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Interview

„Wir haben das Zeug dazu, eine Spitzenstellung einzunehmen“

Bild Markus Breig / KIT

Der designierte Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Jan S. Hesthaven, über die künftige Strategie seiner Einrichtung, die Stärken der Helmholtz-Gemeinschaft – und darüber, was die Forschung von Elon Musk lernen kann.

Herr Professor Hesthaven, Ihr Herz schlägt für Modellschiffe. An welchem arbeiten Sie gerade?

Ich muss noch die letzten Handgriffe an der Beagle machen, dem Forschungsschiff von Darwin. Drei Jahre habe ich da jetzt dran gearbeitet. Die Arbeit mit Holz entspannt mich ungemein und das Schiff ist einfach wunderschön.

Wenn das KIT ein Schiff wäre: Ist es eher ein schneller Segler oder ein dicker Tanker?

(lacht) Es ist ein klassisch-elegantes und schnelles Schiff. Kennen Sie den America’s Cup?

Sie meinen die berühmte Regatta?

Genau. Schon in den 1920er Jahren waren da Schiffe mit einem herrlichen Holzrumpf dabei, mit viel Geschichte, aber gleichzeitig sehr wendig, flexibel und in der Technik auf dem neuesten Stand. Eines der berühmtesten Schiffe ist die Endeavour. Sie wäre in diesem Bild das KIT.

Lassen Sie uns noch kurz in der Schiffsmetapher bleiben: Welche Arbeiten warten am KIT-Schiff auf Sie als Modellbauer?

Da fallen mir gleich zwei Sachen ein: Erstens will ich sicherstellen, dass wir die bestmögliche Crew haben – auch mit Blick auf die internationale Konkurrenz. Alle Besatzungsmitglieder sollen sich bei uns gut aufgehoben fühlen. Und als zweites wünsche ich mir, dass wir auf der Regatta enger mit anderen Schiffen zusammenarbeiten.

Sie sind seit vielen Jahren an renommierten Forschungseinrichtungen in verschiedenen Ländern aktiv. Was haben Sie in den vergangenen Wochen Neues über das KIT gelernt?

Mich faszinieren vor allem die Möglichkeiten, die in der Universitätsaufgabe liegen. Das KIT umfasst ja nicht nur die Großforschung, sondern auch eine phantastische Universität – und ich glaube, dass dieser universitäre Teil noch mehr von der Verbindung zur gesamten Helmholtz-Gemeinschaft profitieren kann. Ein Vorbild ist in dieser Hinsicht die Schweiz: Bei der ETH in Zürich beispielsweise gibt es intensive Überlegungen, wie man die Vorteile von Uni und Forschungseinrichtung kombinieren kann.

Woran denken Sie konkret?

Ich wünsche mir einen reibungslosen Workflow von der Grundlagenforschung zur Anwendung. Typischerweise sieht man die neugiergetriebene Grundlagenforschung eher an der Universität, während die Helmholtz-Gemeinschaft mit ihren großen Forschungsinfrastrukturen und der Möglichkeit, langfristig und in großen Dimensionen zu denken, hervorragende Möglichkeiten bietet. Es wäre eine verpasste Chance, wenn das KIT nicht noch stärker die Möglichkeiten nutzt, die sich aus der wirklich einzigartigen Umgebung der Helmholtz-Gemeinschaft ergeben. Ich habe aber auch etwas Negatives festgestellt.

Nämlich?

Das KIT ist nicht so international, wie es sein sollte – von der Personalpolitik bis zur Kommunikation. Wenn wir in der globalen Liga der Forschungseinrichtungen mitspielen wollen, dann müssen wir eine internationale Organisation sein. Da muss noch mehr passieren.

Sie haben ja gleich nach Ihrer Wahl verkündet, dass Sie amerikanische und asiatische Spitzenkräfte ans KIT anlocken wollen. Mit welchen konkreten Maßnahmen kann das gelingen?

Fest steht eins: Rein über finanzielle Anreize können wir nicht punkten. Wer richtig viel Geld verdienen will, der geht in die Privatwirtschaft, etwa zu den großen Internetkonzernen. In diesen Fällen können wir nur viel Erfolg und Gottes Segen wünschen – denn mithalten können wir da nicht. Den meisten Spitzenforschern aber geht es nicht um Geld allein: Was sie anlockt, ist eine intellektuell inspirierende und internationale Atmosphäre. Und da müssen wir uns wirklich nicht verstecken, und die Helmholtz-Gemeinschaft auch nicht: Unter diesem Dach gibt es so tolle Einrichtungen, dass wir alle von einer engeren Zusammenarbeit nur profitieren können.

Sie selbst beschäftigen sich ja in Ihrer Forschung auch mit Künstlicher Intelligenz….

…. und deshalb weiß ich: Auf diesem Gebiet konkurrieren wir in erster Linie mit den fünf oder sechs großen amerikanischen Konzernen. Sie wollen die gleichen Talente, Durchbrüche und Ressourcen wie wir, haben aber quasi unbegrenzte Mittel. Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir deutlich machen, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind. Und das Forschungszentrum Jülich, aber auch andere Einrichtungen innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft, sind in einigen Fragen der Künstlichen Intelligenz sehr stark. Wir haben das Zeug dazu, in diesem Bereich – aber auch in vielen anderen zukunftsweisenden Disziplinen – eine Spitzenstellung einzunehmen. Das schafft aber keine der Einrichtungen für sich genommen; das geht nur zusammen.

Prof. Dr. Jan S. Hesthaven ist der neue Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Der dänische Mathematiker arbeitete zuletzt als Vizepräsident für akademische Angelegenheiten an der École polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL). Seine Karriere begann er an der renommierten Brown University in den USA, wo er Gründungsdirektor des Center for Computation and Visualiziation und stellvertretender Direktor des Institute of Computational and Experimental Research in Mathematics war.

Was bedeutet das für das KIT: Geht es um einen neuen Mindset – oder um konkrete organisatorische Veränderungen?

Oh je, wenn ich von strukturellen Reformen spreche, dann werden 10.000 Leute im KIT nervös. Mir ist es aber wichtig, Veränderungen gemeinsam anzustoßen. Meine ersten Überlegungen dazu: Ich habe den Eindruck, dass die grundlegenden Disziplinen wie Mathematik, Physik, Biologie, Chemie und Informatik nicht so stark sind, wie sie sein sollten. Wenn Sie sich die führenden Technologie-Forschungseinrichtungen der Welt anschauen – sei es die ETH in Zürich oder Lausanne, das MIT oder das Caltech –, dann stellen Sie fest, dass sie alle auch führend sind bei diesen Grundlagen-Wissenschaften. Damit sage ich nicht, dass es am KIT nicht herausragende Leute auf diesem Gebiet gibt, aber sie sind nicht sichtbar genug. An dieser Stelle will ich ansetzen, das ist der erste Teil der Antwort.

Und der zweite?

Da geht es um die Informatik, um die Computer-Wissenschaften. Ein kleiner Vergleich: Die deutsche Autoindustrie hat es derzeit nicht ganz leicht. Sie baut traditionelle Autos mit einem Computer drin. Der Ansatz von Elon Musk mit seiner Firma Tesla ist es, einen Computer zu bauen, der wie ein Auto aussieht. Das ändert komplett das Verständnis von einem Auto, das ist eine echte Transformation.

Lassen Sie mich raten: Das KIT soll der Tesla unter den Forschungseinrichtungen werden.

Mein Anliegen ist: Wir müssen die Transformation berücksichtigen, die derzeit vor sich geht. Und dass die Computer-Wissenschaft eine Disziplin wie alle anderen ist, in sich abgeschlossen in einem Silo, erscheint mir dafür nicht als der richtige Weg. Und dann habe ich noch ein drittes Anliegen: Ich glaube, dass das KIT ein großes Potenzial im Bereich des lebenslangen Lernens hat. Wir haben mehr als 70.000 Alumni – und wenn die ihr Wissen updaten möchten oder etwas Neues lernen möchten, dann sollten sie zu uns kommen. Dafür müssen wir ein Angebot gestalten. Ich weiß, dass es kein einfacher Weg sein wird, aber es ist definitiv die richtige Richtung.

Wenn wir auf Ihren eigenen Weg in die Wissenschaft schauen: War Ihnen immer klar, dass Sie Mathematiker werden wollten?

Ja, schon seit ich klein war! In der Schule fiel mir Mathe immer leicht, ich habe früh mit dem Programmieren begonnen und nie darüber nachgedacht, etwas Anderes zu machen. Obwohl, so ganz stimmt das nicht: Es gab vorher eine Phase, da wäre ich gern Pilot geworden – so wie viele andere Kinder auch.

Ein Pilotenschein würde Ihnen jetzt zupass kommen, oder? Der Weg aus Karlsruhe in Ihr Ferienhaus in Dänemark ist ja ziemlich weit.

(lacht) Ich fürchte, da würde mir auch kein Flugzeug helfen: Bei unserem Haus gibt es weit und breit keinen Landeplatz.

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