Wissenschaftskommunikation
„Wir müssen besser erklären, wie Wissenschaft funktioniert“
Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar und Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler im Gespräch über die Rolle der Wissenschaftskommunikation und Fehler in der Corona-Pandemie.
Als die Corona-Pandemie ausbrach, sprachen viele von einer Renaissance der Wissenschaftskommunikation – das Interesse an Fakten sei schließlich gewaltig, argumentierten sie. Hat sich diese erste Hoffnung bestätigt, Herr Yogeshwar?
Ranga Yogeshwar: Ich sehe viele Wermutstropfen: Ja, die Wissenschaft spielt in dieser Krise eine essenzielle Rolle; ohne sie hätten wir weder einen Impfstoff noch Corona-Tests noch auch nur einen Überblick über die verschiedenen Mutationen. Wir haben ein Jahr erlebt, in dem Wissenschaftler sehr exponiert in den Medien waren. Zugleich aber war die Stimme des Wissenschaftsjournalismus nur sehr schwach zu hören. Das resultiert meiner Meinung nach aus einer Unterlassungssünde, die sehr viel älter ist: Die Wissenschaftsressorts in den Medien sind über Jahre systematisch heruntergefahren worden. Gerade Wissenschaftsjournalisten könnten aber sehr gut und verständlich die Zusammenhänge erklären. So saßen in den Talkshows vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – und viele von ihnen haben keine tiefere Erfahrung mit Massenmedien.
Otmar Wiestler: Es war ein Jahr, in dem wir in Sachen Wissenschaftskommunikation viel gelernt haben. Ich sehe da zunächst Positives: Erstens hat die Wahrnehmung für wissenschaftliche Themen, insbesondere natürlich für die Corona-Forschung, enorm zugenommen. Zweitens haben wir aus den Reihen der Forscherinnen und Forscher viele Kommunikationstalente gesehen, die die Aufgabe der Wissensvermittlung sehr ernst nehmen und die komplexe Sachverhalte gut erklären können. Und drittens habe ich den Eindruck, dass faktenbasierter, wissenschaftlicher Rat sehr geschätzt wird.
Sehen Sie, Herr Wiestler, auch Wermutstropfen wie Ranga Yogeshwar?
Otmar Wiestler: Natürlich gibt es die auch. Wir haben Lehrgeld bezahlt im Umgang mit unterschiedlichen Medien. Die Corona-Pandemie und Kommunikation verdeutlichte erneut, wie omnipräsent Medien und Information sind und wie gezielt wir daher im Sinne einer sinnvollen Aufmerksamkeitsökonomie kommunizieren müssen. Die Nutzung vielfältiger Medien spielt dabei eine große Rolle. Wir müssen gezielter Menschen ansprechen, die der Wissenschaft gegenüber skeptisch sind und kein großes Interesse an ihr haben.
Lassen Sie uns doch einmal hinter die Kulissen blicken: Sind bei Helmholtz in der Pandemie die Telefone heiß gelaufen angesichts vieler Journalistenanfragen?
Otmar Wiestler: Es gab eine enorme Entwicklung – vor allem natürlich in den Zentren, die in der Gesundheitsforschung aktiv sind. Da liefen zehnmal mehr Anfragen auf als vorher, teilweise noch mehr. Auch der Traffic auf der Helmholtz-Website hat sich vervielfacht; wir sehen einen großen Bedarf an validen Informationen, an aktueller Berichterstattung, an Stellungnahmen, an Frage-Antwort-Katalogen.
Herr Yogeshwar, Sie sprachen davon, dass Wissenschaftler oft keine Erfahrung mit Massenmedien haben. Jetzt ging auf einmal das Rampenlicht an. Wie haben sie die Aufgabe nach Ihrer Einschätzung gemeistert?
Ranga Yogeshwar: Wir haben großartige Talente gesehen, da stimme ich Otmar Wiestler zu. Aber ich erinnere mich auch, dass es immer wieder zu vermeintlichen Lagerbildungen kam: Virologe A sagt dieses, Virologe B sagt jenes. Das wurde in der Berichterstattung oft instrumentalisiert, und die wissenschaftliche Community hat darauf oft nicht adäquat reagiert.
Otmar Wiestler: Das ist leider wahr. Wir haben es nicht immer ausreichend geschafft, deutlich zu machen, dass die Wissenschaft keine abschließenden Wahrheiten hat, sondern dass vieles abgewogen werden muss und durchaus noch Gegenstand von Kontroversen ist. Für uns ist dieser Austausch von Argumenten und Positionen normal; in der Öffentlichkeit wurde daraus schnell ein erbitterter Streit gemacht. Da müssen wir in Zukunft Menschen besser erklären, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert.
Otmar D. Wiestler ist Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. Der Mediziner war zuvor Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Bonn und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg.
Wenn Sie mit Forschern über die Funktionsweise von Wissenschaftskommunikation sprechen, Herr Yogeshwar – wie oft verwenden Sie dann das Beispiel mit dem Sektkübel, dem Kölschglas und dem Textmarker?
Ranga Yogeshwar (lacht): Ich weiß, worauf Sie anspielen: Vor zehn Jahren nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima sollte ich in einer Fernsehsendung erklären, was da eigentlich passiert war. Das Dumme war bloß: Der Kollege, der dazu die Infografik liefern sollte, kam nicht rechtzeitig ins Studio. Also musste ich improvisieren und nahm zur Erklärung vor laufenden Kameras einen Sektkübel, ein Kölschglas und einen Textmarker zu Hilfe. Meine Ausführungen waren so simpel, dass ich mich aus wissenschaftlicher Sicht schon fast schämte. Aber das Verblüffende war: Am nächsten Tag rief mich ein Fernsehdirektor der ARD an und sagte mir: „Herr Yogeshwar, danke für diese Erklärung – jetzt habe ich das endlich verstanden!“
Was folgern Sie daraus?
Ranga Yogeshwar: Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass der größte Teil der Menschen nicht auf eine wissenschaftliche Kompetenz zurückgreifen kann. Ich bin überzeugt davon, dass auch jetzt nach mehr als einem Jahr Corona immer noch ein Großteil der Menschen ins Schleudern kommt, wenn man sie nach dem Unterschied zwischen Viren und Bakterien fragt. Wir müssen deshalb in Sachen Wissenschaftskommunikation immer wieder zurückgehen ins Jahr 1642 …
… wie bitte?
Ranga Yogeshwar: Da war in Paris der König Ludwig XIV. noch ein Kind, und die Staatsgeschäfte führte ein sogenannter leitender Minister. Aber man musste den Dauphin, den jungen König, trotzdem auf dem Laufenden halten, was gerade im Land vor sich ging – eine kindgerechte Erklärung war gefragt. Der Begriff „ad usum delphini“ – „zum Gebrauch des Dauphins“ – kommt übrigens daher. Genau dieses „ad usum delphini“, die stark vereinfachte Erklärung, vergessen wir heute aus lauter Begeisterung für die Wissenschaft zu häufig.
Ranga Yogeshwar ist Deutschlands bekanntester Wissenschaftsjournalist. Der studierte Physiker moderierte ab 1993 die WDR-Wissenschaftssendung Quarks. Er ist als Moderator und Autor tätig. Mehrere seiner populärwissenschaftlichen Bücher wurden Bestseller.
Herr Wiestler, erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Interview als junger Forscher?
Otmar Wiestler: Als junger Wissenschaftler bin ich fast nur für wissenschaftliche Zeitschriften und Unimagazine befragt worden. Zum ersten Mal heftig mit Wissenschaftskommunikation in Kontakt gekommen bin ich in meiner Bonner Zeit, als ich mit Oliver Brüstle an der embryonalen Stammzellforschung gearbeitet hatte. Und die Lektionen, die ich damals gelernt hatte, decken sich mit den Beobachtungen von Ranga Yogeshwar.
Welche Lektionen waren das?
Otmar Wiestler: Ich habe gelernt, dass wir das, was wir tun, einfach und verständlich an ganz verschiedene Zielgruppen vermitteln müssen – an die Politik, an die Wissenschafts-Community und an die breite Öffentlichkeit. All das braucht eigene Kanäle und eine eigene Sprache. Und schließlich habe ich auch gelernt, dass bei wirklich delikaten Themen – und die Stammzellforschung war ein solches Thema, bei dem es sehr starke, auch emotionale Reaktionen gegeben hatte – ein intensiver Austausch zwischen der Wissenschaft, der Wissenschaftskommunikation und der Politik nötig ist.
Wenn Sie diese eigenen Erfahrungen mit der Zwischenbilanz aus der Corona-Krise verbinden: Wie muss sich Wissenschaftskommunikation Ihrer Meinung nach verändern?
Otmar Wiestler: Forscherinnen und Forscher haben ein Grundbedürfnis über ihre Arbeit zu sprechen, zumindest innerhalb der Wissenschaft selbst. Viele der Themen sind aber auch für die Öffentlichkeit interessant und von Bedeutung. Hier kommt die Rolle von Wissenschaftsjournalisten und Wissenschaftskommunikatoren ins Spiel: Sie sind kompetente Gesprächspartner und Fragesteller, die mit viel Hintergrundwissen und Know-how in der Vermittlung an die Themen herangehen. Auf Seiten der Forschung müssen wir überlegen, wie schon junge Wissenschaftler ihr Kommunikationstalent pflegen können. Da geht es um Ausbildungsmöglichkeiten, aber auch um Anerkennung: Ich bin überzeugt, dass eine hervorragende Leistung in der Wissenschaftskommunikation ebenso wichtig ist wie Spitzenleistungen auf einem bestimmten Forschungsfeld.
Ranga Yogeshwar: Ich finde, wir brauchen noch etwas: Wir müssen unsere alte, klassische Vorstellung von Wissenschaftskommunikation umstürzen – nämlich die, dass da in einer Talkshow ein Forscher in der Runde sitzt, der zwar nett ist, aber auch ein bisschen steril. Wissenschaftler haben im Fernsehen oft die undankbare Rolle eines reinen Dashboards, zuständig für die Fakten.
Was schwebt Ihnen stattdessen vor?
Ranga Yogeshwar: Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Talkshow, in der die Virologin Melanie Brinkmann zu Gast war. Sie brachte ihren wissenschaftlichen Sachverstand mit, brach aber gleich am Anfang das Eis, als sie von ihren zwei Söhnen im Schulalter sprach. So eine viel empathischere, im Alltag geerdete Kommunikation finde ich sehr wichtig.
Otmar Wiestler: Ja, und auf institutioneller Ebene müssen wir Wissenschaftskommunikation stets weiterentwickeln und an den Forschungseinrichtungen Kompetenzaufbau für gelungene Kommunikation anbieten und verankern. Dieses Thema wird jetzt einen Schub bekommen, nicht zuletzt durch die „Factory Wisskomm“ – eine Initiative, die unter der Regie des Bundesforschungsministeriums gestartet wurde.
Werden Sie ruhig konkreter: Was plant die Helmholtz-Gemeinschaft in Sachen Kommunikation?
Otmar Wiestler: Wir sehen eine unserer wichtigen Aufgabe darin, Wissen zu vermitteln – sprich: Wissenschaftskommunikation aktiv zu betreiben. Das war immer schon in der DNA von Helmholtz. Mittlerweile ist die Aufgabe viel komplexer geworden, weil die Rahmenbedingungen sich verändert haben. Die sozialen Medien haben eine enorme Wirkung auf die Informationsverbreitung, aber wir müssen professionell mit ihnen arbeiten – und vor allem besser reagieren auf die Verbreitung von unwahren Nachrichten. Dazu ist nicht zuletzt ein enger Austausch zwischen den Forschungseinrichtungen erforderlich. Und dann sehe ich noch einen entscheidenden Punkt…
…nämlich?
Otmar Wiestler: Wir müssen in der Öffentlichkeit sehr viel aktiver vermitteln, was wir tun. Dabei haben wir die Faszination der Wissenschaft und ihre Bedeutung für die Gesellschaft und jeden Einzelnen auf unserer Seite; diesen Trumpf müssen wir viel stärker ausspielen. Ich denke zum Beispiel an die MOSAiC-Expedition – dieses faszinierende Großprojekt, bei dem Forscher ein Jahr lang in der zentralen Arktis überwintert haben. Das Echo darauf war unglaublich, diese Expedition hat viele Menschen berührt. Wir bei Helmholtz haben sehr viele solcher MOSAiC-Themen.
Im zweiten Teil des Gesprächs zwischen Otmar Wiestler und Ranga Yogeshwar geht es um die Lehren aus der Pandemie – und darum, was die Wissenschaftskommunikation daraus für das große Thema Klimawandel lernen konnte.
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