Porträt
Zaubern mit Mikroben
Die Leipziger Biologin Katja Bühler bringt Mikroorganismen dazu, Wasserstoff zu produzieren. Die Energiewende gestaltet sie aber nicht nur als Forscherin mit, sondern auch als Beraterin im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung.
Von dem Blick auf dem Dach schwärmt Katja Bühler noch heute: Eine Weile ist es zwar schon her, dass sie zum ersten Mal über dem Campus des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung – UFZ stand. „Man muss schon schwindelfrei sein“, sagt sie schmunzelnd, „aber dafür kann man über ganz Leipzig hinweg schauen!“ Für die Mikrobiologin ist das Forschungsdach aber vor allem wegen ihres jüngsten Projekts interessant: Schon bald will sie hier oben einen kleinen Versuchsreaktor installieren, in dem Mikroben zu Wasserstoffproduzenten werden.
Der Reiz der Mikrobiologie
Mit Mikroben zu zaubern, ist schon seit Beginn ihrer Karriere das Ziel von Katja Bühler. „Als ich frisch von der Schule an die Universität kam, hat mich vor allem die Zoologie gelockt“, erzählt die 47-Jährige im Rückblick – „aber dann merkte ich, in welch faszinierende Welten man in der Mikrobiologie eintauchen kann.“ In den 1990er Jahren war das, Bühler studierte an der Universität in ihrer Heimatstadt Hamburg, und sie erfasste intuitiv, dass im Bereich der Mikroben viel Neues passiert. „Mikroben können immer alles“, so fasst sie diesen Reiz zusammen: Selbst in den unwirtlichsten Gefilden richten sie sich ein. Und genau darauf basiert jetzt in Leipzig ihre Forschung; sie arbeitet mit sogenannten Biofilmen – das sind die dünnen, glitschigen Schichten, die sich zum Beispiel auf stehenden Gewässern oder anderen Oberflächen bilden. „Sie sind oft resistent gegen Antibiotika und andere Biozide, deshalb sind sie allgemein unbeliebt“, sagt Katja Bühler: „Aber wir wollen uns ihre problematischen Eigenschaften zunutze machen.“
Man könne sich den Prozess so vorstellen wie in einer Fabrik, sagt sie und man spürt, dass sie ihre komplexe Forschung nicht zum ersten Mal erklärt: Die Enzyme im Biofilm übernehmen die Rolle von Maschinen, die Wasserstoff produzieren. Und wie echte Maschinen benötigen sie dafür Energie, die sie aus der Sonnenenergie gewinnen – ein klassischer Biokatalyse-Prozess. Dass Katja Bühler für diesen Prozess Biofilm verwendet und nicht nur einzelne Bakterien, die in diesem Film vorkommen, hat System: „Wenn Bakterien als Biofilm wachsen, ändern sich diverse physiologische Parameter“, erläutert sie: „Das hat zur Folge, dass sie wesentlich robuster mit Umweltstress umgehen können. Dadurch verbessert sich die Prozessstabilität, die im Biofilm sehr viel höher ist als in anderen Zellkulturen.“
Biofilme hat Katja Bühler zum ersten Mal gesehen, als sie noch gar nicht ahnte, was sich alles hinter dem Schleim verbirgt: Sie stammt aus einer Seefahrerfamilie, ihr Vater war früher als Schiffsingenieur auf den Meeren unterwegs. „Und das, was sich am Schiffsrumpf bildet und was die Seeleute überhaupt nicht leiden können – das ist auch ein Biofilm!“ Die Begeisterung für das Wasser hat Katja Bühler indes nicht geerbt. „Wenn mein Vater mal gesegelt ist, war ich immer sehr gern dabei, aber nicht als aktive Seglerin, sondern eher als Ballast“, erzählt sie lachend. Sie war mit ihren Eltern lange Zeit in Südafrika, als ihr Vater seinen Job wechselte, im Landesinnern und damit ganz ohne Kontakt zur See. Nach ihrem Studium in Hamburg wechselte sie als Postdoc nach Zürich, wurde Gruppenleiterin für Technische Enzymologie an der Universität Dortmund und erhielt 2015 ihre doppelte Berufung ans UFZ nach Leipzig sowie als Professorin für die Technologie produktiver Biofilme an die TU Dresden.
„Leipzig ist eine tolle Stadt“, sagt sie und schwärmt vom Flair in der sommerlichen Altstadt. Und wieder hat sie viel Wasser um sich herum; manchmal ist sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im beginnenden Teenageralter per Kanu auf den Kanälen unterwegs – mit bestem Blick auf jenes UFZ-Hochhaus, auf dessen Dach sie bald den ersten Mikrobenreaktor platzieren will.
Wasserstoff natürlich produzieren – ohne industrielle Elektrolyse
„Bislang haben unsere Anlagen gerade mal ein Volumen von knapp zwei Millilitern “, sagt sie. Nach und nach will sie das Volumen auf einen Liter erhöhen, sobald die Technik ausbalanciert ist. Und das ist nicht ganz einfach: „Man zwingt die Zellen dazu, etwas zu tun, was für sie selbst keinen Sinn ergibt. Die Zelle ist von Natur aus darauf ausgelegt, durch Teilung selbst Biomasse zu generieren. Wir wollen aber, dass sie ihr Wachstum weitgehend einstellt und die Energie, die sie aus der Sonne gewinnt, stattdessen größtenteils in die Wasserstoffproduktion lenkt. Darauf hat es die Evolution eigentlich gar nicht abgesehen.“
Der Reiz an dem Verfahren liegt aber auf der Hand: Bisher wird Wasserstoff vor allem in einem industriellen Elektrolyse-Prozess erzeugt, bei dem Wasser unter Einsatz von grünem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Die dabei eingesetzte elektrische Energie wird in chemische Energie umgewandelt und im Wasserstoff gespeichert. Bioreaktoren hingegen produzieren den Wasserstoff auf direktem Weg, also ganz ohne den Zwischenschritt der Energieumwandlung. Bis man die Technik in größerem Maßstab einsetzen kann, das weiß auch Katja Bühler, wird es aber noch lange dauern. Ihr Ziel ist es, soviel Wasserstoff zu produzieren, dass sich ein Einfamilienhaus damit versorgen ließe – „das könnte auf einer üblichen Dachfläche gelingen.“
Expertin im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung
Sie selbst bringt ihr Knowhow jetzt auch an politischer Stelle ein: Seit wenigen Monaten ist sie Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat, den die Bundesregierung 2020 ins Leben gerufen hat. 26 Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sitzen darin. Ihre Aufgabe ist es, die Bundesregierung zu beraten, wie sich die Nationale Wasserstoffstrategie umsetzen lassen kann. „Bei den ersten Sitzungen war ich schon dabei und habe mir einen Überblick verschafft“, sagt Katja Bühler.
In ihrer wissenschaftlichen Arbeit kümmert sie sich indes darum, Wasserstoff noch vielseitiger und wirtschaftlicher zu machen – bald auch auf dem Dach hoch über Leipzig. „Wir wollen biologisch erzeugten Wasserstoff effizient, umwelt- und ressourcenschonend produzieren. Um unsere Grundlagenforschung auch in die technologische Anwendung zu bringen, arbeiten wir eng mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammen“, erklärt Katja Bühler. An einem motivierten Team fehlt es ihr nicht, und die Aussicht auf den Reaktor in luftiger Höhe habe der Mannschaft nochmal neuen Schwung gegeben, sagt sie lachend: „Der Arbeitsplatz mit dem Panoramablick da oben ist hochbeliebt!“
Helmholtz Sustainability Talk
Katja Bühler ist eine der Expertinnen, die am 19. April beim Helmholtz Sustainability Talk „Energieträger Wasserstoff – gibt es einen besten Weg?“ spricht. Helmholtz-Wissenschaftler diskutieren mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und NGOs, wie Wasserstoff nachhaltig produziert und eingesetzt werden kann.
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