Stadtkonzepte
Wie wollen wir leben?
Grüne Architektur, digitale Überwachung, soziale Gerechtigkeit: Wie könnte das urbane Leben künftig aussehen? Dieter Rink und Annegret Haase vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig wagen einen Blick in die Zukunft.
Laut den Vereinten Nationen lebten im Jahr 2007 zum ersten Mal mehr Menschen in Städten als auf dem Land – ein Trend, der auch in Zukunft Bestand haben wird. Mehr als 6,7 Milliarden Menschen, so schätzen die UN, werden bis 2050 weltweit in Städten leben. Das sind 2,5 Milliarden oder knapp 60 Prozent mehr als heute.
Wie sollten die Städte der Zukunft aussehen, um trotz dieses Wachstums ein sicheres und ressourcenschonendes Zusammenleben zu ermöglichen? Fragen, die Umweltforscher und Sozialwissenschaftler gleichermaßen bewegen.
„Wir beschäftigen uns schon länger mit dem Thema Stadt“, sagt Dieter Rink, der auch als Honorarprofessor für Stadtsoziologie an der Universität Leipzig lehrt. „Dabei haben wir festgestellt, dass es zwar sehr viele Entwürfe von Visionen und Leitbildern für die Stadt der Zukunft gibt, aber nirgends eine Publikation, die diese zusammenträgt und systematisiert.“ Daher haben Rink und seine Kollegin, Stadtsoziologin Annegret Haase, das „Handbuch Stadtkonzepte“ herausgegeben. Darin stellen sie die derzeit gängigen Stadtkonzepte rund um den Globus vor.
„Wir betreiben hier am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung schon seit sehr langer Zeit umweltorientierte, interdisziplinäre Stadtforschung und das eben nicht nur empirisch und stark praxis- und politikorientiert, sondern auch konzeptionell. Deshalb ist das Handbuch jetzt ein wichtiger Schritt, die Kenntnisse systematisch zusammenzuführen“, so Haase.
Smart City: Die Stadt denkt mit
Man muss kein großer Prophet sein, um vorauszusagen, dass die digitale Vernetzung in unseren Städte eine große Rolle spielen wird. Städte wie Wien verfolgen die Entwicklung zur Smart City genauso wie Kopenhagen; in der Südkoreanischen Hauptstadt Seoul entsteht ein smarter Stadtteil und in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine ganze neugeplante, digital vernetzte Stadt. Die Digitalisierung fängt schon in der Wohnung oder im Eigenheim an. Im sogenannten Smart Home werden Wärme, Kälte und Elektrizität intelligent gesteuert. Der Kühlschrank meldet, wenn der Lieblingskäse zur Neige geht und Sicherheitssysteme kümmern sich ums Haus, während die Bewohner im Urlaub sind.
„Solche Funktionen betreffen aber auch die Stadt an sich“, sagt Rink. „Hier spielen Sicherheitsaspekte ebenfalls eine große Rolle, etwa die Überwachung öffentlicher Plätze mit Kameras oder Sensorik. Und auch das Thema E-Government ist eng mit der Smart City verbunden.“ In einer intelligenten Stadt, so sehen es die Verfechter derartiger Konzepte, muss sich niemand mehr in die Warteschlange von Ämtern und Behörden einreihen. Auch die Bürokratie wird digital – und transparent, wenn Informationen zu stadtpolitischen Entscheidungen, wie etwa Stadtratssitzungen, für alle online abrufbar sind.
„Allerdings ist die Schwelle von der digitalen zur überwachten Stadt nicht hoch“, sagt Haase. „Die Digitalisierung des privaten und öffentlichen Lebens wirft viele Fragen auf. Welche Auswirkungen hat der Prozess auf Datensicherheit, auf die Machtverhältnisse, auf die Demokratie an sich? Obwohl das Konzept der Smart Citys auf den ersten Blick sehr technologielastig scheint, ist es doch auch hoch politisch.“ Was geschehen kann, wenn allgegenwärtige Technik zwar Sicherheit schafft, dabei aber die individuellen Freiheitsgrade der Stadtbewohner immer mehr einschränkt, wird unter dem Begriff der Überwachten Stadt diskutiert und findet sich ebenso als Konzeptbeitrag im Handbuch.
„Just City“ – digitale Technologien und soziale Gerechtigkeit
„Ein weiterer kritischer Aspekt bei der Smart City ist die Frage nach ihrer Sozialverträglichkeit“, weiß Haase. „Digitalisierung, smarte Technologien, das ist natürlich auch etwas, das Geld kostet. Schon heute gibt es in einigen Städten smarte Viertel, die sich nur Gutbetuchte leisten können. Hier müssen wir kritisch hinterfragen, ob eine solche Entwicklung nicht eher zu einer weiteren sozialen Spaltung in den Städten beiträgt.“
Ein Gegenentwurf dazu ist ein Stadtkonzept, dass sich vor allem die soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat: die Just City – die „gerechte Stadt“. Doch nicht nur digitale Technologien und soziale Gerechtigkeit sind Kriterien, die in die verschiedenen Stadtkonzepte einfließen. Die Grüne Stadt zum Beispiel legt besonderen Wert auf ein gutes Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Dazu zählen nicht nur kleine und große Oasen, sondern auch kurze Wege zur Arbeit, zum Einkaufen und zur Erholung.
Und auch die Schattenseiten der Urbanisierung haben Einzug in die Auseinandersetzung mit den Konzepten gehalten. Wuchernde Megastädte mit mehr Einwohnern als so mancher Flächenstaat sind heute vor allem in Entwicklungsländern und aufstrebenden Volkswirtschaften anzutreffen und stellen die Verantwortlichen vor komplexe Herausforderungen. Denn während in den Industrienationen autonome Flugtaxis und smarte Wohnviertel; begrünte Häuser und Urban Gardening die Visionen zukünftiger Städte befüllen, stellen sie den weniger entwickelten Regionen ganz andere Fragen. Wie lässt sich die stetig wachsende Stadtbevölkerung mit Wasser, Nahrungsmitteln und Gesundheitsleistungen versorgen? Oder wie wirkt sich der Sog vom Land in die Stadt auf Planbarkeit und Regierbarkeit aus? Und es gibt Themen, an denen keine heutige oder zukünftige Stadt der Erde vorbeikommen wird: der Klimawandel etwa. Denn Ideen und Vorkehrungen zum Umgang mit Hitze, Dürre, Wassermangel; Starkregen, Überschwemmung, Meeresspiegelanstieg; Tornados, Hurrikans, Taifunen gehören in das Blickfeld aller Stadtplaner rund um den Globus.
Für eine Stadt sei nicht nur ein Stadtkonzept gültig, sondern oft mehrere, betonen die Stadtforscher. Rink und Haase, glauben, dass viele ihrer gesammelten Konzepte die Debatte bereichern werden. Auch deshalb liegt ihnen das Buch so am Herzen. Denn sie wollen nicht nur einen Überblick über den Stand der Dinge geben, sondern auch Zusammenhänge zwischen den Konzepten zeigen, auf Lücken hinweisen und blinde Flecken identifizieren. Kurz gesagt: Sie wollen alle an der Stadt der Zukunft beteiligten Interessengruppen zur gemeinsamen Diskussion anregen.
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