Helmholtz-Perspektiven Januar – Februar 2014 19standpunk te D ie Herausforderungen sind gewaltig, vom Klimawandel bis zur globalen Gerechtig- keit. Nur mit der Wissenschaft kann die Gesellschaft die nötigen Umgestaltungen leisten, da werden viele sicherlich zustimmen. Aber leider gibt es ja immer noch die Unaufgeklärten, die ewig Gestrigen – wie es immer wieder aus For- scherreihen tönt – die Angsthasen, die weiten Tei- len der Wissenschaft mit Argwohn oder Ablehnung begegnen: Klimawandelleugner, Evolutionsskeptiker, Gentechnikbekämpfer, Nanotechnik-Verunsicherte, Impfgegner und so weiter. Ist dies das Ende der Wissensgesellschaft, müssen wir Homöopathie, Astrologie und Co. verbieten? Also alle, die der Wissenschaft misstrauen, in die Ecke stellen und mit dem Finger auf sie zeigen? Dieser Schuss würde sicherlich nach hinten losgehen. Die Wissenschaft darf nicht überheblich sein, sie muss sich ihrer Möglichkeiten und ihrer Grenzen bewusst sein. Zu Recht ist mancher von der Wis- senschaft enttäuscht, denn tatsächlich waren die Versprechungen in den 50er und 60er Jahren groß, oft zu groß: Krebs, AIDS, Hunger, Atommüll und Um- weltkrise existieren immer noch, obwohl doch alle hofften, dass Wissenschaft und Technik ganz rasch helfen würden. Auch heute noch werden in der Übersetzung von disziplinärer Forschungserkenntnis in Technologien viele Fehler gemacht, weil Zusam- menhänge oft nicht genügend untersucht werden. Ein aktuelles Beispiel sind Biotreibstoffe, bei denen etwa die Teller-Tank-Problematik nicht genügend durchdacht wurde – die Überlegung also, ob die Pflanzen nicht lieber zu Nahrungsmitteln verarbeitet werden sollten als zu Benzin. Auch bei anderen neu- en Technologien gibt es viele offene Fragen seitens der Wissenschaft und der Gesellschaft, etwa beim Fracking, der Kohlenstoffspeicherung, aber auch bei der Gentechnik. Der Diskurs darf weder anderen allein überlassen werden, noch darf er autoritativ nur von der Wissenschaft geführt werden. Insbesondere aber gilt es zu begreifen, dass eine Wissensgesellschaft nicht allein durch Wissen- schaft definiert wird. Das persönliche Wissen eines Menschen setzt sich aus einer Mischung von wissenschaftsbasierten Einsichten, Erfahrungen sowie werte- und glaubensgeleiteter Erkenntnis zusammen. Das muss man akzeptieren – jedoch mit einer großen Einschränkung: Wo persönliche Gefährdungen auftreten, etwa weil wichtige Thera- pien abgelehnt werden, hört die Toleranz auf. Ein Entzug notwendiger medizinischer Behandlung etwa bei Kindern steht auf einer Stufe mit körperlicher Gewalt und muss verhindert werden. Die Wissenschaft darf nicht aus Überheblichkeit ihre Skeptiker marginalisieren, sagt Reinhold Leinfelder, Professor für Geobiologie an der Freien Universität Berlin