerung der Energieeffizienz. Oder die Gebäudesanierung: Die Bundesregierung strebt bis 2050 einen nahezu klimaneu- tralen Gebäudebestand an. Hier sind wir noch Lichtjahre von den Zielen entfernt. Auch im Verkehrsbereich gibt es wenig Bewegung. Angela Merkel sprach jüngst davon, dass die Energiewende in einer kriti- schen Phase stecke. Was meint sie? Soweit ich es verstehe, bezog sich die Kanzlerin auf den Anteil der erneuerbaren Energien im Stromsektor. Mit einem An- teil von gut 25 Prozent sind sie aus ihrem Nischendasein herausgetreten und zu einem wichtigen Pfeiler der Stromproduk- tion geworden. Bislang lautete die Frage: Wie können wir überhaupt Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen? Heute lautet sie: Wie können wir erneuerbare Energien sinnvoll in den Markt integrie- ren? Hier gibt es zwei große Herausfor- derungen. Zum einen die Sicherung der Wirtschaftlichkeit, also „bezahlbare“ Strompreise. Zum anderen, wie wir bei fluktuierenden Energiequellen wie Sonne und Wind die Versorgungssicherheit dauerhaft gewährleisten können. Die Kohlendioxid-Emission soll bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 redu- ziert werden. Ist das noch erreichbar? Das ist fraglich. Wir stehen momentan erst bei minus 27 Prozent. In den letzten fünf Jahren hat sich kaum etwas getan. Um die verbleibenden 13 Prozent schaf- fen zu können, sind neue Impulse in der Klimaschutzpolitik notwendig. Die bisher unternommenen Anstrengungen und Instrumente werden nicht reichen. Wer sind bei uns die größten Kohlen- dioxid-Schleudern? Energiebedingte Emissionen haben mit 84 Prozent den Löwenanteil: Rund 50 Prozent davon gehen auf das Konto der Energiewirtschaft, also die Bereitstellung von Strom und Wärme. Den Rest teilen sich Industrie, Verkehr und private Haus- halte. Die übrigen 16 Prozent stammen etwa aus der Landwirtschaft, wo ja neben Kohlendioxid auch noch andere Treib- hausgase wie Methan produziert werden. Die EU will Kohlendioxid-Auflagen für Autos enger ziehen. Die Bundesre- gierung ist dagegen. Wie passt das zusammen? Über die Motivlage kann man natürlich nur spekulieren. Klar ist aber, dass für die Bundesregierung auch industriepolitische Erwägungen eine Rolle spielen. Sehr strenge Grenzwerte für Pkw bedeuten, dass vor allem Premiumhersteller mit leis- tungsstarken und schweren Fahrzeugen unter Druck geraten. Die deutsche Politik darf wohl so verstanden werden, dass deutsche Premiumhersteller nicht zu sehr oder zu schnell belastet werden sollen. Ohne das wären wir schon weiter. Bis 2020 sollten eine Million Elektro- autos auf deutschen Straßen fahren. Bis jetzt sind es erst 24.000. Warum? Deutschland ist in Sachen Elektromobili- tät ein Entwicklungsland. Wirtschaftliche Anreize, auf Elektroautos umzusteigen, fehlen an allen Ecken und Enden: Elek- troautos sind teuer. Die Reichweite ist gering. Es gibt nicht genug Ladestationen. Warum sollte sich also jemand ein Elek- trofahrzeug zulegen? Auch für die Anbieter gibt es keine besonderen Anreize: Das Geschäft mit klassischen Verbrennungs- motoren läuft blendend. Schärfere CO2 - Grenzwerte könnten sie aber an ihre Gren- zen führen. Die öffentliche Hand könnte mit ihrem Fuhrpark eine Vorreiterrolle übernehmen. Hier spielt aber das Ver- gaberecht nicht mit. Danach muss man sich immer für den günstigsten Anbieter entscheiden. Es ist also einiges zu tun, um dem Ziel näher zu kommen. Interview: Martin Trinkaus Das gesamte Interview als Video unter: www.helmholtz.de/ interview-gawel