Helmholtz Perspektiven Juli – August 2014 26 forschung Helmholtz Perspektiven Juli – August 2014 Schnee erwünscht Die Messterrasse mit der „Kugelalm“. Bild: M.Neumann/Schneefernerhaus kontaminiert werden, wenn das erste Schmelzwas- ser unfiltriert ins Tal rinnt. Dies führt zur zweiten Frage der Forscher auf der Zugspitze: Wie wirkt Strahlung auf den Men- schen? Kerstin Hürkamp und Werner Rühm inte- ressieren sich dabei vor allem für die so genannte sekundäre Strahlung. Sie entsteht, wenn kosmi- sche Teilchen, etwa ein Proton aus dem Weltall, auf andere treffen, etwa einen Sauerstoffkern. Dieser zerplatzt und setzt Ionen und Neutronen frei – die sekundäre Strahlung. Etwa die Hälfte der auf der Erde ankom- menden Strahlendosis geht auf die Rechnung von Neutronen. Auf dem Schneefernerhaus können sekundäre Neutronen der kosmischen Strahlung gemessen werden – und zwar nicht nur ihre Zahl, sondern auch ihre Energie, also die Geschwindig- keit, mit der sie unterwegs sind. Rühm steht auf der Messterrasse in einem winzi- gen Holzhaus. Es sieht aus wie ein extrem hohes, steiles Dreieckszelt. Warum die Wissenschaftler das Gebäude „Kugelalm“ nennen, zeigt sich in seinem Inneren: Dort sind auf halber Höhe 15 weiße, kugelförmige Neutronendetektoren verschiedener Größe angebracht. Jede Kugel registriert Neutronen, die mit unterschiedlich viel Energie auf die Detektoren einprasseln. Jeder Mensch nimmt pro Jahr durch kosmi- sche Strahlung eine Dosis von etwa 300 Mikro- sievert auf – das ist rund sechsmal weniger als durch medizinische Anwendungen wie Röntgen. Es gibt aber große Schwankungen: Flugpersonal ist deutlich höheren Strahlungsdosen ausgesetzt. Das Helmholtz Zentrum München hat ein Programm ent- wickelt, mit dem sich die Dosis von Flugpersonal er- rechnen lässt – sie variiert je nach Flughöhe, -dauer und -route. Unter anderem nutzen die Lufthansa und Air France dieses Programm. Hier oben lassen sich die damit errechneten Werte überprüfen. In Zukunft sollen aber auch Krebspatienten von den Erkenntnissen der Zugspitzen-Forscher profitieren. Um das zu erklären, spannt Werner Rühm einen großen Bogen von der Messung sekundärer kosmischer Strahlung zu sekundärer Strahlung bei Krebstherapien: Protonen strahlen nicht nur ungerichtet aus dem Weltall, sondern können sich in einem Beschleuniger bündeln und dann gezielt auf Tumore richten lassen, deren Zellen dadurch zerstört werden. Das wird zum Beispiel in München an der Rinecker Klinik praktiziert. Allerdings fällt bei dieser Behandlung auch unerwünschte sekundäre Strahlung an: Die Protonen treffen auf Gewebe und lösen dabei Neutronen heraus – so wie es auch passiert, wenn kosmische Strahlung auf die Atmosphäre trifft. Diese Neutronen wandern durch den Körper, treffen dabei auf DNA und beschädigen sie. Das kann Krebs verursachen – vielleicht erst zehn oder zwanzig Jahre nach der ersten Therapie. Mittlerweile treten bei immer mehr Langzeit- überlebenden Spätschäden wie zum Beispiel Sekundärtumore auf. „Wie groß das Risiko dafür ist, wird erst seit Kurzem diskutiert“, sagt Werner Rühm. „Wir aber können die Dosis der sekundä- ren Strahlung mit den Methoden, die wir auf dem Schneefernerhaus entwickeln und anwenden, tatsächlich messen.“ Irgendwann, so das Ziel, werden die möglichen Auswirkungen simulierbar und damit prognostizierbar sein: „Wir werden das Risiko, dass sekundäre Tumoren entstehen, quantifizieren können.“ Draußen auf der Messterrasse, wo Rühms „Kugelalm“ und Hürkamps Distrometer stehen, geht der Blick hinaus auf das Wettersteingebirge. Manchmal, erzählt Hürkamp, steht sie um fünf Uhr morgens aus ihrem Bett im Schneefernerhaus auf, macht sich einen Kaffee, schnappt sich einen „Auch Strahlentherapie setzt Neutro- nen frei, die das Erbgut schädigen und Krebs verursachen können“