Helmholtz Perspektiven Januar – Februar 2016 24 stAnDPunKte Bildung allein reicht nicht! Viele Politiker glauben, dass sich gesellschaftliche Probleme allein mit dem Bau von schulen und Hochschulen lösen lassen. Was für ein Irrtum. ein Kommentar von Christopher schrader 1980 brachte der Systemforscher Frederic Vester ein Brettspiel auf den Markt. Es hieß „Ökolopoly“, die Spieler sollten ein Land namens Kybernetien regieren. Sie investierten politisches Kapital in verschiedene Reformen und versagten oft. Erfolg versprach nur die Strategie, das öffentliche Gut „Aufklärung“ zu mehren. Es ging um Schulen und die Förderung des Problem- bewusstseins der Bürger, sprich Bildung. Damit lösten sich die Probleme von allein – diese simple Botschaft machte das Spiel ziemlich langweilig. Bildung gilt noch heute vielen Politikern als Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme. Sie soll gegen Fremdenfeind- lichkeit helfen, Flüchtlingen in ihren Herkunftsstaaten eine Perspektive bieten oder ihre Integration hierzulande erleichtern. Womöglich, so glauben viele, entspringt sogar der Terrorismus den mangelnden Bildungschancen muslimischer Jugendlicher. Wäre es nur so einfach! In der Tat sprechen Zahlen für die Bedeutung von Bildung: Mehr als 80 Prozent der Menschen mit einem Universitätsab- schluss haben einen Job, stellt die Organisation für wirtschaft- liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im jüngsten Bildungsbericht fest, verglichen mit weniger als 60 Prozent nach dem Absolvieren der Grundschule. Aber das heißt auch: Für viele Menschen erfüllen sich die Versprechen einer höheren Ausbildung nicht. Bildung ist eine Investition in die Zukunft. Ein Mensch stellt seine Bedürfnisse für Jahre zurück, verbringt Zeit in Klassenzimmer oder Hörsaal, anstatt schon Geld zu verdie- nen. So ein Belohnungsaufschub, wie das die Psychologie nennt, weckt berechtigte Erwartungen, und die Gesellschaft sollte bereit und in der Lage sein, sie zu erfüllen. Das ist sie bei Weitem nicht immer. Enttäuschung kann gravierende Folgen haben. Das zeigt zum Beispiel der arabische Frühling. Einer seiner Auslöser war eine unerwartete Wendung der hohen Jugendarbeitslosigkeit: In etlichen Ländern hatten Jugendliche mit höheren Bildungsabschlüssen seltener eine An- stellung als Altersgenossen mit niedrigeren. Ein zweites Beispiel findet man auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Immer mal wieder ist die Rede vom Schweinezyklus, bei dem die verzögerte Reak- tion auf einen Mangel zum Überschuss führt und umgekehrt. Früher hat man das drastisch bei der Ausbildung von Lehrern gesehen, jetzt warnt das erste Wirtschaftsforschungs-Institut vor einer Fehlsteuerung bei Ingenieuren. Gerade in Fächern, die Studierende nach Lockrufen von Unternehmen gewählt haben, nimmt die Zahl der Arbeitslosen langsam zu. Für viele Frauen erfüllt sich das inhärente Versprechen der Bil- dung erst recht nicht. Als Schülerinnen haben sie meist bessere Noten als männliche Klassenkameraden. Aber mit jedem Schritt der Karriere wird ihr Anteil kleiner, ob das nun der Weg von der Doktorandin zur Professorin ist oder von der Sachbearbeiterin in den Vorstand. Schließlich ist nicht recht klar, wie Bildung Ausländer- hass verringern soll. Wer sie als primäres Mittel fordert, erliegt der Illusion, besser gebildete Bürger würden ihre Vorurteile revidieren. Das ist zweifelhaft: Die meisten Menschen nehmen nur solche Fakten und Argumente zur Kenntnis, die in ihre Lebenswirklichkeit passen. In all diesen Fällen ist mehr Bildung nicht genug. Sie mag ein notwendiges Kriterium für Verbesserung sein, aber sicher- lich kein hinreichendes. Was zusätzlich nötig ist, reicht über das Bildungsressort hinaus – in die Außen- und Wirtschaftspolitik. Das kann die Förderung von vernünftigen Jobs bedeuten, in den Heimatstaaten der Flüchtlinge wie in strukturschwachen Gebie- ten Deutschlands. In Entwicklungsländern setzt das faire, nicht freie, Handelsbedingungen voraus. Für Frauen in Wirtschaft und Wissenschaft braucht es Quoten. Mit solchen Forderungen macht man sich in der Politik die Hände schmutzig. Dem Ruf nach mehr Bildung hingegen widerspricht niemand. Christopher schrader (53) ist freiberuflicher Wissenschaftsjournalist in Hamburg