Direkt zum Seiteninhalt springen

Umweltfreundliche Garnelen-Alternative aus dem Labor

Sina Tönges vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) mit einem Marmorkrebs. Bild: Frank Lyko

Die Herausforderung

Die Zucht von Garnelen in offenen Aquakulturen, wie sie aktuell meist in Südostasien praktiziert wird, ist ökologisch problematisch: Häufig bringen die Farmen die natürlichen Gewässer in ihrem Umfeld aus dem ökologischen Gleichgewicht. Etwa weil für sie Mangrovenwälder gerodet werden oder die Zuchttiere mit Hormonen und Medikamenten gefüttert werden, die dabei auch in die Umgebung entweichen. Zudem gelangt auch das Abwasser der Anlagen in die Umwelt, meist ungefiltert – durch Futterreste und Ausscheidungen der Tiere enthalten sie dann oft besonders viel belastenden Stickstoff. Vielerorts gelten auch die Arbeitsbedingungen in den Farmen als miserabel. Doch auch Krabben, die in Europa gefangen werden, bringen Probleme mit sich: Meist setzen Fischer dabei Schleppnetze ein – eine Fangmethode, die den Ökosystemen des Meeres schaden. Zur Verarbeitung wird der Fang dann in der Regel nach Nordafrika transportiert, von dort gelangt das Krabbenfleisch dann für den Verkauf zurück nach Europa – bei diesen Transporten wird viel CO2 ausgestoßen. Auf der anderen Seite sind die Krustentiere wichtige Nahrungslieferanten. Zudem liefern die Panzer der Tiere einen wichtigen Grundstoff für Bioplastik: Chitin.

Unsere Lösung

Eine weit weniger problematische Garnelen-Alternative für die Nahrungsmittel- und Kunststoffindustrie kommt überraschenderweise aus der medizinischen Krebsforschung. Denn am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat der Biologe Frank Lyko mit seinem Team eine Kolonie von Marmorkrebsen aufgebaut: Diese Flusskrebse sind erst seit den 1990er Jahren bekannt und entstand vermutlich in einem deutschen Privataquarium: Dessen Besitzer hatte Amerikanische Flusskrebse gekauft. Bei einem dieser Tiere muss es spontan zu einer Genmutation gekommen sein. Der dabei entstandene Marmorkrebs vermehrt sich sehr stark. Für die Forscher am DKFZ sind diese Tiere interessant, weil sie sich durch Jungfrauengeburt vermehren – sich also gewissermaßen klonen. Bei ihrer Arbeit mit den Marmorkrebsen stellten die Wissenschaftler:innen jedoch auch fest, dass die Art besonders anspruchslos in der Haltung ist und sich ideal für die Aquakultur im geschlossenen Kreislauf eignet.

Ein solches System hat die Firma Merall Bio, eine Ausgründung des DKFZ, entwickelt: Sie will damit künftig Marmorkrebse züchten und die Tiere dabei ganzheitlich nutzen – ihr Fleisch dient als Nahrungsmittel, aus dem Panzer der Krebse wird Chitin gewonnen. Im Vergleich zu anderen Zuchttieren ist ihre Verwertungsbilanz dabei extrem gut: Für ein Kilo Wachstum benötigen sie nur 1,4 Kilo Futter. Zum Vergleich: Rinder brauchen etwa sechsmal so viel. Gleichzeitig gilt das Fleisch der Marmorkrebse als besonders nährstoffreich: Es enthält 16 Prozent Protein bei nur 0,3 Prozent Fett. Der Panzer der Tiere wiederum liefert dreimal mehr Chitin als die Außenhaut von Garnelen. Und der Panzer der Marmorkrebse enthält noch weitere interessante Stoffe, etwa Astaxanthin. Dieser natürliche rote Farbstoff wird für Nahrungs- und Futtermittel verwendet und ist sehr nachgefragt.

Merall Bio hält die Tiere in geschlossenen Bioflocsystemen, die nur wenig Wasser und Energie verbrauchen, weil sich eine Symbiose aus Bakterien, Algen und den Krebsen bilden, sodass das Wasser gereinigt und Futter deutlich effizienter verwertet werden kann, So kann auch die Wasserqualität der Becken stetig überwacht werden, was den Einsatz von Antibiotika bei der Zucht überflüssig macht. Durch die in sich autarken Anlagen ist auch ein Kontakt zu natürlichen Gewässern ausgeschlossen – was wichtig ist, weil Marmorkrebse als invasive Art gelten.

Wie wir schon heute davon profitieren

Merall Bio hat bereits Prototypen der Zuchtanlagen gebaut, nun will das Start-up eine kleine Produktion aufbauen und die Markteinführung des Krebsfleisches vorbereiten. Es soll künftig ähnlich wie gepultes Krabbenfleisch angeboten werden – schließlich wird der Panzer der Tiere weiterverarbeitet zu Biokunststoff. Dafür hat Merall Bio eine eigene Bioraffinerie aufgebaut: Sie arbeitet deutlich umweltfreundlicher als vergleichbare Anlagen in Südostasien, die Natronlauge und Salzsäure nutzen. Ein erstes Produkt aus Biokunststoff hat das junge Unternehmen bereits entwickelt: Strohhalme. Doch das soll nur der Anfang sein: Das Krebs-Chitin eignet sich zum Beispiel auch für Lebensmittelverpackungen oder für den Einsatz in der Landwirtschaft und der Bauindustrie.

Alle Solutions

So neugierig wie wir? Entdecken Sie mehr.