Helmholtz-Perspektiven Januar – Februar 2014 21Reportage Er ist so weit gekommen. Nur zwei kleine Schritte noch. Natürlich wird er es nicht schaffen, denkt er, zu viel spricht dagegen. Andererseits sprach auch viel dagegen, dass er überhaupt an diesem Dezem- bermorgen hier sein würde, im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg, fünfter Stock. Bastian Schneider wartet. Er trägt einen schwarzen Anzug, das Loch im Ärmel hat er gestern noch flicken lassen. Schneider läuft im Aufenthalts- raum auf und ab. Gleich geht es los. 10:30 Uhr. Schritt eins. Simulatortest. Es war eine unwahrscheinliche Idee, Pilot zu werden. Und dann auch noch bei der Lufthansa, einer Airline, die sich jedes Jahr aus 5.000 Bewerbern die besten herauspickt. Die mit Einser-Abitur. Die, die wissen, dass eine Beechcraft Bonanza einen Boxer-Motor hat. Die im Simulator auf den Strich fliegen, wie man hier sagt. Die meisten Bewerber sind 19 oder 20 Jahre alt, manchmal ist eine Frau dabei, aber die meisten sind junge Männer. Viele träumen seit dem Kindergarten vom Fliegen. Und dann ist da Bastian Schneider. Mit 27 ist er älter als jeder andere Be- werber an diesem Tag. Mit 16 hat er eine Informa- tikfirma gegründet, die er seither führt. Er hat eine Kundenkartei mit 500 Einträgen und einen Jahresver- dienst, bei dem das 60.000-Euro-Einstiegsgehalt als Lufthansa-Pilot ein deutlicher Rückschritt wäre. Als Schneider zum ersten Mal in einem Flugzeug sitzt, ist er 24. Von Frankfurt nach New York. Seit- her ist er noch ein paar Mal geflogen. Fuerteventura, London, Edinburgh und jetzt von Köln nach Ham- burg zum Auswahlverfahren. Das war’s. Das Gepose einiger Piloten unter seinen Facebookfreunden nervt ihn. Jede Woche ein neues Bild. Sonnenbrille. Uniform. Stewardessen am Pool. Caracas. Rio. Van- couver. Muss das sein? Im Cockpit war er während eines Fluges noch nie. Sein Vater arbeitet in einer Brauerei. Seine Mutter hat Flugangst. „Lockern Sie bitte Ihre Krawatte und nehmen Sie Platz“, sagt Uschi Topp, Typ strenge Hanseatin. Bastian Schneider setzt sich in die kleine Kabine des Flugsimulators. Links der lange Schubhebel, vor ihm der Steuerknüppel. Schneider sitzt aufrecht. Er inspiziert die Instrumente vor ihm. Acht runde Anzeigen; Höhenmesser, Kompass, Drehzahlmesser, künstlicher Horizont. Schneider wirkt ruhig. Aber der Steuerknüppel ist feucht. Schneiders Hände schwitzen. „Haben Sie sich auf den Simulator vorbereitet?“, fragt Uschi Topp. „Wenn ja, mit was für einer Soft- ware?“ „Nein, dafür hatte ich keine Zeit“, sagt Bas- tian Schneider. Er hat sich vorgenommen, ehrlich zu sein. „Hmm.“ Uschi Topp macht sich eine Notiz. Mehr als eine Stunde lang fliegt Bastian Schneider Aufgaben, Muster, die aussehen wie von einem Kleinkind gemalt. Wilde Kurven, Steigungen in blau, Gefälle in grün. Schneider muss Kurse berechnen, 80/260er-Verfahrenskurven meistern, den richtigen Pitch finden. Was immer das alles bedeutet, er scheint es zu wissen. Ein bisschen muss er sich wohl doch vorbereitet haben. Auf Uschi Topps Bildschirm hinterlässt Schneiders Fliegerei Kurven. Zu Beginn sehen sie aus wie Herz-Rhythmus-Störungen, wilde Zuckungen um eine gerade Linie, die die perfekte Höhe, die ideale Geschwindigkeit markiert. Bastian Schneider, so viel ist schnell klar, fliegt nicht auf den Strich. Uschi Topp notiert sich ein paar Mal das Wort „ungenau“. Nach der ersten Aufgabe fragt Schneider nach einem Glas Wasser. Uschi Topp sagt nein. 60 Se- kunden bis zur nächsten Aufgabe, Startkurs 030, Flughöhe 6.000 Fuß, dann 180 Grad rechts … Bei Bastian Schneiders erstem Flug, der Reise in die USA, war er in einer Boing 767 unterwegs, das weiß er noch. Mittelplatz. Er war aufgeregt. Bastian Schneider will Lufthansa-Pilot werden – und muss dafür nur noch eine Hürde nehmen: das Auswahlverfahren des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Eine Reportage Der Aufsteiger