Interview
„Wir bekommen eine langfristige, stabile Perspektive“
Seit dem 1. Januar gehört das renommierte Potsdamer Institut für Nachhaltigkeitsforschung (IASS) zum Deutschen GeoForschungsZentrum und ist damit Teil der Helmholtz-Gemeinschaft – unter seinem neuen Namen RIFS. Ein Gespräch mit dem wissenschaftlichen Direktor Mark Lawrence über die speziellen Methoden seines Instituts, die Chancen der Zusammenarbeit – und darüber, weshalb er sich auf die neue Etappe freut.
Herr Professor Lawrence, wie fühlt es sich an, als Direktor eines Instituts zu Bett zu gehen und als Direktor eines gänzlich neuen Instituts wieder aufzuwachen?
Das fühlt sich aufregend, aber auch vertraut an. Denn das RIFS ist ja kein gänzlich neues Institut, sondern verfolgt den gleichen transdisziplinären Ansatz wie das IASS, die Forschungsthemen bleiben zunächst unverändert. Der neue Name markiert den Beginn einer neuen Etappe, und an ein paar Veränderungen müssen wir uns natürlich gewöhnen. Wir gehören jetzt mit unseren 200 Mitarbeitenden zum siebenmal größeren GFZ und sind damit Teil der Helmholtz-Gemeinschaft. Diese Neuerungen sind für uns jedoch vielversprechend.
Lassen Sie uns auf beide Aspekte schauen, auf das Gewöhnungsbedürftige und auf das Vielversprechende.
Fangen wir mit dem ersten an: Wir müssen uns an die neuen administrativen Abläufe gewöhnen und uns nach und nach in die Programmorientierte Förderung der Helmholtz-Gemeinschaft einfädeln. Das wird etwas Zeit brauchen, das geht nicht von heute auf morgen.
Welches sind denn die Vorteile?
Jetzt haben wir eine langfristige, stabile Perspektive. Wir arbeiten zwar schon seit Jahren mit einigen Helmholtz-Zentren eng zusammen. Aber als neuer Teil der Helmholtz-Gemeinschaft können wir dauerhaft mit Forschenden aus mehreren Helmholtz-Zentren zusammenarbeiten, beispielsweise aus den Forschungsbereichen Erde & Umwelt sowie Energie und natürlich aus dem GFZ. Dabei bringen wir unseren besonderen, transdisziplinären Forschungsansatz ein. Davon werden sicherlich alle Seiten profitieren.
Was genau verstehen Sie unter dem transdisziplinären Forschungsansatz?
Wenn wir die Herausforderungen und komplexen Probleme des Anthropozäns lösen wollen, müssen wir dafür ein breites Spektrum an Wissen über Erdsysteme und menschliche Gesellschaften kombinieren - sowohl wissenschaftliches als auch nicht-wissenschaftliches Wissen. Die transdisziplinäre Forschung bietet dafür einen Ansatz: Sie nimmt die interdisziplinäre Forschung auf und beteiligt darüber hinaus nicht-wissenschaftliche Akteure am Forschungsprozess. Der Fokus des Ansatzes liegt auf komplexen, sozial relevanten Problemen der realen Welt. Die Probleme sollen nicht nur beschrieben werden, sondern die Forschung soll transformativ werden, also proaktiv zu Problemlösungen beitragen. Im Journal One Earth habe ich Anfang vergangenen Jahres diesen Ansatz gemeinsam mit drei Kolleg:innen aus unserem Institut beschrieben.
Sie fangen also dort an, wo die rein naturwissenschaftliche Beschreibung von Problemen aufhört?
Genau, und wir ergänzen diese Forschung. Eine unserer Stärken liegt darin, dass wir viele herausragende Geistes- und Sozialwissenschaftler am Institut haben. Rund drei Viertel unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben einen solchen Hintergrund – wir sind aber gleichzeitig stark in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften verankert. Das macht unser Profil so besonders, und deshalb schauen wir aus ganz anderen Blickwinkeln auf Themen wie etwa die Arktis oder den Ozean als die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Helmholtz-Zentren. Eine zweite Besonderheit unseres Instituts ist die Zusammenarbeit mit Stakeholdern außerhalb der Wissenschaft: Wir haben enge Kontakte etwa in die Politik und die Zivilgesellschaft, und diese Stakeholder sind aktive Partner in unserem Forschungsprozess.
Haben Sie ein Beispiel?
Zum Beispiel unsere Forschung zur Governance der Ozeane. Die Meere sind von vielen Entwicklungen bedroht, angefangen von der abnehmenden Biodiversität bis hin zum geplanten Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee. Gemeinsam mit Betroffenen und Stakeholdern analysieren wir Ursachen und erarbeiten Möglichkeiten, darauf zu reagieren – etwa mit rechtsverbindlichen Instrumenten im Rahmen der Vereinten Nationen oder indem wir andere politische Rahmenbedingungen gemeinsam entwickeln. Dabei arbeiten wir schon jetzt eng zusammen mit dem Geomar in Kiel sowie dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven und in Potsdam und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Das gleiche gilt für unsere Forschungsgruppe Governance der Arktis, die zudem eng mit Vertreterinnen und Vertretern der indigenen Bevölkerung kooperiert. Ein ganz anderes Beispiel wäre der Strukturwandel in der Lausitz. Da spielen Energieressourcen und Umwelteinflüsse natürlich eine große Rolle – aber eben auch demokratische Prinzipien wie die Bürgerbeteiligung. Wie bei den Themen Arktis und Ozean kooperieren wir auch in der Lausitz mit Akteuren vor Ort, um zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Diese Beteiligungsprozesse selbst beforschen wir auch, um daraus für künftige Prozesse zu lernen.
Erst kürzlich ist einer Ihrer Experten zum ersten Meeresschutz-Beauftragten im Umweltministerium geworden, ein anderer Wissenschaftler koordiniert den Bundestagsausschuss für Energie und Klima, Ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen arbeiten heute in verschiedenen Ministerien und sogar im Bundespräsidialamt…
…und das illustriert, wie anerkannt und gut vernetzt wir sind. Kennzeichnend für unsere Arbeit ist aber noch etwas anderes: Wir gehen die Politikberatung systematisch an. Dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Politik beraten, ist ja nichts Neues; das sind Formate, die manchmal etwas abschätzig als „das Wissen spricht zur Macht“ bezeichnet werden. Das reicht aber eindeutig nicht aus, angesichts der aktuellen und künftigen globalen Herausforderung. Wir wollen nicht nur Einzelpersonen beraten, sondern uns und unser Knowhow systematisch in die Entscheidungsprozesse einbringen, indem wir beispielsweise schon unsere Forschungsfragen gemeinsam mit gesellschaftlichen Akteuren entwickeln. Deshalb sind wir auch mit der Zivilgesellschaft vernetzt und beteiligen sie durchgehend an unserer Forschung, seien es Vertreterinnen und Vertreter von NGOs, Religionsgemeinschaften, bei internationalen Projekten auch immer wieder die indigene Bevölkerung. Wir haben uns bei allen Beteiligten einen Ruf als ehrlicher Makler aufgebaut, und daran werden wir auch in Zukunft anknüpfen.
Zum RIFS
Bis zum Januar 2023 trug das Research Institute for Sustainability (RIFS) den Namen, mit dem es 2009 gegründet wurde: Das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) entstand als direkte Konsequenz aus dem Potsdamer Memorandum, in dem Nobelpreisträger dazu aufrufen, „alle Quellen unseres Erfindungsreichtums“ zu nutzen, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzugehen und einen neuen „globalen Pakt“ zur Durchsetzung von Nachhaltigkeit im Zeitalter des Anthropozäns zu schließen. Das IASS wurde von der Bundesregierung, dem Land Brandenburg und der Forschungsorganisationen der Wissenschaftsallianz gegründet. Zum 1. Januar 2023 wurde es in RIFS umbenannt und dem Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ), dem Helmholtz-Zentrum Potsdam, angegliedert.
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