„Saat kann nur aufgehen, wo sie auf fruchtbaren Boden trifft“
Wenn wissenschaftliche Ergebnisse in Anwendungen überführt werden sollen, müssen Wissenschaft und Unternehmen zusammenarbeiten. Das kann mitunter eine Herausforderung darstellen: Unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Perspektiven und die Herstellung einer Win-Win-Situation für beide Partner.
Wir hatten das Glück, mit den handelnden Personen hinter einer sehr erfolgreichen Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie zu sprechen. Ruth Wellenreuther vom Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ und Holger Hess-Stumpp von Bayer berichten, wie es zur Kooperation zwischen Bayer und dem DKFZ vor über 10 Jahren kam, warum sie bis heute anhält und was die beiden Partner noch alles gemeinsam erreichen wollen.
Wieviel Erfahrung hatten Sie schon mit solchen oder so ähnlichen Forschungskooperationen?
Hess-Stumpp: Es gibt natürlich schon seit vielen Jahrzenten Forschungskooperationen zwischen Bayer und akademischen Einrichtungen, die eine klare strategische Zielsetzung hatten. Früher gab es bestimmte Etats, wir kannten bestimmte Forscher, mit denen wir zusammenarbeiten wollten oder manchmal hat sich eine Kooperation zufällig ergeben. Heute läuft es auf der Basis von sogenannten „Landscaping Analysen“ in einer sehr systematischen und strategischen Art und Weise ab. Die Zusammenarbeit mit dem DKFZ ist aber für uns etwas Besonderes. Sie besteht nun schon seit über 10 Jahren. Anfangs, im Jahr 2008, hatten wir einen Vertrag über zwei Jahre abgeschlossen, den wir dann mehrfach verlängert haben. Darüber hinaus haben wir auch immer den inhaltlichen Schwerpunkt angepasst.
Wellenreuther: Auch das DKFZ hatte und hat Kooperationen mit zahlreichen Firmen. Eine ähnlich breit aufgestellte strategische Partnerschaft wie mit Bayer hatten wir vorher bereits mit der Firma Siemens.
Was waren denn die Voraussetzungen dafür, dass die Kooperation ins Leben gerufen wurde?
Hess-Stumpp: Für uns als Unternehmen ist es wichtig, nah am Ball zu bleiben und die neuen Entwicklungen auf vielen Gebieten mitzuverfolgen. Das ist der Hauptgrund für Kooperationen mit der Forschung. Wir haben bestimmte Expertisen im Unternehmen, können aber auch nicht jedes Mal innerhalb kürzester Zeit der Experte auf einem komplett neuen Gebiet werden. Insofern sind die sich ergänzenden Expertisen der Partner eine der wichtigen Voraussetzungen für eine Kooperation.
Wellenreuther: Sehr wichtig ist auch, die Vision von so einer Zusammenarbeit zu teilen. Das war bei unserer Kooperation der Fall und hat uns auch die wichtige Rückendeckung vom Management auf beiden Seiten gebracht.
Welche Phasen hat Ihre Kooperation seit dem Beginn durchlaufen?
Wellenreuther: Nachdem wir zunächst einen starken Fokus auf dem Thema Anti-Angiogenese, Epigenetik und anderen Themen hatten, haben wir im Jahr 2013 die Zusammenarbeit durch ein Joint Lab erweitert. Dort entwickeln wir gemeinsam Projekte im Bereich Immuntherapie, die weiter fortgeschritten sind. Allerdings war die Immuntherapie von Anfang auch ein Thema in unserer Zusammenarbeit. Neu hinzu kam das gemeinsame Labor, in dem heute Bayer- und DKFZ-Mitarbeiter zusammen an Projekten arbeiten. Hintergrund dieses Joint Labs war, dass verschiedene Projekte im Bereich Immunonkologie mit ähnlichen Anforderungen existierten, sodass Synergien genutzt werden können. Für uns hat das den Vorteil, dass wir kontinuierlich Expertise im Bereich Immunonkologie aufbauen können. In der akademischen Welt ist eine hohe Fluktuation aufgrund der befristeten Arbeitsverträge normal. Im Joint Lab war es möglich, mit weniger personellem Wechsel längerfristige Expertise zum Beispiel im Bereich T-Zell-Essays aufzubauen und zu halten. Zugleich ist das Joint Lab auch ein hervorragender Qualifizierungsort für Postdocs, die später gerne in die Industrie gehen möchten.
Darüber hinaus hat sich die Struktur unserer Zusammenarbeit eigentlich nicht grundlegend verändert. Natürlich gab es immer wieder Anpassungen im Vertrag, die sich aus den Erfahrungen in der Praxis ergeben haben. Bei allen nachvollziehbaren Unterschieden zwischen einem Unternehmen und einer Forschungseinrichtung eint uns dennoch das gemeinsame Ziel, dass wir wissenschaftliche Ergebnisse aus der Krebsforschung in die Anwendung bringen wollen. In den Komitees hat es schon ein paar Jahre gedauert, bis man verstanden und akzeptiert hat, wie der andere tickt. Es kommt in unserer Zusammenarbeit auch mal vor, dass ein Projekt aus strategischen Business-Gründen terminiert wird. Dies ist aber die Ausnahme und die Erklärungen des Partners zu den Gründen sind nachvollziehbar. Es ist zwar manchmal enttäuschend für die Wissenschaftler, wenn ein Projekt aus diesen Gründen nicht weiterverfolgt wird, aber ich glaube, dass beide Seiten in den letzten zehn Jahren gelernt haben, die Sichtweise des Partners zu verstehen. Darüber hinaus gehen die Rechte an dem Projekt dann zurück an das DKFZ, und die Wissenschaftler können weiter an dem Projekt arbeiten.
Hess-Stumpp: Und wir haben es in der Zeit auch immer wieder geschafft, neue Themen zu identifizieren. In der Konsequenz hat es immer wieder auch einen inhaltlichen Wandel oder einen Wandel inhaltlicher Schwerpunkte gegeben.
Wellenreuther: Viele Themen waren strategisch nicht geplant, sondern haben sich einfach ergeben. Manche Projektvorschläge kommen von den Wissenschaftlern genau in ein bestimmtes Portfolio passend. Das ist ein Prozess, in dem nicht alles planbar ist.
Hess-Stumpp: In diesem Umfeld ist nicht alles planbar. Es ist immer die Frage, wie man sowohl als Firma als auch als Forschungszentrum auf neue wissenschaftliche Entwicklungen reagiert, um dann auch bestimmte Schwerpunkte zu bearbeiten.
Gab es denn bei diesen Fragen auch mal gegensätzliche Meinungen?
Wellenreuther: Es gab schon einzelne Projekte, wo man unterschiedlicher Meinung war. Ein Projekt kann nur funktionieren, wenn beide Seiten es wollen, ganz einfach. Wenn wir einen Projektvorschlag machen und Bayer kein Interesse dran hat, wird es nicht funktionieren. Die Saat kann nur aufgehen, wo sie auf fruchtbaren Boden trifft. Und das gilt nicht nur für die Kooperation als Ganzes, sondern auch für die operative Ebene im Labor, denn letztlich sind es die Menschen, die zusammenarbeiten können oder eben nicht. Dass die Chemie innerhalb des Projektteams stimmt, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Projekt gut läuft. Am Anfang weiß man das leider nicht unbedingt. Man muss sich erst einmal gemeinsam ausprobieren. Auf Kooperationsebene gab es allerdings nie eine Situation, die so kritisch war, dass die nächste Vertragsverlängerung auf der Kippe stand.
Hess-Stumpp: Das war tatsächlich auch bei uns nicht der Fall. Wir haben natürlich immer wieder eine unterschiedliche Sichtweise auf bestimmte Projekte. Ich erinnere mich noch gut an eine kritische Diskussion über einen Projektvorschlag, die wir vor kurzem geführt haben. Ein anderes Beispiel war ein Projekt, das wir in der klinischen Entwicklung hatten. Bayer hat sich dann entschieden, die Entwicklung einzustellen. Daraufhin hat das DKFZ das Projekt eigenständig weitergeführt. Das finde ich sehr positiv und ich glaube, es ist ein gutes Zeichen, dass auch das innerhalb einer Kooperation möglich ist. Wir betreten eben auch nach zehn Jahren der Zusammenarbeit immer wieder neue Felder, lernen voneinander und schauen, wie wir das voranbringen wollen. Es gibt dabei immer wieder Aufgaben, für die wir keine Blaupause haben. Also wie bringen wir das zusammen nach vorne? Das finde ich auch eines der spannenden Themen unserer Zusammenarbeit.
Worauf führen Sie es zurück, dass die Kooperation nie zu scheitern drohte?
Hess-Stumpp: Ich glaube, es ist einfach der Erfolg, den wir über die Jahre erzielt haben. Wir haben verschiedene Meilensteine im Rahmen dieser Kooperation gemeinsam erreicht. Das war schon ein wesentlicher Treiber für diese Zusammenarbeit. Im Sommer 2019 haben wir die dritte gemeinsam entwickelte Substanz in die klinische Prüfung gebracht.
Welche Erfolge haben Sie noch durch die vereinten Kräfte erzielt?
Wellenreuther: Unser Hauptziel ist, das Wissen um die molekularen Ursachen und Prozesse von Krebserkrankungen in die Anwendung zu bringen. Und da zählen natürlich die Meilensteine, die wir in den Projekten erreichen, als Erfolge. Wie viele Projekte wurden schon auslizenziert? Wie viele sind in der Klinik? Das sind natürlich alles Kennzahlen, die uns wichtig sind. Das durch die Projekte generierte wissenschaftliche Wissen haben wir schon ganz oft am Ende zu gemeinsamen Publikationen geführt. Das schreiben wir uns natürlich genauso auf die Fahnen. Ich denke, das sind die Hauptsäulen des Erfolgs: Die Projekte, die wirklich Richtung Klinik gehen und gemeinsame wissenschaftliche Publikationen.
Hess-Stumpp: Ein großer Erfolg ist natürlich das gemeinsame Lernen im Laufe der Jahre. Wir als Pharmapartner haben auch gelernt, dass Publikationen extrem wichtig sind. Wir erleben es immer wieder, wenn wir mit Substanzen in die Klinik gehen und wir gefragt werden: „Habt ihr dazu schon Publikationen?“ So haben wir einen bestehenden intrinsischen Interessenskonflikt zwischen Publikationen auf der einen Seite und Geheimhaltung auf der anderen Seite weitgehend aufgelöst.
Was haben Sie noch voneinander gelernt?
Wellenreuther: Früher galt die Industrie hier in Deutschland in der Wissenschaft immer so ein bisschen als böse. Ja, eine Firma will natürlich Geld verdienen. Das ist nicht so ganz verwunderlich, weil wir ja in einer Marktwirtschaft leben. Trotzdem gab es früher Wissenschaftler, die sich damit schwergetan haben. Da hat sich in den letzten Jahren viel geändert. Heute sagt man einfach: Okay, wir haben zwar mitunter unterschiedliche Sichtweisen, aber wir haben auch sehr viel gemeinsam. Auch für die Firma ist es wichtig, die molekularen Prozesse hinter Therapieansätzen zu verstehen, und für den akademischen Partner ist es wichtig, seine Ergebnisse auch in die Anwendung zu bringen und eine angemessene Vergütung dafür zu bekommen, die er dann wieder die Grundlagenforschung investieren kann.
Es gibt auch ganz kleine Lernerfolge. Zum Beispiel die Erkenntnis, wie Pharma im Vergleich zur Wissenschaft auf ein mögliches therapeutisches Target schaut. Das sind ganz unterschiedliche Sichtweisen. Ein Beispiel: Ein Wissenschaftler hat die interessante Beobachtung gemacht, dass Zellen aufhören sich zu teilen, wenn er ein bestimmtes Gen hemmt. Es wurde aber in der gemeinsamen Diskussion klar, dass dieser Effekt erst nach über zehn Zellteilungen eintritt. Das ist natürlich für den Forscher mit den Tumorzellen in der Kulturschale kein Problem. Aber bei einem Patienten kann man so lange nicht warten, zehn Zellteilungen oder mehr bedeutet ein enormes Tumorwachstum. Der Projektvorschlag wurde daher abgelehnt. Aber der Forscher ist aus der Diskussion mit einem Aha-Erlebnis herausgegangen. Er war eben Grundlagenforscher und kein Arzt.
Was wollen Sie noch zusammen erreichen?
Hess-Stumpp: Wir haben kürzlich eine Nachwuchsgruppe zum Thema molekulare Biologie der systemischen Radiotherapie gemeinsam gestartet. Die molekularen Grundlagen vor allem von systemischen Therapien mit Alphastrahlern sind noch wenig bekannt, hier gibt es ein großes akademisches Interesse. Es ist aber auch für uns für die Entwicklung solcher Therapeutika enorm wichtig, die molekularen Grundlagen besser zu verstehen. Gleichzeitig gibt es für uns Chancen, neue gemeinsame Projekte in diesem spannenden Thema aufzusetzen.
Ein zweiter Aspekt ist, dass wir noch stärker im klinischen Bereich kooperieren wollen. Hier sind strategische Initiativen des DKFZ mit klinischen Partnern für unsere Zusammenarbeit natürlich von verstärktem Interesse, weil wir unsere gemeinsamen Projekte auch gemeinsam in die Klinik begleiten wollen. Bis Ende 2023, so lange läuft unser derzeitiger Vertrag, erwarte ich, dass wir noch die eine oder andere gemeinsam entwickelte Substanz in die klinische Anwendung bringen können. Daher wollen wir den klinischen Aspekt in unserer Kooperation stärker betonen und die Zusammenarbeit mit den klinischen Partnern des DKFZ intensivieren.
Wellenreuther: Ja, die klinische Entwicklung unserer Forschungsergebnisse wird beim DKFZ im Moment auch sehr stark vorangetrieben. Ich glaube, da haben wir noch erhebliches Potenzial. Viele DKFZ-Wissenschaftler und -Mediziner haben ja auch ein klinisches Standbein und sind natürlich hochinteressiert, sich auch bei der klinischen Entwicklung der Projekte einzubringen. Bei all dem dürfen wir nicht vergessen, für einen kontinuierlichen Nachschub an frühen, neuen Projekten zu sorgen. Auf all diesen Feldern gleich gut und gleich aktiv zu sein, ist manchmal nicht so einfach. Es bleibt also auch in der Zukunft herausfordernd.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führten Lin Wang und Christopher Kerth aus dem Bereich Innovation und Transfer der Helmholtz-Gemeinschaft.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum und Bayer arbeiten seit 2008 in einer strategischen Allianz zusammen, die sich auf die Identifizierung und frühe Entwicklung neuer Therapieansätze für Krebserkrankungen konzentriert. Ziel dieser Kooperation ist es, neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Krebsforschung möglichst rasch in die Entwicklung neuer Medikamente oder Therapien zu überführen.