20 Helmholtz Perspektiven März – April 2014 FORSCHUNG Bald die Regel? Großflächige Bewässerung verwüsteter Landschaft. Bild: A. Künzelmann/UFZ Das heißt: Selbst wenn wir es schaffen, die Kohlendioxid-Emissionen komplett einzustellen, ist immer noch so viel Treibhausgas im System, dass der Klimawandel weitergeht? Pörtner: Es wird viele Jahre dauern, bis die Temperatur und das Verhältnis von Eis- und Wasserphase im Gleichgewicht sind. Die natürliche Abnahme des Kohlendioxids in der Atmosphäre und die Rückführung der Ozeanversauerung erfolgen über hunderte bis tausende Jahre; beides ist auch von Ver- witterungsprozessen an Land abhängig und von der biologischen Aktivität im Meer. Wenn die Auswirkungen ohnehin schon vorprogrammiert sind – warum sollen wir unser Verhalten noch ändern? Pörtner: Wir müssen zunächst einmal überhaupt akzeptieren, dass wir die Welt verändern und welche Auswirkungen unser Handeln hat. Es gilt, was Artikel zwei der Klimakonvention sagt: Der Klimawandel sollte nicht gefährlich werden; wir müssen das Ausmaß und damit die Auswirkung des Klimawandels begrenzen. Man muss ja nicht absichtlich das große Experiment fahren, das herausbekommen will, bei wie viel Klimawandel das Erdsystem kippt. Ein gefährliches Ausmaß hat er aber doch schon längst erreicht, das haben Sie selbst gerade gesagt! Pörtner: Das ist Definitionssache: Ist der Verlust einer Art schon gefährlich? Wie viele Arten sind wir bereit, in ihrem Bestand zu gefährden? Das ist eine Diskussion, die in der Politik geführt werden muss. Wir sind als Wissenschaftler gehalten, Fakten zusammenzutragen und Perspektiven aufzuzeigen, ohne der Politik Handlungsvorschriften zu machen. Was muss die Politik tun, um die Auswir- kungen des Klimawandels zu beschränken? Pörtner: Hier kann ich nur persönlich antworten, nicht als Vertreter des IPCC. Ich halte es für wichtig, dass wir möglichst früh anfangen, die Emissionen runterzufahren. Und dass wir die kurzfris- tigen wirtschaftlichen Interessen nicht dem überordnen, was wir langfristig zu bewältigen haben. Settele: Es wäre schon gut, wenn man- cher sich sagt: Ich könnte ein bisschen weniger reisen, ein bisschen weniger fliegen. Aber letzten Endes muss sich die gesamte Gesellschaft in diese Richtung bewegen. Genau dieser gemeinschaftliche Wille muss sich in politischem Engage- ment äußern. Barack Obama sagte kürzlich in einer Rede: „Klimawandel ist Fakt.“ Hat Sie das gefreut? Man hat von US-Präsiden- ten ja auch schon anderes gehört. Settele: Ehrlich gesagt, habe ich das gar nicht mitgekriegt, weil ich viel unterwegs war. Aber es hätte mich gefreut. Interview: Andreas Fischer und Jan-Martin Wiarda Als Weltklimarat wird das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) bezeichnet. Die zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf arbeitet als Think-Tank, fasst die wissenschaftliche Forschung zu Themen des Klimawan- dels zusammen und bewertet die Aussagekraft der Ergebnis- se. In drei Arbeitsgruppen beschäftigen sich Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern mit den Risiken der globalen Erwärmung, mit ihren Auswirkungen sowie mit Vermeidungs- und Anpassungsstrategien. Für seine Tätigkeit erhielt das IPCC im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis. Der Biologe Hans-Otto Pörtner forscht am Alfred-Wegener- Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Sein Schwerpunkt ist die Integrative Ökophysiologie von Meerestieren. Der Agrarwissenschaftler Josef Settele forscht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Er ist spezialisiert auf Biodiversität und Landnutzung. Mehr zum IPCC-Bericht unter www.helmholtz.de/ipcc