22 STANDPUNKTE Publish or Perish? Der Druck, schon während der Promotion zu publizieren, wird für Doktoranden in den Naturwissenschaften immer größer. Doch sind Publikationen wirklich der richtige Indikator, um die Qualität von Doktoranden zu messen? Zwei Blickwinkel „Viele Veröffentlichungen belegen nicht automatisch gute Wissenschaft“, sagt Alexander Lerchl, Professor für Biologie an der Jacobs University Bremen Z um wissenschaftlichen Arbeiten gehört selbstverständlich das Veröffentlichen. Die Frage ist, welcher Wert der Menge der Ver- öffentlichungen beigemessen wird und insbe- sondere, ob sich anhand der Zahl der Veröffent- lichungen und des Ansehens der Zeitschriften Rückschlüsse auf die Qualität der einzelnen Wissenschaftler ziehen lassen. Meiner Erfahrung nach ist das nur bedingt möglich und sollte nie als das alleinige Qualitätsmerkmal genutzt werden. Ein Beispiel ist der „Impact-Faktor“ (IF), der angibt, wie oft im Durchschnitt Artikel einer Zeit- schrift innerhalb von zwei Jahren nach Veröffent- lichung zitiert werden. Eine Veröffentlichung in Nature oder Science (IF jeweils über 30) bedeutet jedoch nicht, dass jeder der dort veröffentlichten Artikel 30-mal oder öfter zitiert wurde. Tatsäch- lich sind es nur wenige Artikel, die den IF nach oben treiben, viele werden überhaupt nicht zitiert. Besser ist es, die Anzahl der Zitierungen einzelner Artikel (ohne Eigenzitate) zu betrachten, zum Bei- spiel über den „h-Index“. Das ist die Anzahl h der Veröffentlichungen, die mindestens h-mal zitiert wurden. Aber auch dieser bibliometrische Index ist nicht unkritisch, da er gezielt manipuliert werden kann, etwa durch Salami-Publizieren oder Gruppenbildung mit Gefälligkeitszitierungen. Besonders fragwürdig sind Praktiken, mit denen Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere trak- tiert werden, damit sie möglichst früh möglichst hochrangig publizieren oder sogar ihre Disserta- tion erst dann angenommen und begutachtet wird, wenn eine gewisse Anzahl Publikationen in peer- reviewed Zeitschriften erschienen oder zumindest zur Publikation angenommen sind. Zwar kann die jeweilige Institution mit Recht darauf verweisen, dass die Kandidaten auf diese Weise extern eva- luiert wurden, jedoch ist der enorme Druck zum Veröffentlichen oft kontraproduktiv, insbesondere wenn auch noch Zeitdruck hinzukommt. Schlud- riges Arbeiten bis hin zum gezielten „polishing“ oder gar Fälschen von Daten sind leider allzu oft die Folge. Viele Veröffentlichungen belegen nicht auto- matisch gute Wissenschaft. Besonders am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere muss Qualität vor Quantität gehen. Aber auch als gestandener Forscher sollte man versuchen, dem Publikations- analysenfetisch nicht zu viel Macht zu geben. Helmholtz Perspektiven Juli – August 2016