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Raumfahrtmedizin

Zwillingsforschung für die Reise zum Mars

Scott Kelly. Bild: NASA

Die Brüder Kelly sind ein Glücksfall für die Raumfahrtmedizin. Während Scott fast ein Jahr auf der ISS verbrachte, blieb sein Zwillingsbruder auf der Erde. Beide wurden intensiv medizinisch untersucht. Die Auswertung der Daten könnte wichtige Erkenntnisse für die Reise zum Roten Planeten bringen.

Als Scott Kelly am 2. März diesen Jahres das erste Mal nach 340 Tagen im All wieder irdischen Boden betrat, war er vor allem eins: wackelig auf den Beinen. „Es fiel mir leichter, mich an den Weltraum zu gewöhnen als nach einem Jahr im All an die Bedingungen auf der Erde“, klagte der US-amerikanische Astronaut noch zweieinhalb Monate später, „meine Beine sind schwer und die Füße schmerzen noch immer.“ Es war seine vierte und letzte Raumfahrtmission, und sie sollte auch wichtige Erkenntnisse für einen bemannten Flug zu unserem Nachbarplaneten Mars liefern. 

Rund 210 Tage dauert allein der Hinflug zum Roten Planeten. Neben all den technischen Problemen, die sich ergeben, ist auch der menschliche Körper einer extrem hohen Belastung ausgesetzt. „Die Schwerkraft der Erde wirkt zu jeder Zeit und an jedem Ort auf der Erde auf den menschlichen Körper ein“, so Dr. med. Ulrich Limper, Arbeitsgruppenleiter Herzkreislaufphysiologie am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln, „damit ist sie einer der einflussreichsten Umweltfaktoren für uns Menschen.“

Wie verändern sich also Muskeln, Knochen, Nerven und Zellen im Weltraum? Um diese Frage zu beantworten, wurden Kelly in strengen Rhythmen Proben von Blut, Urin, Speichel und anderen Körperflüssigkeiten entnommen. Doch er war nicht der einzige, der in dieser Zeit unter medizinischer Beobachtung stand. Denn während Scott Kelly in 400 km Höhe das Prozedere über sich ergehen ließ, wurde sein Bruder Mark Kelly auf der Erde den genau gleichen Untersuchungen unterzogen. Für Weltraummediziner bringen die beiden eine wertvolle Voraussetzung mit: Sie sind eineiige Zwillinge und besitzen daher die gleiche genetische Konstitution. Während Scott im All die Versuchsperson war, diente Mark auf der Erde als perfekte medizinische Kontrolle.

Zwar handelt es sich so letztlich um eine Studie mit nur zwei Versuchspersonen. „Die Ergebnisse können trotzdem mit Vorsicht auch auf einen größeren Personenkreis übertragen werden“, sagt Weltraummediziner Limper. „Falls sich zum Beispiel herausstellt, dass bestimmte Genregulationen bei den beiden Brüdern bei der Studie unterschiedlich waren, können diese Unterschiede mit dem Einfluss der Schwerelosigkeit assoziiert werden.“

Zehn verschiedene Projekte werden im Rahmen der Zwillingsstudie durchgeführt. Beispielsweise wurden den Brüdern in regelmäßigen Abständen Grippeschutzimpfungen gegeben, um das Verhalten des Immunsystems im Weltraum zu überprüfen. Ein anderes Projekt beobachtet die Zellalterung bei Scott Kelly: Haben sich die Telomere verändert, also die Enden seiner Chromosomen? Je kürzer sie sind, desto geringer scheint die Lebenslänge eines Organismus' zu sein.

17 Monate wird es dauern, bis der komplette Datensatz gesichtet ist. Die ersten Erkenntnisse kann man vermutlich in sechs Jahren erwarten. Ein Ergebnis steht jetzt schon fest: Scott Kelly war nach der Landung fünf Zentimeter größer als sein Bruder. Aber auch andere Veränderungen sind zu erwarten. Ohne Schwerkraft fehlt zum Beispiel die sonst übliche Belastung auf Hüfte, Beinen und Rückgrat. Das führt zu Knochenabbau und dadurch brüchigen Knochen: Kalzium wird im Körper freigegeben und kann so Nierensteine verursachen. Bei mangelndem Training verkümmern auch die Muskeln. Das Herz kann bei geringerer Belastung ebenfalls kleiner werden.

Zudem ist unser Gefäßsystem so angelegt, dass es Blut und andere Körperflüssigkeiten entgegen der Schwerkraft nach oben pumpt. Ohne Gravitation schwillt das Gesicht an und die Beine werden dünner. Auch die Augen leiden: Unter anderem berichten Forscher der NASA von Verformungen des Glaskörpers und der Linse, weshalb noch mehrere Monate nach der Landung bei Astronauten Sehstörungen und -schwächen auftreten können. Und schließlich herrscht im Weltraum eine wesentlich höhere Belastung mit radioaktiver Strahlung als auf der Erde. Das erhöht das Risiko für Krebserkrankungen und möglicherweise auch für koronare Herzkrankheiten.

Weltraummediziner wollen daher schon frühzeitig geeignete Gegenmaßnahmen entwickeln. Einige der Bedingungen aus dem All können auf der Erde simuliert werden. Am DLR in Köln gibt es zum Beispiel seit 2013 ein eigenes Großraumlabor für derartige Experimente, das :envihab. Es verfügt über verschiedene Einrichtungen und Geräte, beispielsweise ein Schlaflabor oder eine Zentrifuge, in der ein Mensch erhöhter Schwerkraft ausgesetzt werden kann. In einem anderen Teil des Labors werden veränderte atmosphärische Bedingungen nachgestellt.

Trotzdem: „Auf der Erde kann die Schwerkraft nicht einfach ausgeschaltet werden“, sagt der Physiologe Limper. „Simulationsstudien sind mittels Kopftieflage in Bettruhe oder durch Schweben im Wasser möglich – aber um über die vielfältigen medizinischen Probleme des Astronauten zu lernen und sie vermeiden zu können, sind Studien im Weltraum unumgänglich.“ 

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