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Interview

„Wir wollen keinen Braindrain, sondern den Wissenschaftsstandort Ukraine erhalten“

Greta Facile ist Projekt Manager im EURIZON-Projekt beim Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg. Bild: Desy

Greta Facile vom DESY über Hilfsprogramme für die Wissenschaft in der Ukraine im Krieg.

Greta, Sie koordinieren seit Beginn des Ukrainekrieges Förderprojekte des Forschungsnetzwerks EURIZON für die Ukraine. Was ist Ihre Aufgabe?

EURIZON ist ein von der EU finanzierter Verbund von 26 europäischen – darunter neun deutschen – Forschungseinrichtungen und wird von der Deutschen Elektronen-Synchrotron-Stiftung (DESY) in Hamburg koordiniert. Ziel ist die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit europäischer Forschungsinfrastrukturen.

War EURIZON nicht ursprünglich ein Projekt zur Wissenschaftskooperation mit Russland?

Ja. EURIZON hieß ursprünglich „CREMLINplus“ und hatte die Vernetzung von russischer und europäischer Forschung zum Ziel; dazu gehörten u.a. fünf große russische Forschungsprojekte. Teil des Konsortiums war schon damals eine ukrainische Einrichtung, nämlich das Institute for Nuclear Research der Nationalen Akademie der Wissenschaften in Kiew.

Aber dann kam der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022.

Das änderte natürlich alles. Die Kooperation mit den russischen Partnern wurde beendet, die Finanzierung der russischen Projekte eingestellt, dafür zwei weitere ukrainische Institutionen ins Boot geholt. Ein wichtiger Teil des Budgets von EURIZON wird nun genutzt, um ukrainische Wissenschaftler: innen weiter zu bezahlen und ihnen die Fortsetzung ihrer Forschung zu ermöglichen.

Ist der Kontakt zu den russischen Gesprächspartner:innen komplett abgerissen?

Nicht komplett. Es handelt sich um Menschen, mit denen ich lange zusammengearbeitet, teils Freundschaft geschlossen habe. Mit einigen von ihnen korrespondiere ich nach wie vor, aber wir bleiben auf einer formellen Ebene und vermeiden alles Politische. Die jahrelange Arbeit in einem internationalen Umfeld hat mich dazu gebracht, die Menschen von ihren politischen Vertretern zu trennen. Auch im Kalten Krieg war die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern nie ganz abgerissen, und ich hoffe, dass wir nach diesem Krieg wieder miteinander sprechen werden.

Wie helfen Sie ukrainischen Wissenschaftler:innen konkret?

Wir vergeben Forschungsstipendien, bieten Schulungen an, veranstalten virtuelle Meetings. Derzeit laufen neun Fellowships der Universität Mailand-Bicocca für ukrainische Wissenschaftler:innen für einen Master of Management of Research Infrastructures. Finanziert von der Europäischen Union.

Bleiben diese Fellows also nicht in der Ukraine?

Doch, aber sie reisen für fünf Präsenz-Module nach Mailand. Allerdings nur die Frauen. Ukrainische Männer unter 60 Jahren dürfen derzeit nicht außer Landes reisen; für sie steht eine vollständig online abrufbare Version des Programms zur Verfügung.

Gerade plant EURIZON ein großes Stipendienprogramm.

Ja. Mit dem Programm Remote Research Grants Fellowships sollen 20 bis 25 Teams von jeweils zwei bis fünf Forschenden aus der Ukraine jeweils ein halbes bis ein Jahr lang gefördert werden, insgesamt etwa 100 bis 120 Menschen. Dafür stehen uns 1,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Wie genau ist so ein Stipendium gestaltet?

Jedes der geförderten ukrainischen Teams hat ein Geschwisterteam aus von Europäischen Forschungsinfrastruktures, darunter viele Institutionen aus der Helmholtz-Gemeinschaft. Mit diesem Team kooperieren die ukrainischen Kolleginnen dann von zuhause aus. So können sie ihre Forschung fortsetzen, auch wenn ihre Forschungseinrichtungen in der Ukraine zur Zeit außer Betrieb sind.

Wie ist die Resonanz?

Überwältigend. Wir haben mit rund 70 bis 90 Bewerbungen gerechnet und haben mehr als 750 erhalten. Ende des Sommers fällt die Entscheidung über die Vergabe der Stipendien.

Bleibt es bei dem Budget von 1,5 Millionen Euro?

Wir sind in Gesprächen mit der EU für eine Erhöhung.

Werden nur die Naturwissenschaften gefördert?

Nein. Wir haben Bewerbungen aus allen Wissenschaftszweigen. Darunter sind „Physical Sciences and Engineering“ mit 38 Prozent der größte Teil. Dahinter kommen „Environment“ mit 16, „Health and Food“ sowie „Social and cultural Innovation” mit jeweils 15, „Energy“ mit zehn und „Data, Computing and Digital Research Interests“ mit sechs Prozent. Das Programm richtet sich übrigens nicht nur an fertige Wissenschaftler:innen, sondern auch an Ingenieure und Techniker und ebenso an Doktoranden und Postdoktoranden.

Wie genau läuft die Finanzierung ab?

Wir geben jedem Team einen festen Betrag, mit dem seine Mitglieder ihr beantragtes Vorhaben frei umsetzen können. Die konkrete Aufteilung bleibt dem Team, entsprechend der Aufgabenverteilung, überlassen: Wir wollen die ukrainische Forschung am Leben erhalten, uns aber nicht in ihre Strukturen einmischen. Und wir möchten Flexibilität ermöglichen: sowohl Vollzeit als auch Teilzeit sollen möglich sein.

Aus welchen europäischen Ländern kommen die Kooperationspartner?

Aus ganz Europa. Es sind auch Länder außerhalb von EURIZON vertreten. 215 der ukrainischen Bewerber wünschen sich polnische Partner, 154 deutsche. Damit ist Deutschland auf dem zweiten Platz.

Wieso werden nicht ukrainische Einrichtungen direkt gefördert?

Weil vielen Strukturen dort durch den Krieg beschädigt sind. Verständlicherweise gehen fast alle Ressourcen in die Landesverteidigung, Lehre und Forschung wurden verzögert, Gehälter zum Teil nicht mehr bezahlt. Deshalb unterstützen wir die Wissenschaftler: innen direkt.

Gibt es auch Pläne für neue Forschungseinrichtungen in der Ukraine?

Die League of European Accelerator-based Photon Sources (LEAPS) plant im Rahmen der Initiative „Light for Ukraine“ den Bau einer Beamline, die am polnischen Institut SOLARIS in Krakau betrieben werden soll. Diese Beamline soll in Polen laufen, aber der Ukraine gehören.

Gibt es weiterer Förderprogramme?

Das MSCA4UKRAINE-Programm der EU ermöglicht mit einem Volumen von 25 Millionen Euro 124 ukrainischen Doktorand:innen oder Postdocs Forschungsaufenthalt zwischen sechs Monaten und zwei Jahren in einem europäischen Gastland. Und das Directorate-General for Neighbourhood and Enlargement Negotiations (DG NEAR) der EU-Kommission mit einem Gesamtbudget von 50 Milliarden Euro plant eine eigene Unit für die Ukraine, die „Ukraine Facility“, in deren Rahmen 2023 ein neuer Nationaler Kontaktpunkt bei der National Research Foundation in Kiew entstehen soll, an dem dann die Forschungs- und Innovationsnetzwerke (F&I) zwischen ukrainischen und europäischen Institutionen zusammenlaufen.

Ukrainische Wissenschaftler: innen, die im Rahmen der Stipendien nach Europa kommen, könnten dort auch bleiben wollen? Damit wäre dem Land nicht geholfen.

Ich betone immer wieder: wir müssen einen Braindrain vermeiden und, wo er schon geschehen ist, umkehren. Deshalb richtet sich unser EURIZON Remote Research Programm ausschließlich an Wissenschaftler:innen, die entweder in der Ukraine sind oder die erklärt haben, dorthin zurückkehren zu wollen. Das ist auch der Wille der EU-Kommission. Wir wollen keinen Braindrain, sondern den Wissenschaftsstandort Ukraine erhalten.

Was möchten Sie den ukrainischen Kolleg:innen mit auf den Weg geben?

Dass ich bewundere, wie sehr sie sich trotz der äußerst schwierigen Bedingungen immer noch für exzellente Wissenschaft einsetzen!

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