Interview
Haben Maschinen ein Bewusstsein?
Technikfolgenforscher wollen sich dieser Frage in einem Projekt annähern. Eine endgültige Antwort werden sie wohl nicht finden. Wir sprachen mit Karsten Wendland, dem Leiter des Projektes.
Sie beschäftigen sich mit der Frage, ob Maschinen ein Bewusstsein entwickeln können. Wie gehen Sie an diese Frage heran?
Wir wollen zunächst einen Gesamtüberblick bekommen: Welche Theorien gibt es, welche Akteure, welches Gedankengut, was sind die Hintergründe? Manche neigen dazu, künstlicher Intelligenz sehr viel zuzutrauen und sie auch jetzt schon – zumindest sprachlich – zu vermenschlichen. Andere halten sie für dumm und in gesetzten Grenzen steuerbar. Es wimmelt von Zuschreibungen, Narrativen und sehr freier Auslegung von Begriffen rund um ein etwaiges zukünftiges Bewusstsein von Maschinen und von künstlicher Intelligenz. Mit dem Intelligenz-Begriff verhält es sich übrigens sehr ähnlich.
Welche Theorien sind die gängigsten?
Populär ist die Idee der „Bewusstseinsemergenz“, mit anderen Worten: Es entsteht irgendwie. Aber woran liegt das dann? Eine Position ist: Mit steigender Komplexität stellt sich ein solches Bewusstsein irgendwann automatisch ein. Es erscheint nicht aus dem Nichts, sondern aus der Komplexität der Algorithmik oder der Anzahl der Speicherzellen und des Vernetztheitsgrades. Da wird gerne die Analogie gezogen zu unseren Gehirnzellen, was sich auf der Ebene künstlicher neuronaler Netze ja durchaus bewährt hat. Würde man also sehr viele Neuronen nachbauen, die wechselseitig hin und her feuern, entstünde dann eine neue Qualität eines eigenen Bewusstseins. Mitunter kursiert die magische Zahl von 10 hoch 10 beteiligten Elementen als Eintrittsschwelle zu einem solchen Ereignis.
Das ist aber nur eine These?
Eine andere Position ist, dass das Bewusstsein beim Menschen an eine klare Auswahl von Einzelneuronen gebunden ist, auf die man sich konzentrieren sollte, um Bewusstsein künstlich zu erzeugen. Hier widersprechen ganz andere Positionen, die das, was wir Bewusstsein nennen, insgesamt als soziales Konstrukt wahrnehmen, das nicht eindeutig einem Kopf, Körper oder Leib zugerechnet werden kann. Aus diesen Positionen heraus liegen KI-Bewusstseinsüberlegungen im Bereich der Fantasie. Schließlich gibt es noch eine Reihe an besonderen Sichtweisen, etwa dass die KI aus dem Weltall kommt und uns nun über den Weg der vernetzten Technik langsam aber sicher unterwandert. Auch solche Positionen haben überzeugte Anhänger.
Was wollen sie mit diesen unterschiedlichen Theorien anfangen?
Wir wollen das Thema entmystifizieren. Ab Spätsommer werden wir identifizierte Vertreter unterschiedlicher Positionen und Disziplinen an neuralgischen gemeinsamen Punkten in den wissenschaftlichen Dialog miteinander bringen und einen Austausch anzetteln, von dem wir uns recht viel versprechen. Wir wollen dabei disziplinäre Grenzen überbrücken, an denen der Dialog zu diesem Thema bislang oft stecken geblieben ist, aus der Erfahrung: „Der andere versteht uns nicht, da muss man so weit ausholen …“ Aber oftmals reicht es, wenn man sich auf die Kernpunkte und auf die entscheidenden Kriterien konzentriert. Wenn es dann gelingt, sich im Diskurs die fachlichen Kriterien der anderen zu eigen zu machen, ist man plötzlich auch in seiner eigenen Disziplin viel ausdrucksstärker und kann Bezug nehmen – in diesem Fall auf die Bewusstseinskonzepte der anderen.
Was passiert nach diesem Dialog?
Nach dieser Phase wird ein Symposion veranstaltet, in dem wir den Diskurs zusammenziehen und fortsetzen. Mit den Ergebnissen gehen wir in den öffentlichen Diskurs, über Bürgerdialogformate, mit einer Podcast-Serie und einem Web-Angebot, sowie natürlich mit wissenschaftlichen Beiträgen aus unserem Projekt, so dass Interessierte die die ganzen Bewusstseinsspekulationen, die auch durch die Medien geistern, hoffentlich besser einordnen können. Damit sind ja auch viele Ängste und Befürchtungen verbunden.
Und wenn man nun schlüssige Argumente für Theorien findet, die eher beunruhigend sind?
Dann würden wir diesen Dingen erst recht auf Grund gehen und dabei die aufgebauten Kontakte aus den verschiedenen Disziplinen und Diskursarenen aktiv mit einbeziehen. Bislang sieht aber alles recht gut aus.
Aber es bleibt eine Diskussion unter Wissenschaftlern?
Nein, wir sprechen auch mit Leuten aus dem nicht-wissenschaftlichen Bereich – beispielsweise Science-Fiction-Autoren – und aus anderen Kulturkreisen. In Japan etwa herrscht bei vielen Bürgern ein völlig anderes Verständnis von der Grunddifferenz zwischen Mensch und Maschine. In einer weltanschaulichen Prägung wie dem Shintoismus steckt auch im Tintenstrahldrucker ein Stück Schöpfergeist. Steht man hingegen auf dem Standpunkt, der Mensch sei so etwas wie eine biologische Maschine und jede Zelle ein kleiner, autonomer Roboter, ist es natürlich leicht zu sagen: Wir bauen das technisch nach.
Welche Rolle spielt der Drang, etwas zu vermenschlichen, sobald es zu uns spricht, wie eine Handpuppe oder C3-PO aus „Star Wars“? Oder trauen wir der Technik mittlerweile schlicht alles zu?
Wir schreiben dem Navi in unserem Auto oder Robotern wie Sophia etwas Besonderes zu und gehen mit ihnen darum anders um als beispielsweise mit unserem Computerdrucker.
Wenn der Drucker nicht macht, was er soll, sprechen wir auch mit ihm …
Ja, dann wird geschimpft. Aber auch das ist nichts anderes als der Versuch, über die emotionale Ebene einen Zugang herzustellen. Nicht zufällig haben viele Autos Kosenamen. Dass die KI sich menschlich zeigt, gab es früher nur in der Science-Fiction. Es gibt eine schöne Schlüsselszene in „Nummer 5 lebt!“ („Short Circuit“): Während eines Gewitters schlägt der Blitz in einen Roboter ein und plötzlich hat er ein Bewusstsein.
Ein mystisch hoch aufgeladenes Bild …
Ja, in einem komplexen System entstehen plötzlich neue Eigenschaften, auch Fulguration genannt, nach dem lateinischen „fulgur“ für „Blitz“. Die Frage „Ist da was dran?“, kann Materie belebt werden, beschäftigt die Menschen seit Urzeiten. In der KI-Diskussion haben wir innerhalb und außerhalb der Wissenschaft derzeit die Situation, dass unterschiedliche Fraktionen ihre unterschiedlichen Wahrheiten dazu in die Welt setzen. Manche Kollegen aus der Philosophie sagen: „Vergesst das mit dem KI-Bewusstsein, das wird nichts.“ Aus der Informatik heißt es: „Wir bauen doch solche Systeme schon längst und die werden immer besser.“
Es gibt die verschiedensten Theorien und Ansätze, wie so ein künstliches Bewusstsein aussehen könnte. Aber wie differenziert sind die Argumente derjenigen, die sagen: KI wird niemals ein Bewusstsein entwickeln?
Mein Eindruck: Wer sich wirklich auf das Thema einlässt, tritt irgendwann weniger apodiktisch auf. Bis dahin ist es aber mitunter ein längerer Erkenntnisweg. Ein Techniker baut vielleicht einen autonomen Rasenmäherroboter und sagt: „Er kann sich in der Umwelt bewegen, weil er sie in sich abbildet, er hat Sensorik, Aktorik und ein Gedächtnis, das entspricht doch schon zu 90 Prozent unserer Bewusstseinskriterien.“ Dazu sagt der Psychologe: „Um Himmels Willen, nicht im Entferntesten!“ Wenn sie erst anfangen, miteinander zu sprechen, werden auch hartgesottene Vertreter einer bestimmten Richtung plötzlich nachdenklich. Darauf wollen wir wissenschaftlich hinaus: Eine Brücke bauen, damit ein übergreifender Diskurs zustande kommt. Wir setzen sehr stark auch auf persönliche Einzelgespräche, die es Wissenschaftlern ermöglichen, Dinge zu sagen, die sie so nicht schreiben würden. Aus Angst, dass sie sich durch die Beschäftigung mit dem Thema Bewusstsein einen wissenschaftlichen Reputationsschaden einhandeln. Es ist wenig messbar, schwer greifbar und dingfest zu machen. Ich habe in den letzten Monaten schon die tollsten Sachen erzählt bekommen.
Das Projekt „Abklärung des Verdachts aufsteigenden Bewusstseins in der Künstlichen Intelligenz“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
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