Arzneimittel
Zwei Krankheiten mit einer Pille schlagen
Forscher finden in bewährten Arzneimitteln immer häufiger neue Wirkungen. Das lohnt sich für die Pharmaunternehmen – und für die Patienten.
Medikamente gehören für die meisten Menschen wohl eher zu den unangenehmen Begleiterscheinungen des Lebens. Schließlich nimmt man sie ein, wenn es um die Gesundheit nicht zum Besten steht. Da hilft dann eine Tablette gegen Kopfschmerzen, ein Saft gegen Husten oder eine Pille gegen Bluthochdruck. Manchmal haben diese Helfer aber noch andere als die erwünschten Effekte – und das müssen nicht immer unliebsame Nebenwirkungen sein. Mitunter kann dann aus einem Problem die unerwartete Lösung für etwas ganz anderes werden.
Eines der vielleicht bekanntesten Beispiele ist ein Mittel gegen die Pein im Kopf. Die Acetylsalicylsäure, die es unter dem Markennamen Aspirin zum wohl bekanntesten Medikament weltweit gebracht hat, wurde einst als Schmerz-, Fieber- und Entzündungsmittel zugelassen. In der breiten Anwendung fiel jedoch bald auf, dass die Patienten schneller bluteten, wenn sie das Mittel nahmen. Das wurde zunächst als unerwünschte Nebenwirkung vermerkt. Doch schon bald kam der Hersteller Bayer auf eine Idee und beantragte eine weitere Zulassung für Aspirin – zur Behandlung von Gerinnungsstörungen. Seitdem dient Acetylsalicylsäure auch der Vorbeugung gegen einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, die oft die Folge eines Blutgerinnsels sind. Den Wirkstoff, der inzwischen auch von anderen Herstellern verarbeitet wird, nehmen Millionen gefährdeter Menschen ein.
Ähnliche Durchbrüche gab es im Laufe der vergangenen 100 Jahre immer wieder. Für die Pharmaunternehmen ist ein neues Anwendungsgebiet für ein vorhandenes Medikament praktisch. „Die Arzneimittelentwicklung dauert normalerweise zehn, zwölf Jahre. Ein Großteil dieses millionenschweren Aufwands lässt sich sparen, wenn die Medikamente für eine andere Anwendung bereits zugelassen sind“, sagt Rolf Müller, Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS). So sei beispielsweise die allgemeine Verträglichkeit und die sogenannte Toxizität schon für die erste Anwendung untersucht worden, manchmal müssten allenfalls noch kleinere Studien mit anderen Dosierungen durchgeführt werden. Das spart erhebliche Kosten. Aber auch die Patienten haben einen Vorteil: Wird für ein bewährtes Medikament eine neue Anwendung entdeckt, kann es zügig zugelassen werden. So profitieren Patienten schon bald von dessen vermeintlicher Nebenwirkung.
Über lange Zeit war es reiner Zufall, wenn Forscher neue Anwendungen für bewährte Medikamente entdeckten. Viagra ist das vielleicht amüsanteste Beispiel: Studien in den 1990er Jahren sollten die Wirksamkeit von Sildenafil bei Durchblutungsstörungen im Herzen belegen. Als die Probanden sich weigerten, die überzähligen Tabletten zurückzugeben, schöpften die Ärzte Verdacht. Schließlich erfuhren sie von einer verlängerten und verbesserten Erektion der überwiegend älteren Patienten; Pfizer brachte Sildenafil unter dem Markennamen Viagra auf den Markt. 2006 wurde das Mittel schließlich auch gegen Lungenhochdruck zugelassen.
Inzwischen durchforsten Wissenschaftler bereits zugelassene Medikamente gezielt nach neuen Anwendungen. Möglich machen das neuartige molekularbiologische und biomedizinische Methoden. „Wenn heute beispielsweise ein Zellrezeptor identifiziert wird, der bei einer bestimmten Erkrankung womöglich ein Ansatzpunkt für eine Therapie sein könnte, dann werden in den sogenannten Assays – den Testläufen, wo man die Interaktion zwischen den Molekülen prüft – erst einmal die zugelassenen Wirkstoffe ausprobiert", sagt Müller.
Auch neue wissenschaftliche Veröffentlichungen werden systematisch nach möglichen Ansatzstellen durchsucht. Die Pharmaunternehmen kennen den molekularen Aufbau ihrer Wirkstoffe normalerweise im Detail – und wenn nun eine neue Studie nahelegt, dass es dabei einen Zusammenhang mit einer anderen Krankheit geben könnte, lässt sich rasch prüfen, ob das Medikament der Firma womöglich genau an diesem Punkt angreift.
Der Pharmakonzern Bayer unterhält sogar eine ganze Abteilung, die nach neuen Anwendungsmöglichkeiten der Medikamente sucht. Fast 30 Mitarbeiter sind damit beschäftigt, sie forschen in eigenen Laboren und kooperieren mit Universitäten und anderen Firmen. Sie sammeln Informationen aus eigenen und externen Forschungsberichten, besuchen Kongresse und tauschen sich mit Experten aus – und sie lassen Computerprogramme Datenbanken für sie durchforsten. Dabei konzentriert man sich nicht nur auf die Wirkstoffe, die bereits zugelassen sind, sondern auch auf jene, die noch in der Entwicklung sind. „Wenn einer unserer potenziellen Wirkstoffe ungewöhnliche Wirkungen zeigt, ist das für uns ein interessanter Hinweis auf ein mögliches neues Anwendungsgebiet“, sagt Ulrich Nielsch, der Leiter der Abteilung bei Bayer. So wandeln sich die einstigen unerwünschten Nebenwirkungen in neue Chancen.
Ähnliche Ansätze verfolgen zahlreiche öffentliche und private Forschungsinstitute weltweit. Meist wählen sie sogar einen breiteren Ansatz und beschränken sich nicht auf bestimmte Wirkstoffe. „Nach neuen Anwendungen für zugelassene Wirkstoffe zu suchen, lohnt sich im Grunde für alle, gerade dann, wenn der Patentschutz abgelaufen ist“, sagt Rolf Müller vom HIPS. Wie viele wertvolle Nebenwirkungen noch in den vorhandenen Medikamenten schlummern, lässt sich bislang nur schwer abschätzen. Die eine oder andere positive Überraschung steht aber bestimmt noch bevor.
Eines der vielleicht bekanntesten Beispiele ist ein Mittel gegen die Pein im Kopf. Die Acetylsalicylsäure, die es unter dem Markennamen Aspirin zum wohl bekanntesten Medikament weltweit gebracht hat, wurde einst als Schmerz-, Fieber- und Entzündungsmittel zugelassen. In der breiten Anwendung fiel jedoch bald auf, dass die Patienten schneller bluteten, wenn sie das Mittel nahmen. Das wurde zunächst als unerwünschte Nebenwirkung vermerkt. Doch schon bald kam der Hersteller Bayer auf eine Idee und beantragte eine weitere Zulassung für Aspirin – zur Behandlung von Gerinnungsstörungen. Seitdem dient Acetylsalicylsäure auch der Vorbeugung gegen einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, die oft die Folge eines Blutgerinnsels sind. Den Wirkstoff, der inzwischen auch von anderen Herstellern verarbeitet wird, nehmen Millionen gefährdeter Menschen ein.
Ähnliche Durchbrüche gab es im Laufe der vergangenen 100 Jahre immer wieder. Für die Pharmaunternehmen ist ein neues Anwendungsgebiet für ein vorhandenes Medikament praktisch. „Die Arzneimittelentwicklung dauert normalerweise zehn, zwölf Jahre. Ein Großteil dieses millionenschweren Aufwands lässt sich sparen, wenn die Medikamente für eine andere Anwendung bereits zugelassen sind“, sagt Rolf Müller, Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS). So sei beispielsweise die allgemeine Verträglichkeit und die sogenannte Toxizität schon für die erste Anwendung untersucht worden, manchmal müssten allenfalls noch kleinere Studien mit anderen Dosierungen durchgeführt werden. Das spart erhebliche Kosten. Aber auch die Patienten haben einen Vorteil: Wird für ein bewährtes Medikament eine neue Anwendung entdeckt, kann es zügig zugelassen werden. So profitieren Patienten schon bald von dessen vermeintlicher Nebenwirkung.
Über lange Zeit war es reiner Zufall, wenn Forscher neue Anwendungen für bewährte Medikamente entdeckten. Viagra ist das vielleicht amüsanteste Beispiel: Studien in den 1990er Jahren sollten die Wirksamkeit von Sildenafil bei Durchblutungsstörungen im Herzen belegen. Als die Probanden sich weigerten, die überzähligen Tabletten zurückzugeben, schöpften die Ärzte Verdacht. Schließlich erfuhren sie von einer verlängerten und verbesserten Erektion der überwiegend älteren Patienten; Pfizer brachte Sildenafil unter dem Markennamen Viagra auf den Markt. 2006 wurde das Mittel schließlich auch gegen Lungenhochdruck zugelassen.
Inzwischen durchforsten Wissenschaftler bereits zugelassene Medikamente gezielt nach neuen Anwendungen. Möglich machen das neuartige molekularbiologische und biomedizinische Methoden. „Wenn heute beispielsweise ein Zellrezeptor identifiziert wird, der bei einer bestimmten Erkrankung womöglich ein Ansatzpunkt für eine Therapie sein könnte, dann werden in den sogenannten Assays – den Testläufen, wo man die Interaktion zwischen den Molekülen prüft – erst einmal die zugelassenen Wirkstoffe ausprobiert", sagt Müller.
Auch neue wissenschaftliche Veröffentlichungen werden systematisch nach möglichen Ansatzstellen durchsucht. Die Pharmaunternehmen kennen den molekularen Aufbau ihrer Wirkstoffe normalerweise im Detail – und wenn nun eine neue Studie nahelegt, dass es dabei einen Zusammenhang mit einer anderen Krankheit geben könnte, lässt sich rasch prüfen, ob das Medikament der Firma womöglich genau an diesem Punkt angreift.
Der Pharmakonzern Bayer unterhält sogar eine ganze Abteilung, die nach neuen Anwendungsmöglichkeiten der Medikamente sucht. Fast 30 Mitarbeiter sind damit beschäftigt, sie forschen in eigenen Laboren und kooperieren mit Universitäten und anderen Firmen. Sie sammeln Informationen aus eigenen und externen Forschungsberichten, besuchen Kongresse und tauschen sich mit Experten aus – und sie lassen Computerprogramme Datenbanken für sie durchforsten. Dabei konzentriert man sich nicht nur auf die Wirkstoffe, die bereits zugelassen sind, sondern auch auf jene, die noch in der Entwicklung sind. „Wenn einer unserer potenziellen Wirkstoffe ungewöhnliche Wirkungen zeigt, ist das für uns ein interessanter Hinweis auf ein mögliches neues Anwendungsgebiet“, sagt Ulrich Nielsch, der Leiter der Abteilung bei Bayer. So wandeln sich die einstigen unerwünschten Nebenwirkungen in neue Chancen.
Ähnliche Ansätze verfolgen zahlreiche öffentliche und private Forschungsinstitute weltweit. Meist wählen sie sogar einen breiteren Ansatz und beschränken sich nicht auf bestimmte Wirkstoffe. „Nach neuen Anwendungen für zugelassene Wirkstoffe zu suchen, lohnt sich im Grunde für alle, gerade dann, wenn der Patentschutz abgelaufen ist“, sagt Rolf Müller vom HIPS. Wie viele wertvolle Nebenwirkungen noch in den vorhandenen Medikamenten schlummern, lässt sich bislang nur schwer abschätzen. Die eine oder andere positive Überraschung steht aber bestimmt noch bevor.
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