Fokus@Helmholtz
Wissenschaft in der Vertrauenskrise?
Fälschungen, Plagiate und sensationelle Entdeckungen, die am Ende keine sind. Immer wieder werden wir mit Schlagzeilen über Fehler in der Wissenschaft konfrontiert. Ist der Eindruck richtig, dass Fälle von Fehlverhalten und so genannten „dummen Fehlern“ zunehmen? Wenn ja – was bedeutet das für die Reputation der Wissenschaft insgesamt? In Berlin suchten Vertreter aus Wissenschaft, Gesellschaft und Medien nach Antworten
Podiumsdiskussion:Dr. Leonie Mueck, Nature, Dr. Norbert Lossau, Die Welt, Prof. Dr. Jens Reich, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch, Prof. Dr. Peter Weingart, Universität Bielefeld. Moderation:Jan-Martin Wiarda, Helmholtz-Gemeinschaft
Gibt es eine Vertrauenskrise der Wissenschaft? Innerhalb der Scientific Community vielleicht, in der Öffentlichkeit eher nicht. Gleich zu Beginn der Veranstaltung zeigte Peter Weingart in seinem Impulsvortrag auf, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft nach einer Krise zwischen 1995 und 2008 heute eher wieder steigt. Wissenschaftler sind in der Bevölkerung hoch angesehen und genießen großes Vertrauen – nur Ärzte und Verfassungsrichter haben ein noch höheres Ansehen. Die publik gewordenen Fälschungen und Plagiate scheinen sich nicht negativ auszuwirken. Dennoch gab und gibt es Fehlentwicklungen, die Vertrauen beschädigen.
Da ist zum einen die Rolle des Wissenschaftlers als Experte in öffentlichen Diskussionen. In der Debatte um die Nutzung der Atomenergie in den 1970er Jahren traten Wissenschaftler erstmals als Experten auf, die für die eine oder die andere Seite Stellung bezogen. „Die Wissenschaft verstrickt sich hier oftmals zu sehr in politische Diskussionen und der Experte zieht die Grenze zwischen seiner fachlichen Einschätzung und seiner persönlichen politischen Meinung nicht immer klar“, so Weingart. Kritisch sieht der Soziologe auch die Rolle der Wissenschaft bei der Abschätzung von Risiken, etwa bei der Vogelgrippe oder der Gentechnik. Auch hier trennten die Wissenschaftler oft nicht klar genug zwischen wissenschaftlichen Fakten und persönlicher Meinung. Zudem würden Unsicherheiten, die es gerade bei der Bewertung von Risiken gibt, oft nicht klar benannt. Eine weitere Gefahr für das Vertrauensverhältnis Bevölkerung - Wissenschaft sieht Weingart in Betrugsfällen, darüber hinaus in Übertreibungen mit denen Medien und PR-Abteilungen Wissenschaft in die Öffentlichkeit kommunizieren.
Die anschließende Podiumsdiskussion drehte sich zunächst um Fälschungen und wissenschaftliches Publizieren: Keiner der Diskutanten war sich sicher, ob es heute wirklich mehr Betrugsfälle gibt als in der Vergangenheit. Einigkeit herrschte darüber, dass der Druck und die Konkurrenz unter Forschern zugenommen haben und das diese Umstände Fälschungen begünstigen. Leonie Mueck berichtete, dass nach wie vor nur eine Handvoll der jährlich in Nature erscheinenden Artikel zurückgezogen werde. Die Anzahl der kleinen Korrekturen habe dagegen erheblich zugenommen. Scheinbar sind es weniger die großen spektakulären und bewussten Betrugsfälle, die zunehmen, sondern eher die kleinen Unsauberkeiten und Schlampigkeiten, die vermutlich durch den Publikationsdruck vermehrt auftreten. Auch Norbert Lossau wies darauf hin, dass Fälschungen wohl weniger in der Spitzenforschung vorkommen, wo die Ergebnisse nach der Veröffentlichung von der Fachcommunity gründlich geprüft würden. „Es ist wohl eher die drittklassige Forschung, wo so etwas passiert und nicht so schnell bemerkt wird“, so Lossau.
Funktioniert das Peer Review Verfahren - also die Begutachtung und Auswahl von wissenschaftlichen Artikeln durch Expertengremien - gut genug, um Fehler zu entdecken? Laut Peter Weingart nimmt die Sorge um die Qualität des Peer Review Verfahrens innerhalb der wissenschaftlichen Community zu. Die Begutachter seien oft überfordert. Hinzu komme, dass auch bei Nature und Science nicht nur die wissenschaftliche Relevanz, sondern auch das zu erwartende Medienecho eine Rolle bei der Auswahl der Artikel spiele. Eine These, der Mueck vehement widersprach: „Bei Nature machen wir seit Jahrzehnten denselben Job: Die Auswahl und Publikation von Artikeln nach wissenschaftlicher Relevanz“. Geändert habe sich dagegen die Reaktion von Medien und der Wissenschaft auf die Veröffentlichungen des Fachmagazins.
Was kann die Wissenschaft tun, um die Situation zu verbessern? Hier herrschte weitgehend Konsens auf dem Podium: Wichtige Schritte wären mehr Transparenz und eine Veröffentlichung möglichst vieler Rohdaten. Auch Negativergebnisse sollten grundsätzlich veröffentlicht werden. Der Impact Factor setze falsche Anreize und sollte hinterfragt werden. Jens Reich legte noch einmal besonderen Wert darauf, die Situation junger Forscher zu verbessern. „Der Nachwuchs macht die Knochenarbeit und hat den Karrieredruck“. Besonders in den Lebenswissenschaften sei der Publikationsdruck enorm. Hier, so Reich müsse etwas getan werden.
Stimmen der Diskutanten
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