Israel
"Intelligenz ist der einzige Rohstoff, den wir haben"
Trotz überschaubarer Bevölkerungszahl und widriger Umstände hat Israel in der Wissenschaft beeindruckende Leistungen vorzuweisen und eine sehr lebendige Start-up-Szene. Das liegt nicht nur an den hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Nur selten gehen Wissenschaftler mit so unakademischen Methoden an die Öffentlichkeit. Aaron Ciechanover, Dan Shechtman und Ada Yonath (geb. zwischen 1939 und 1947) rappen. In einem Video des israelischen Forschungsministeriums werben sie für ihren Beruf: mit Bildern aus ihren Laboren, und Sätzen wie "Wo es Leben gibt, da sind wir." Am Ende des Nobelpreisträger-Rap wirft Minister Ofir Akunis sein Jackett über die Schulter und sagt: Für mich ist jeder Wissenschaftler der nächste israelische Star.
Die Protagonisten sind Stars. Alle drei tragen den Nobelpreis in Chemie - Aaron Ciechanover wurde er 2004 verliehen, Ada Yonath 2009, Dan Shechtman 2011. Und alle drei forschen an Institutionen in Israel, die über ein weltweites Renommee verfügen. Die beiden Männer sind am Technion in Haifa tätig, der Technischen Universität Israels mit 18 Fakultäten. Ada Yonath am Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rehovot, wo rund 2.500 Menschen Grundlagenforschung betreiben.
Schon die Anzahl der Forschungspreise, die nach Israel gehen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Forschungsleistungen, die in dem kleinen Land mit nur 8,5 Millionen Einwohnern vollbracht werden. Sechs Nobelpreise in Chemie und zwei in Wirtschaft gingen nach Israel; zudem drei Turing-Awards, eine Art Nobelpreis der Informatik, und eine Fields-Medaille für exzellente mathematische Leistungen. Wie ernst Forschung genommen wird, beweist schon eine simple Zahl: 4,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen in die Forschung (OECD, 2015). Zusammen mit Südkorea ist das weltweit Spitze; in Deutschland sind es knapp 3 Prozent. Der größte Teil des Geldes fließt an eine von nur sechs Universitäten im Land; und in das renommierte Weizmann-Institut, das als Forschungsinstitut Universitäts-Status hat. Genauso beeindruckend wie die Erfolge in der Forschung, ist die israelische Start-up-Szene. Nirgends auf der Welt ist die Dichte der Jungunternehmen höher als in der Gegend um Tel Aviv, wo geschätzte 6.000 Start-ups tätig sind. Viele der Firmen kommen aus dem Technologiebereich.
Die deutsche Wissenschaft unterhält enge Kontakte nach Israel. Das liegt zum einen an den vielen politischen Initiativen, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat, zum anderen aber auch an der Qualität der israelischen Wissenschaft. "Im Rahmen unserer internationalen Zusammenarbeit hat die deutsch-israelische Kooperation einen hohen Stellenwert", sagt Ute Stotz, die zuständige Referentin in der Gruppe Internationale Zusammenarbeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Konkret sichtet die DFG Anträge bi- oder trilateraler Forschungsvorhaben, bei denen neben deutschen und israelischen Wissenschaftlern palästinensische oder jordanische Partner beteiligt sind. Auch die Helmholtz-Gemeinschaft ist in Israel aktiv: Diese Woche eröffnet sie gemeinsam mit dem Weizmann-Institut im israelischen Rehovot ihr erstes Labor auf dem Campus eines ausländischen Partners (siehe Kasten). Das neue Institut soll in der Laser-Teilchenbeschleunigung eine neue Ära einläuten.
Die Rolle, die Technologie und Forschung in Israel spielen, erklärt sich zumindest zum Teil mit der geografischen Lage. Ein überwiegend aus Wüste bestehender Staat mit wenig Wasser konnte seine Bevölkerung absehbar nicht mit Landwirtschaft ernähren; die Grundlagen für eine Industrialisierung, etwa nach deutschem Vorbild fehlten. "Intelligenz ist der einzige Rohstoff, den wir haben", sagte bereits der erste Präsident Israels Chaim Weizmann. Das galt - und gilt bis heute - umso mehr, als unter den Zuzüglern immer viele Studierte oder Promovierte waren: Von der von den Deutschen im Nationalsozialismus verfolgten Wissenschaftselite bis zu den Hunderttausenden russischen Juden in den 1990er-Jahren, unter denen nach Schätzungen des israelischen Einwanderungsministeriums allein 50.000 Ingenieure, 13.000 Ärzte und 10.000 Wissenschaftler waren.
Zurückgreifen kann Israel auf eine breit ausgebildete Bevölkerung: mit 49 Prozent hat nahezu jeder zweite 25- bis 65-Jährige einen tertiären Bildungsabschluss, in Deutschland sind es 28 Prozent (OECD, 2015). Wer studiert, kann eins von 35 Colleges oder, wenn er Lehrer werden will, eine von 21 Pädagogischen Hochschulen (PH´s) besuchen; eine der sechs Präsenz-Universitäten oder am Weizmann-Institut. An den Colleges und PH´s sind mit rund 130.000 Menschen etwa genauso viele immatrikuliert wie an den Universitäten; hinzu kommen rund 50.000 Fernstudierende der "Open University". Studiengebühren, von rund 3.000 Euro pro Jahr an staatlichen Universitäten sind die Regel. Das Promotionsrecht haben auch in Israel nur Universitäten. Auch in Bildung investiert Israel mit 6,5 Prozent des BIP deutlich mehr als Deutschland (5,4).
Die Universitäten sind immer wieder an der Ausgründung von Start-ups beteiligt. Auch das deutsche Uni-Gründer-Stipendien-Programm EXIST, finanziert vom Bundeswirtschaftsministerium hat ein Auge auf kreative Israelis geworfen. Seit 2015 wirbt "EXIST Start-up Germany" gezielt Absolventen israelischer Universitäten an. Lisa Breford ist die Projektleiterin mit Sitz an der TU Berlin. Sie glaubt - wie auch die Autoren des einschlägigen Bestsellers Start-up Nation Israel* -, dass hinter dem Gründergeist ein ganzes Bündel von Faktoren steckt: von flachen Hierarchien und informellen Strukturen bis zu einer anderen Kultur des Scheiterns: "Einfach zu sagen ,Komm-wir machen-das-mal-eben', ist verbreiteter als bei uns," sagt Breford, "das macht das Umsetzen von Ideen wahrscheinlicher. Und wenn etwas nicht klappt, wird das viel stärker als bei uns beantwortet mit: ,Gut, dann versuchen wir etwas anderes'." Und: Auch die zwei bis drei Jahre Militärdienst, die Israelis verrichten müssen, fördert offenbar bei manchen den Erfindergeist: "In jeder Bewerbung steht, bei welcher Einheit jemand war", fällt Breford auf, "wer gut ist, kommt dort zum Beispiel in Kontakt mit Cyber-Technologien. Die spielen in der Start-up-Szene eine große Rolle." Einer der ersten EXIST-Stipendiaten, Ran Oren, der 2016 ins Gründerzentrum der Humboldt-Universität Berlin zog, hat noch eine weitere Theorie, wieso die Start-up-Kultur in Israel so ausgeprägt ist: "Wir kennen unsichere Verhältnisse. Wir leben in ihnen".
* Start-up Nation: The Story of Israel's Economic Miracle (Dan Senor + Saul Singer)
Gemeinsam neue Laser entwickeln
Auch die Helmholtz-Gemeinschaft unterhält enge Kontakte nach Israel. In dieser Woche wurde im israelischen Rehovot ein neues Forschungslabor ins Leben gerufen, das eine Brücke zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung schlagen soll: das Weizmann-Helmholtz Laboratory for Laser Matter Interaction (WHELMI). In diesem gemeinsamen Projekt des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) und des israelischen Weizmann Institute of Science sollen hochintensive Laser entwickelt werden.
Dank dieser extrem starken Lichtquellen lassen sich chemische oder biologische Prozesse beobachten, die extrem schnell ablaufen. Das wird entscheidend zum Verständnis dieser Prozesse beitragen. Ein zweiter Vorteil der neuen Laser ist, dass Anlagen, die beispielsweise in der Strahlentherapie zur Behandlung von Tumoren zum Einsatz kommen, dank der neuen Technik signifikant verkleinert werden können.
WHELMI ist das erste Labor, das die Helmholtz-Gemeinschaft auf dem Campus eines ausländischen Partners etabliert. "Mit WHELMI geben wir ein Modellbeispiel für eine langfristige Zusammenarbeit zwischen der Helmholtz-Gemeinschaft und einem international herausragenden Partner", sagt der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar D. Wiestler. "Ich bin davon überzeugt, dass wir durch die Kombination der jeweiligen Stärken große Fortschritte sowohl für die Laser-Forschung als auch für angrenzende wissenschaftliche Zweige, zum Beispiel die Krebs-Forschung, erzielen werden.
Die größte deutsche Forschungsorganisation unterstützt das Projekt deshalb in den kommenden fünf Jahren mit 1,25 Millionen Euro aus ihrem Impuls- und Vernetzungsfonds. Den gleichen Betrag steuert das HZDR bei, weitere 2,5 Millionen Euro fließen vom Weizmann-Institut in das gemeinsame Labor.
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