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Interview

„Wir wollen für die nächste Pandemie vorbereitet sein“

Bild: dkfz / Tobias Schwerdt

Wie macht SARS-CoV-2 uns krank? Und was lernen wir daraus für weitere Pandemien? Darum dreht sich das Projekt „CoViPa“. Der Koordinator und Virologe Ralf Bartenschlager spricht mit uns über bisherige Erfolge.

Herr Bartenschlager, was genau heißt „CoViPa“? Und worum geht es dabei?

Die Abkürzung steht für Coronavirus-Pathogenese. Bei „CoViPa“ handelt es sich um ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, bei dem wir zum einen untersuchen, wie das Virus uns krank macht und welche Rolle das Immunsystem dabei spielt. Und zum anderen, wie wir uns mit den gewonnenen Erkenntnissen auf zukünftige Pandemien besser vorbereiten können. Dafür nutzen wir die ganze Bandbreite an Expertisen von sieben Helmholtz-Zentren, vor allem der Immunologie und Virologie. Mit dabei sind auch Partner von Hochschulen und aus der Wirtschaft. Insgesamt sind wir ein Netzwerk aus 21 Forschungsgruppenleiter:innen und Mediziner:innen.

Wie lange läuft das Projekt schon?

Der Start war im August 2021, die Laufzeit beträgt vier Jahre.

Was sind die Ziele von „CoViPa“?

Unser Konsortium hat zwei übergeordnete Ziele. Das biologische Ziel: Wir wollen verstehen, wie die SARS-CoV-2-Infektion krankmacht. Das Spektrum an Symptomen ist hier unheimlich breit gefächert. Von eher asymptomatisch bis hin zu tödlichen Verläufen. Ein Ansatzpunkt für dieses Ziel ist die Pathologie der Virusinfektion selbst: Wie bringt das Virus die Zellen um? Wie toxisch ist es? Der zweite Ansatzpunkt ist, welche Rolle das Immunsystem im Krankheitsverlauf spielt. Normalerweise funktioniert es so, dass Antikörper und T-Zellen, die als Reaktion auf eine Infektion gebildet werden, sie abwehren. Aber es gibt auch viele Bereiche, wo die Immunantwort die Erkrankung eher noch verstärkt. Beispielsweise Antikörper, die an das Virus binden und diesem wie eine Art Gepäckstück Zugang zu Zellen verschaffen, in dem die Virus – Antikörperkomplexe über den Antikörper in Zellen aufgenommen werden. Auch die T-Zellen, die normalerweise infizierte Zellen abtöten, können durch die Infektion fehlgeleitet werden und im Übermaß Zellen zerstören. Das sind Beispiele für eine klassische Immun-Pathogenese, also eine Erkrankung, die durch das Immunsystem ausgelöst wird. Wir wollen prüfen, ob das auch für SARS-Cov-2 zutrifft. Der dritte Ansatzpunkt ist die Immunkontrolle: Was braucht man für eine effektive Kontrolle der Infektion? Also welche Art von Antikörper, T-Zellen und Botenstoffe, die Zellen in einen antiviralen Status versetzen und damit vor einer Infektion schützen. Wichtig ist auch herauszufinden, wie das Virus natürliche Barrieren wie etwa die Schleimhautschicht im Atemwegsepithel oder der Plazenta überwindet.

Und das zweite übergeordnete Ziel?

Das ist die Pandemic Preparedness, also Strategien zur Vorsorge im Fall einer zukünftigen Pandemie zu finden. Dazu gehört die Entwicklung von antiviralen Wirkstoffen oder neuen Therapie-Konzepten.

Womit beschäftigen Sie sich ganz konkret?

Meine Arbeitsgruppe untersucht vor allem die virale Toxizität. Wir konnten beobachten, in welchem hohen Ausmaß das Virus die Zellen innerhalb weniger Stunden nach der Infektion umprogrammiert. Uns interessiert außerdem die Frage: Wie kommt es zu dem vielfach zitierten Zytokin-Sturm, also der überschießenden und unkontrollierten Ausschüttung von Botenstoffen, die eine Entzündungsreaktion auslösen? Schaut man in eine infizierte Zelle, sieht man, dass innerhalb weniger Stunden nach der Infektion das Virus-Abwehrsystem in der Zelle lahmgelegt ist. Das heißt, die Zellen produzieren kaum Botenstoffe, die die Nachbarzellen in einen Abwehrzustand versetzen können. Gleichzeitig wird eine Signal-Kaskade in der Zelle aktiviert, die dazu führt, dass übermäßig viele Entzündungsbotenstoffe freigesetzt werden.

Was lässt sich daraus ableiten?

Verstehen wir diese Mechanismen wie zum Beispiel den Zytokin-Sturm noch besser, können wir die Erkenntnisse auf andere Viren übertragen. Denn ein Zytokin-Sturm ist per se nichts Neues. Den sehen wir bei vielen anderen Infektionen wie etwa bei der Grippe verursacht durch das Influenzavirus.

Welche Beiträge kann „CoViPa“ zur Eindämmung der aktuellen und möglicher anderer Pandemien leisten?

Die Realisierung eines breit wirksamen Medikamentes gegen Viren spielt eine wichtige Rolle. Solche Virostatika sind Wirkstoffe, die nicht nur SARS-Cov-2 bekämpfen, sondern möglichst alle auch sehr entfernt verwandten Coronaviren mit allen Varianten. Diese Wirkstoffe müssten wir bis zur Phase 1 der klinischen Testung entwickeln. Wenn dann eine neue Pandemie mit Coronavirus käme, könnten wir mit diesem Wirkstoff gleich in Phase zwei und drei der klinischen Studie übergehen und hätten damit schon zu Beginn der Pandemie eine mögliche wirksame Therapie.

Wie sieht es mit weiteren Impfstoffen aus?

Eine weitere Strategie der Pandemic Preparedness ist die Schaffung einer Impf-Plattform. Momentan konzentriert sich alles auf das Spike-Protein des SARS-CoV-2. Das Virus hat aber noch viel mehr Antigene als das. Wir könnten einen Impfstoff entwickeln, der noch andere Antigene des Virus mit abdeckt und damit vermutlich mehrere Varianten gleichzeitig erfasst.Der dritte Lösungsansatz, mit dem wir uns beschäftigen, ist die Bio-Informatik. Wir können mit bioinformatischen Methoden RNA- und DNA-Sequenz-Daten nutzen. Mittlerweile sind hunderttausende Sequenzier-Experimente von Gewebeproben menschlicher, tierischer oder pflanzlicher Herkunft in Datenbanken verfügbar. Wenn zum Zeitpunkt der Probengewinnung das jeweilige Gewebe mit einem (oder mehreren) Viren infiziert war, werden die entsprechenden viralen Genome automatisch mitsequenziert. Mithilfe von Such-Algorithmen, die wir entwickelt haben, können wir in diesen Daten also nach neuen Viren suchen. Es ist schon erstaunlich, dass wir auf diese Weise jede Menge neuartige Virus-Genome finden, viele davon sind bisher noch gar nicht beschrieben. Wir schauen, wie ähnlich sie beispielsweise zu bekannten Viren sind, die bei Menschen Krankheiten auslösen.Je ähnlicher, umso grösser das Risiko für einen Spill-over, also einen Übersprung des Virus vom Tier zum Menschen. In einem weiteren Schritt können wir überprüfen, in wie vielen Spezies das Virus vorkommt. Taucht es häufig auf, können wir vermuten: Das Virus kann von einer Wirtsart zur nächsten wechseln. Aus diesen Daten-Analysen wollen wir abschätzen, wie hoch ein mögliches Spill-over Risiko für ein bestimmtes Virus ist.

Welche Ergebnisse haben Sie bisher erzielt? Und wann sind sie in der Praxis anwendbar?

Nicht jedes Ergebnis ist in der Praxis anwendbar. Erst mal geht es darum, grundlegende Einblicke in die Immunantwort zu gewinnen. Wie schnell sich eine Immunantwort aufbaut, wie lange sie anhält, wann das Risiko für eine Infektion steigt und so weiter. Konkrete Ergebnisse mit Patentanmeldungen haben wir aber auch schon. Zum Beispiel ein breit neutralisierender Antikörper, der nicht nur für eine Variante funktioniert, sondern für mehrere. Das könnte man relativ schnell weiter entwickeln. Dann haben wir noch einen neuen Vektorimpfstoff innerhalb des Konsortiums entwickelt. Und sehr interessante Biomarker. Anhand derer könnte man im Blut bestimmen, ob eine Person ein hohes Risiko für einen schweren Infektionsverlauf hat oder nicht. Das Projekt des Breitband-Virostatikas dauert deutlich länger, da reden wir über viele Jahre. Mit der Impf-Plattform geht es sehr viel schneller. Bei der Bestimmung des Spill-over-Risikos haben wir bereits Such-Tests gemacht. Damit sind wir schon recht weit. Wir haben viele neue Coronaviren gefunden, auch ganz exotische, mit völlig anderen Genomstrukturen. Aber das ist erstmal nicht besorgniserregend. Mit den Robotics-Lösungen für die automatisierte Analytik in einem Hochsicherheitslabor haben wir ebenfalls gute Fortschritte gemacht. Die Idee ist, die vorhandenen kleineren Apparate vor Ort zu nutzen und bewegliche Mini-Roboter zu entwerfen, die die Arbeitsschritte von einer Station zur nächsten vermitteln. So würden krankheitsbedingte Ausfälle beim Personal keine Engpässe mehr verursachen. Alles in allem haben wir schon viel erreicht in der kurzen Zeit von „CoViPa“.

Wie gut sind wir für den Herbst 2022 gewappnet? Und für die Zukunft?

Ich hoffe, dass man die Leute nochmal davon überzeugen kann, dass Masken tragen das beste Mittel ist, um eine Infektion zu vermeiden. Und die Impfung nach wie vor die beste Möglichkeit ist, sich gegen schwere Verläufe zu schützen. Nicht gegen die Infektion selbst. Wenn die Zahlen im Herbst noch weiter hochgehen, werden wir ein echtes Problem mit Personalausfällen in sämtlichen Bereichen haben. Wie es sich im nächsten Jahr entwickelt, hängt aus meiner Sicht ganz entscheidend davon ab, ob es neue Varianten gibt. Wenn es bei BA.5 bliebe, auch im Herbst, hätten wir eine Chance, eine halbwegs vernünftige Immunität in der Bevölkerung aufzubauen. Die nachfolgenden Wellen würden dann geringer ausfallen. Die große Hoffnung ist, dass der Vermehrungsraum des Virus weltweit kleiner wird, weil dann das Risiko für die Entstehung neuer Varianten entsprechend geringer ist. So hätten wir eine bessere Kontrolle.

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