11 Helmholtz Perspektiven November – Dezember 2013 titelthema wert als Querschnittsexperten zu verankern. Wis- senschaftsressorts gelten vielerorts als nettes, im Zweifel aber verzichtbares Anhängsel. Allzu schnell gerät dabei aus dem Blick, dass eine Nachrichten- redaktion nur dann fundiert über Naturereignisse oder Naturkatastrophen berichten kann, wenn die wissenschaftlichen Fakten bekannt sind. Das ist kein Selbstzweck: Allein eine adäquat informierte – also auch wissenschaftlich aufgeklärte – Bevöl- kerung kann zu Themen wie Klimawandel, Gen- und Nanotechnologie, Energiewende oder Präimplanta- tionsdiagnostik eine Entscheidung treffen. Kurzum: Die sachgerechte Information über Forschung, Wissenschaft und Technologie ist eine conditio sine qua non, eine unerlässliche Vorbedingung für ein funktionierendes Gemeinwesen. Parallel zur Krise des Wissenschaftsjournalismus, aber durchaus nicht unabhängig davon, professio- nalisierten sich die Kommunikationsabteilungen der Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Das PUSH-Manifest der großen deutschen Forschungs- organisationen forderte bereits 1999 von den Pressestellen, dass sich die Wissenschaft öffnet, mehr und professioneller informiert und sich dem gesellschaftlichen Dialog stellt. Die Qualität in den Kommunikationsbüros stieg in der Folge rasant – und zugleich der Druck, sich im Wettbewerb miteinander zu positionieren und dafür das eigene Erscheinungsbild aufzupolieren. Die Folgen beider Entwicklungen liegen auf der Hand: Die Medien müssen sich durch interessan- te Informationen im Markt behaupten, die For- schungseinrichtungen bieten ihnen den Stoff, den sie dazu brauchen, und laufen dabei Gefahr, durch Zuspitzungen ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zu überhöhen: Übertreibungen sind daher system- bedingt vorprogrammiert, neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden schnell zu nobelpreiswürdi- gen, revolutionären Änderungen des Weltbildes vergrößert. Dieser Ökonomisierungsdruck ist eine der wesentli- chen Ursachen für den derzeitigen Erosionsprozess in der Qualität der Wissenschaftsberichterstattung. Betroffen sind beide Seiten des Schreibtischs, Wis- senschaftsjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Und beide Seiten müssen liebgewonnene Selbstein- schätzungen ablegen. Wissenschaftler stellen sich vielfach so dar, als ob sie nur der reinen, unabhängigen Forschung verpflichtet seien. Journalisten sehen sich häufig als neutrale, allein der Wahrheit dienende vierte Gewalt im Staat. Aber weder ist die Wissenschaft unabhängig von gesellschaftlichen Rahmenbe- dingungen, politischen Meinungen und eigenen Weltanschauungen, noch sind die Redaktionen frei von Redaktionsstatuten, Haupt-Anzeigenkunden und der Meinung der Leserschaft. Mehr Ehrlichkeit täte hüben wie drüben gut. Daher brauchen wir eine neue Qualitätskontrolle für die Aufrichtigkeit der Berichterstattung auf beiden Seiten. Die Zeit dafür scheint reif zu sein, es gibt bereits Ansätze zur Entwicklung solcher Kriterien. Am Lehrstuhl für Wissenschaftsjournalismus der Uni Dortmund überprüft das Mediendoktor-Projekt die Güte von Journalismus und Pressemitteilun- gen und entwickelt dabei Qualitätsmaßstäbe, die vermutlich nicht für beide Seiten die gleichen Maßgrößen werden enthalten können. Wissen- schaftskommunikatoren von ZEIT bis Wissenschaft im Dialog fordern in ihrem so genannten Siggener Denkanstoß eine Charta der Wissenschaftskommu- nikation als leitendes Regelwerk für alle Beteiligten. Die deutschen Akademien (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Berlin-Brandenburgi- sche Akademie der Wissenschaften und acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) erarbeiten derzeit Empfehlungen zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien. Daraus abgeleitete Maßnahmen können Qualitätslabel für Pressestel- len sein, genauso wie umgekehrt eine Ahndung übertriebener Sensationsmeldungen. Auf der Seite des Wissenschaftsjournalismus könnte ein Om- budssystem eingerichtet werden; Stiftungen sollten sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob es nicht an der Zeit ist, vergleichbar mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch von Werbeein- nahmen unabhängige Wissenschaftsmagazine zu finanzieren. Es scheint, dass die Verantwortlichen auf beiden Seiten des Schreibtischs endlich zu begreifen beginnen: Wissenschaftskommunikation ist ein Gesamtprozess; sie ist die Klammer, die den Wissenschaftsjournalismus der Medien mit der Öffentlichkeitsarbeit der Forschungs- und Wissen- schaftseinrichtungen miteinander verbindet. Reinhard Hüttl Reinhard Hüttl ist wissenschaft- licher Vorstand des Helmholtz- Zentrums Potsdam (GFZ) und Präsident der acatech — Deutsche Akademie der Technikwissen- schaften