Stadt der Zukunft
Mehr Menschen, mehr Daten

Foto: GanJun/Imaginechina/Corbis
Forscher sind auf der Suche nach Konzepten für die Stadt der Zukunft. Wie bewegen wir uns fort? Wie kaufen wir ein, und wie wird unser Leben sicherer? Ein Werkstattbericht aus China, wo Wissenschaftler vor allem auf kluges Datenmanagement setzen.
Die Firma GCKS entwickelt viele solcher Produkte, mit denen sie Städte in sogenannte Smart Cities umwandeln will. Ihr Portfolio reicht von Cloud-Plattformen für die riesigen Datenberge der Stadtverwaltungen über öffentliche WiFi-Stationen bis zur digitalen Steuerung von Straßenlaternen. Smart City – der Begriff bedeutet allerdings mehr als nur die Digitalisierung einzelner Teilbereiche in einer Stadt: Ziel ist eine Integration aller Datenströme. Die aus verschiedenen Quellen gewonnenen Datenberge – genannt „Big Data“ – werden in neue Anwendungen umgepackt, um bessere Leistungen der Städte für ihre Bürger aufzubauen. Dazu gehören etwa „Open Data“, also der freie Zugang zu Behördendaten, aber auch intelligente Stromnetze und Verkehrslösungen.
Smart Cities sind in den vergangenen Jahren auch für Forscher auf der ganzen Welt zu einem wichtigen Thema geworden: Der ungebremste Zuzug in die Großstädte stellt die Wissenschaft vor ungeahnte Herausforderungen etwa beim Aufbau der passenden Infrastruktur und ausreichenden Versorgung oder der Entwicklung innovativer Wohn- und Arbeitskonzepte. „Im Jahr 1975 waren lediglich 38 Prozent aller Menschen Stadtbewohner. Seit 2008 lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten, voraussichtlich im Jahr 2030 werden es zwei Drittel sein“, heißt es beim Forschungsprojekt Future Megacities, das das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung initiiert hat.
<b>Eine Folge der Verstädterung</b> Die Hauptverkehrsadern sind regelmäßig verstopft, wie hier in Peking mit seinen insgesamt 5,53 Million Autos. Foto: TonyV3112/Shutterstock.com
Wenn die Staumelder mit den Fahrzeugen vernetzt wären, könnten Autos künftig gezielt um verstopfte Gebiete herumgeleitet werden.
Jeder kleine leuchtpunkt ist ein Elektrobus, ein elektrischer Kehrwagen oder ein anderes nutzfahrzeug
Gerade im Verkehrsbereich gibt es viele Ideen für nutzerfreundliche Einzellösungen: Forscher haben in Peking eine App entwickelt, die alle Ladestationen der Stadt für Elektroautos aufzeigt – inklusive der Entfernung zu dem Fahrer, der eine solche Station sucht. Das ist sinnvoll, da es bisher noch nicht viele Ladestationen gibt. „Unterstützt wird die App von unserem Big Data-Zentrum für Elektroautos in ganz China“, sagt Sun Fengchun, Direktor des Nationalen Ingenieurlabors für Elektroautos am Beijing Institute of Technology. Ein großer Elektrobildschirm in seinem Institut zeigt einen Straßenplan Pekings, auf dem sich als kleine Leuchtpunkte die 300 Elektrobusse der Stadt, elektrische Kehrwagen und andere städtische Nutzfahrzeuge bewegen. Solche Datensammlungen sind laut Experten zunächst vor allem nützlich, um daraus Modelle für andere Städte abzuleiten, die etwa elektrische Busse einführen möchten. Nach Ansicht vor allem westlicher Experten ist allerdings die Hemmschwelle, zu Forschungszwecken große Datenmengen zu speichern, in China deutlich geringer als im Westen, wo dies sofort Debatten über den Datenschutz auslösen würde.
Was die zunehmende Urbanisierung in Zahlen bedeutet, lässt sich schon heute in China beobachten. Seit Beginn der wirtschaftlichen Liberalisierung vor 30 Jahren sind mehr als 500 Millionen Chinesen in die Städte gezogen. 53,7 Prozent beträgt die Urbanisierungsrate derzeit, bis 2020 soll sie laut einem unlängst vorgelegten Urbanisierungsplan auf 60 Prozent steigen – das bedeutet noch einmal 90 Millionen neue Städter. Rund 40 Billionen Yuan (etwa 5,5 Billionen Euro) wird es kosten, diesen offiziellen Urbanisierungsplan umzusetzen, das Geld fließt vor allem in den Aufbau der nötigen Infrastruktur.
<b>Einparken per Smartphone</b> Das Deutsche Zentrum für Luft- undRaumfahrt forscht an einer Fernsteuerung für Autos. Bild: DLR
In China sind – ebenso wie in der EU – Anwendungen im Bereich Umwelt, Energie und Transport am beliebtesten. Das ist die Bilanz einer Vergleichsstudie zu Smart City-Pilotstädten in China und Europa, die von der EU-Kommission und der China Academy of Telecommunications Research herausgegeben wurde. Beim Aufbau von Open-Data-Systemen und Cloud-Computing sind die EU-Städte demnach den chinesischen Städten noch etwas voraus. In China ist laut der Studie zudem die Zentralregierung stärker involviert als in Europa, wo Städte zumeist recht unabhängig planen. Nach dem Willen der Planer soll in China der Zuzug zu den Megacities „strikt reguliert“ werden, sprich gebremst. Denn Peking und Shanghai haben bereits je 20 Millionen Einwohner, Guangzhou und Shenzhen im tiefen Süden je zehn Millionen. Zuzug in kleinere Städte hingegen wird gefördert. Und sie sollen besser angebunden werden: Bis 2020 bekommen laut Plan alle Städte mit bis zu 200.000 Einwohnern Bahnzugang, alle bis 500.000 Einwohner Anschluss an das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn. „Da die kleineren Städte im Zentrum des Urbanisierungsprogramms stehen, sind sie auch Kern der Forschung zu Smart Cities“, sagt Jiang Chuyun vom National Smart City Joint Lab. Ihr Büro hat sie in einem Hinterhof in West-Peking; das Forschungszentrum ist eine Art Dachorganisation für mehrere von der Regierung unterstützte Forschungsprojekte. In diesen sogenannten Joint Labs arbeiten Kommunen, Universitäten und Unternehmen zusammen. 2013 hatte das Ministerium für Wohnungsbau und Urbane und Ländliche Entwicklung für das China National Smart City Pilot Project 193 Lokalregierungen und Entwicklungszonen ausgewählt, was diesen den Zugang zu einem milliardenschweren Finanztopf der staatlichen Entwicklungsbank eröffnete.
<b>Digitale Verkehrsüberwachung</b> In Shanghai überwachen Angestellte des Digital Road Management Center das aktuelle Verkehrsaufkommen. Foto: Qilai Shen/In Pictures/Corbis
„Wir brauchen die Unternehmen, um Ergebnisse der Forschung auch in die Tat umzusetzen“, sagt Wan Biyu, Chief Scientist der Joint Labs. Smart-City-Konzepte helfen dabei, die Urbanisierung in die richtige Richtung zu steuern, ist Wan überzeugt. „Allerdings muss man es richtig machen. Der Masterplan einer Stadt muss geeignet sein, und die Technologie muss sehr sorgfältig ausgewählt werden.“ Denn passen muss sie nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Zukunft, wenn sich die Stadt weiterentwickelt.
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