29 Helmholtz-Perspektiven Januar – Februar 2014 Helmholtz intern Ihre Waffe ist die Wahrheit Die Zigarettenpackungen auf dem Besprechungstisch sind aufwendig verziert. Die eleganten Päckchen heißen Merilyn oder Vogue und stammen aus Bulgarien, Norwegen, Spanien. Noch im Mantel nimmt Martina Pötschke-Langer eine Schachtel in die Hand: „Die Verpackung ist schon verlockend: Wer möchte nicht so schön sein wie Marilyn Monroe“, sinniert sie. Pötschke-Langer leitet am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidel berg die Stabsstelle Krebsprävention. Derzeit arbeitet sie an einer internationalen Studie mit, in der sie untersucht, wie Frauen durch die Verpackung verführt werden; gerade kommt sie von einem Vortrag in Österreich zurück. Ihre Tage im Kampf gegen das Rauchen sind voll: Über 40 Dienstreisen waren es allein in diesem Jahr, mehr als 80 Tage war sie dafür unterwegs. „Krebs ist der König unter den tabakbedingten Todesursachen“ Pötschke-Langer zieht ihren Mantel aus und setzt sich an ihren vollgepackten Schreibtisch. Angefangen hat ihr Kampf gegen das Rauchen vor 30 Jahren: Als Medizinstudentin hielt sie in ihrer ersten Operation ein Bein fest, das einem Raucher abgenommen werden musste. Später saß sie für ihre Doktorarbeit an der Univer- sität Heidelberg am Bett eines Krebspatienten, auch er ein starker Raucher. „Da habe ich das erste Mal erlebt, wie verzweifelt ein Patient sein kann. Und wie wütend darüber, dass damals niemand über die Folgen des Rauchens aufgeklärt hat.“ Diese Eindrücke waren so stark, dass sie sich Gedanken machte, wie man von einer Reparatur- zu einer Präventionsmedizin kommen könnte. So entwi- ckelte Martina Pötschke-Langer zusammen mit Kollegen Mitte der 1980er Jahre das erste Nationale Bluthochdruckprogramm. Und sie trat den ungleichen Kampf gegen die verharmlosende Tabak- werbung an, damals war sie auf diesem Gebiet Pionierin. Das entscheidende Jahr für den Kampf gegen das Rauchen war 1994: Auf der neunten Weltkonferenz zu Tabak und Gesundheit in Paris führten Forscher erstmals den Nachweis, dass jeder zweite Raucher durchschnittlich zehn Lebensjahre verliert. Rauchen tötet mehr Menschen als Verkehrsunfälle, AIDS, Alkohol, illegale Drogen, Mord und Selbstmord zusammen. „Krebs ist der König unter den tabakbedingten Ursachen“, das war Pötschke-Langer schnell klar: „Das haben wir unter anderem so kommuniziert und viel Aufmerksamkeit erregt.“ Wie verlockend Zigaretten sein können, weiß die Medizinerin da- bei selbst: Während ihrer Examenszeit rauchte sie, um den Stress zu bekämpfen. Einige Wochen dauerte die Phase, seither hat sie keine Zigaretten mehr angerührt. Als das DKFZ, das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört, eine neue Stabsstelle zur Krebsprävention eingerichtet hat, übernahm Martina Pötschke-Langer die Leitung und engagierte sich auch auf diesem Posten sofort in Sachen Rauchen: Die Weltgesundheits- organisation etwa suchte in den Anfangsjahren nach einem deut- schen Vertreter für ein internationales Training zur Tabakkontrolle. Zusagen wollte niemand so recht, denn der Tabakmissbrauch war ein unbeliebtes Thema. Dann wurde Pötschke-Langer gefragt – und sagte sofort zu. „Das war die beste Weiterbildung, die ich jemals mitgemacht habe. Seitdem weiß ich: Die Tabakprävention ist eine Kommunikationsaufgabe, die stetig erfüllt werden muss. Das ist der entscheidende Faktor für den Erfolg unserer Arbeit“, sagt sie rückblickend. Als Lehre daraus ersann sie eine Informationsreihe, die sie „Aus der Wissenschaft – für die Politik“ nennt. Jüngst fasste sie mit ihrem Team darin aktuelle Studien auf zwei Seiten zusammen, die sich mit der Wirkung der Abschreckungsbilder beschäftigen, wie sie künftig in der EU auf die Zigarettenpackungen gedruckt wer- den sollen. Die Informationen kommen in ihrer pointierten Kürze bestens an: „Um sie herzustellen, arbeitet unser Team einige Wochen lang alle internationalen Studien durch“, sagt Pötschke- Langer. „Vor der Publikation bitte ich: Überprüft die Fakten nochmal und nochmal. So haben wir uns den Ruf der Exaktheit erarbeitet, wir sind trainiert auf die Wahrheit. Das ist wesentlich, um glaubwürdig zu bleiben.“ Dass das Rauchen inzwischen zum gesellschaftlichen Thema geworden ist, daran hat Martina Pötschke-Langer ihren Anteil: Vielerorts gelten Rauchverbote, die Zahl der jugendlichen Raucher ist um 50 Prozent zurückgegangen, Abgeordnete und Ministerien erfragen den Rat der Wissenschaft, Werbung wird kontrolliert und die Medien berichten. Was ist ihr größtes Ziel? Die Ärztin muss nicht lange nachdenken: das Ende der Tabakindustrie. Als sie einmal im Fahrstuhl der Chef eines Tabakkonzerns fragte, ob sie nicht ins Gespräch kommen könnten, antwortete sie freundlich: „Nur, wenn Sie Ihr Produkt wechseln.“ Angela Bittner Martina Pötschke-Langer kämpft seit 30 Jahren gegen verharmlosende Zigarettenwerbung. Ein Porträt