I m Sommer, wenn Hans-Wolfgang Hubberten mit seinen Kollegen knöcheltief im sibiri- schen Matsch feststeckte, wünschte er sich schon bisweilen, wieder in seinem Büro auf dem Potsdamer Telegrafenberg zu sitzen. Die Mü- cken im Norden Russlands waren nicht nur groß, sie waren auch hungrig, und sie stachen mühelos durch die Jeans der Forscher. Also mussten diese sich dicker anziehen, obwohl die Temperaturen tagsüber frühlingshafte Werte erreichten. Die Mischung aus Schweiß, Matsch und Mückenöl war irgendwann im Lauf des Tages selbst für hartge- sottene Nasen eine Zumutung. Wenn der 69-Jährige heute davon erzählt, strahlen seine Augen dennoch vor Begeisterung. Denn meistens war er auf den Expeditionen so versunken in die Arbeit, dass er mit seinen Kolle- gen erst abends über die Nebenwirkungen der kör- perlichen Anstrengung lachen konnte. „Die Zeit im Feld war immer die schönste in meinem Beruf“, erzählt Hubberten, Geochemiker am Potsdamer Standort des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz- Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Da konnte man sich mal so richtig auf die Arbeit einlassen und den Kopf dafür freibekommen.“ In jedem Jahr seines mittlerweile über 20-jährigen Berufslebens als Permafrost-Forscher habe er ein, zwei oder gar drei Monate draußen in den Forschungsgebieten verbracht – auf den Stationen in der sibirischen Arktis, auf Spitzbergen oder der Herschel-Insel in Kanada. In diesem Jahr ist das Zentrum der Perma- frost-Forschung allerdings Potsdam. Dort findet im Juni die inter- nationale Permafrost- Konferenz statt; zum ersten Mal in einem Land, das selbst keinen nennenswerten Permafrost hat. Für Hubberten, der hinter der Wahl des Veran- staltungsortes steht, ist das ein weiteres Highlight einer langen Karriere. Er hat viel bewirkt auf diesem Gebiet und bereits 2008 eine Tradition gebrochen: Da wurde er als erster Forscher aus einem Nicht-Permafrost-Land zum Präsidenten der internationalen Permafrost-Gesellschaft gewählt. Permafrost bedeutet, dass die Durchschnitts- temperatur eines Bodens in mindestens zwei auf- einanderfolgenden Jahren unter null Grad Celsius liegt. Im Sommer taut der Boden an der Oberflä- che einen halben bis zwei Meter tief auf, darunter bleibt er gefroren – und das teilweise bis in ein- einhalb Kilometer Tiefe. Das kann über Tausende von Jahren so gehen. Auf der Nordhalbkugel trifft diese Permafrost-Definition auf rund ein Viertel der gesamten Landfläche zu. Größtenteils liegen die Gebiete in der Polarregion und deren unmittel- barer Umgebung: Die russische Föderation besteht gut zur Hälfte aus Permafrostboden, in Alaska, Kanada, Grönland oder China sind es ebenfalls große Teile. Aber auch in Skandinavien gibt es Permafrost – und in Deutschland auf der Zugspit- ze. In der südlichen Hemisphäre können dagegen nur einige eisfreie Oasen rund um die Antarktis mit permanent gefrorenem Boden aufwarten. Heute ist klar, dass Permafrost eine ent- scheidende Rolle im Klimawandel spielt – und Hans-Wolfgang Hubberten hat maßgeblich daran mitgewirkt, das herauszufinden. Entsprechend groß ist die Bedeutung, die das Forschungsgebiet in den vergangenen beiden Jahrzehnten gewonnen hat. Auch wegen dieser Relevanz lässt das Thema Hubberten nicht los, obwohl er eigentlich schon im Ruhestand ist und nur noch einen Vertrag über wenige Stunden pro Woche hat. Als Hubberten sich 1992 auf die Forschung an Permafrost einließ, hatte er schon ein halbes Wissenschaftlerleben als Geochemiker hinter sich – und stürzte sich auf ein Thema, das für viele Kollegen keinen besonderen Reiz versprühte. Was sollte man schon Spannendes in dauergefro- renem Boden finden? Das war die übliche „In den vergangenen 20 Jahren haben wir gesehen, dass die Verän- derungen am Permafrost große Auswirkungen auf den gesamten Globus haben.“Hans-Wolfgang Hubberten 8 Titelthema Küstenerosion Die russische Permafrost-Insel Muostakh wird an ihrer Nordspitze durch die Brandung jährlich um 10 bis 20 Meter abgetragen. So hat sie in den vergangenen 60 Jahren schon ein Viertel ihrer Fläche verloren. Bild: Thomas Opel/Alfred-Wegener-Institut