27Forschung Helmholtz Perspektiven September – Oktober 2013 Nur, wenn Forschungsarbeiten eine Hypothese bestätigen oder widerlegen können, bekommen sie Platz in den renommierten Publikationen. Dabei sind auch die Arbeiten wertvoll, die keine Antwort auf die Forschungsfrage ergeben haben. Dokto- randen der Graduiertenschule „Materials Science in Mainz“ haben deshalb das Journal für ungelöste Fragen (Journal of Unsolved Questions, kurz JUnQ) gegründet, in dem sie gezielt solche vermeintlichen Fehlschläge publizieren. Die Lektüre ermöglicht ei- nen spannenden Einblick in den Alltag der Forscher. Das Beispiel fällt Stefan Kuhn immer ein, wenn er sein Forschungsgebiet beschreiben will: „Wenn Sie sich Ihre Hände anschauen“, sagt der Mainzer Chemiker, „dann ist gleich klar, dass Sie sie nicht deckungsgleich übereinander legen können, wenn Sie die rechte Handfläche auf den linken Handrü- cken legen oder umgekehrt. Nur durch Spiegelung lassen sich beide Hände zur Deckung bringen.“ In der Chemie heißt dieses Phänomen Chiralität, dabei geht es um die Anordnung von Molekülen. „Aminosäuren zum Beispiel liegen in der Natur nur in einer ganz bestimmten Chiralität vor, ihr Spie- gelbild wird nicht gefunden“, erläutert Kuhn. Seit seiner Diplomarbeit beschäftigt sich der Doktorand, der an der Schnittstelle von Physik und Chemie arbeitet, mit diesem Thema. Besonders interessiert ihn das Calciumcarbonat, das in der Natur häufig als Kalk oder in seiner stabilsten Form als Calcit vorkommt. „Die stabilste Oberfläche des Calcits könnte chiral sein“, so lautet seine Hypothese. Wenn sich das bestätigen würde, hieße das: Auf der Oberfläche von Calcit könnten sich nur Verbindun- gen anlagern, die ihrerseits die passende Chiralität haben. Dadurch ließe sich erklären, weshalb von Aminosäuren lediglich dieses eine Spiegelbild gefunden wird – das ist es, was die Chemiker als „Homochiralität des Lebens“ bezeichnen. „In unserer Disziplin wird dieses Thema schon seit langem diskutiert“, sagt Stefan Kuhn. Er wollte nun anhand des Calcits den Beweis antreten. Dazu nutzte er ein Nichtkontakt-Rasterkraftmikroskop. „Letzten Endes“, sagt er jetzt nach langen Untersu- chungen, „ließ sich die Frage nicht beantworten.“ Damit ist auch das größere Rätsel noch offen: Warum Aminosäuren in der Natur nur eine Chiralität aufweisen. Widerlegt ist die Hypothese mit den ge- scheiterten Versuchen aber noch nicht. „Ich bleibe weiter dran“, sagt Kuhn. Das nächste Mal wählt er eine andere Herangehensweise – vielleicht gelingt ihm dann der erhoffte Durchbruch. Nicht deckungsgleich Unsere Hände sind ein gutes Beispiel für das Phänomen der Chiralität: Sie sind baugleich, lassen sich aber nicht in Deckung bringen. Bild: iStockphoto.com/4FR Das Geheimnis des Kalks In der Naturwissenschaft zählen allein Ergebnisse. Aber auch Fehlschläge seien ein wichtiger Bestandteil des Erkenntnisgewinns, sagen Doktoranden aus Mainz. Ein Beispiel dafür ist ein bislang unlösbares Rätsel über Kalk http://junq.info