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Wie wir in Zukunft bauen

Ob mit recycelten Materialien, grünen Dächern oder Solarfassaden - das Bauen muss nachhaltiger werden um zukunftstauglich zu sein. Bild: Zac Wolff/Unsplash

Hochhäuser aus Pilz, mit kühlenden Fassaden und Gemüsegarten auf dem Dach: Unsere Architektur muss sich wandeln, um nachhaltiger und klimafreundlicher zu werden. Lösungen dafür kommen auch aus der Wissenschaft.

Die Fassade? Setzt sich zusammen aus dem Holz zurückgebauter Scheunen. Die Küchenzeile? Besteht aus recycelten Joghurtbechern. Und die Fenster? Stammen aus einem Bankgebäude in Basel. Denn bei ihrem Dachaufbau in Wuppertal setzen Studierende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ganz auf das Prinzip Kreislaufgerechtigkeit: Sie haben RoofKIT entworfen, eine Aufstockung für das Kulturzentrum „Café Ada“, ein zweigeschossiges Gründerzeithaus in der Altstadt. Und verwendeten dafür fast ausschließlich wiederverwendete oder wiederverwertete Materialien.

Mit diesem Ansatz errang das Team vor wenigen Wochen den ersten Platz beim Solar Decathlon Europe, dem weltweit größten Hochschulwettbewerb für nachhaltiges Bauen. Die Auszeichnung sei aber nicht nur ein „schöner Erfolg“ für die Forschungsuniversität der Helmholtz-Gemeinschaft, sagt KIT-Professor Dirk Hebel, Architekt und einer der Betreuer des Projekts. Sondern sie unterstreiche auch das radikale Umdenken im Bauwesen: „Die neue Generation von Architektinnen und Stadtplanerinnen berücksichtigt im Entwurf Prinzipien wie  Kreislaufgerechtigkeit und CO2-Ausstoss von Anfang an mit.“ Rund 90 Prozent der Masterarbeiten am Fachbereich Architektur würden sich mittlerweile mit Fragen des Umbaus von bestehenden Gebäuden befassen, so der Experte.

Denn das Bauen muss sich neu erfinden: Noch verschlingt der moderne Städtebau zu viele wertvolle Rohstoffe – Kupfer und Aluminium, Stahl und Kunststoff, Sand und Holz. Allein in Deutschland ist eine Masse von 50 Milliarden Tonnen verbaut, schätzt das Bundesumweltamt. Und nur ein Bruchteil davon wird nach der Nutzung recycelt. Gleichzeitig stößt der Bausektor besonders viele schädliche Klimagase aus: Fast 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf ihn zurück, hat die Uno errechnet.

Damit die Architektur der Zukunft nachhaltiger wird, müssen Gebäude also anders geplant und gebaut werden: mit innovativen Konzepten und Materialien – auch aus der Wissenschaft. KIT-Professor Hebel etwa entwirft Gebäude, die komplett rückbaubar sind und keinen Müll produzieren an ihrem Lebensende, sondern als Materiallager für zukünftige Generationen dienen. Die Bauteile werden dafür nicht verklebt, sondern ineinander gesteckt, geklemmt oder verschraubt – so können alle Materialien nach Gebrauch vollständig wiederverwendet werden. Gleichzeitig entwickelt der Forscher CO2-speichernde Baumaterialien, etwa Steine aus dem Wurzelwerk von Pilzen.

Sein Kollege Frank Dehn wiederum, Institutsleiter am KIT, will den wichtigsten Konstruktionsbaustoff überhaupt verbessern – Beton. Das Material ist auch in Zukunft unverzichtbar. Doch seine Klimabilanz muss sich radikal verbessern, treibt es dochdie globale Erwärmung stark an. Denn bei seiner Herstellung fallen jährlich 2,8 Milliarden Tonnen CO2 an, etwa acht Prozent der weltweiten Gesamtemissionen.

„Beton ist neben Wasser das meistverbrauchte Material weltweit, es gibt deshalb die gesellschaftliche Erwartung, so verantwortungsvoll wie möglich damit umzugehen“, sagt Frank Dehn. Bild: Regina Link

Hauptverantwortlich für die hohen Emissionen ist der enthaltene Zement: Er dient im Beton als Bindemittel. Bauingenieur Dehn forscht an klimafreundlichen Alternativen, etwa aus den Schlacken von Hochöfen, den Aschen aus Kohlekraftwerken oder dem Georohstoff Ton. Wird damit Beton hergestellt, setzt die Produktion deutlich weniger CO2 frei: Dehn hält eine Halbierung der Werte für möglich. Im Gegensatz zum herkömmlichen Beton ist sein Material zudem nahezu calciumfrei – und damit widerstandsfähiger gegen Hitze, Feuchtigkeit und chemische Stoffe. „Das macht ihn insbesondere für industrielle Anwendungen interessant.“ Erste Pilotanlagen mit dem neuen Beton werden gerade zusammen mit der Industrie umgesetzt.

Kleinste Partikel aus Altbeton sollen sich durch spezielle Verfahren wieder als Bindemittel für frisches Baumaterial einsetzen lassen. Bild: Shutterstock/Nordroden

Doch Baustoffexperte Dehn denkt noch weiter: Mit dem Voranschreiten der Energiewende werden schließlich immer wenige Aschen und Schlacken anfallen, die sich als Zementersatz eignen. Der Ingenieur will deshalb auch Altbeton verwenden: Bislang wird der meist zu groben Körnern zerkleinert. Ungenutzt bleibt aber der sogenannte Brechsand, ein feines Granulat, das beim Abriss von Häusern und bei der Weiterverarbeitung des Bauschutts entsteht. Diesen „Betonstaub“ setzt Dehn als Grundstoff für ein neuartiges Bindemittel ein: Es ist versetzt mit bestimmten Bakterien, deren hoch-aktive Enzyme CO2 binden – in Experimenten ist dies bereits geglückt.  „Das würde die Klimabilanz von Beton weiter verbessern, hier steht unsere Forschung aber noch ganz am Anfang“, erläutert Dehn.

Altbeton, der wieder zu Beton wird und dabei sogar Klimagase schluckt: Projekte wie diese seien für die Architektur der Zukunft wegweisend, betont Daniela Thrän, Bioenergieexpertin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Denn sie stärken die lokale Kreislaufwirtschaft. Thrän analysiert die biobasierten Stoffkreisläufe seit Jahren – und entdeckt doch immer wieder ungenutztes Potenzial: Städte zum Beispiel könnten ihre Abfälle und das Abwasser noch besser verwerten, wenn sie kleine Raffinerien errichten. Diese würden nicht nur Biogas für den lokalen Verbrauch gewinnen, sondern auch wertvolle Rohstoffe für die Industrie – Stickstoffe für Düngemittel etwa. Erste Tests dazu laufen in einer Kläranlage in Stuttgart unter Beteiligung des KIT.

Das Schwammstadt-Konzept setzt auf Infrastrukturen, die das Niederschlagswasser ortsnah speichern und es bei Bedarf wieder abgeben – wie ein Schwamm. Grafik: UFZ

Doch Thrän sieht Städte nicht nur als Verbraucher wertvoller Ressourcen – sondern auch als unterschätze Produzenten. Etwa von Lebensmitteln: Erste Supermärkte errichten zum Beispiel auf ihrem Dach Anlagen zur Zucht von Fischen. Direkt neben den Bottichen stehen kleine Gewächshäuser, in denen frisches Obst, Gemüse und Kräuter wachsen.

Auch Privathäuser könnten künftig so geplant und gebaut werden, dass ihre Dächer und Fassaden Früchte tragen, so die Umweltingenieurin: zur Selbstversorgung der Mieterinnen und Mieter. In einigen Städten Lateinamerikas, Asiens und Afrikas wird das Prinzip bereits umgesetzt.

Solche kleinteiligen Grünflächen bieten sogar noch weitere Vorteile: Sie helfen bei Extremwetter. Denn bei Hitze kühlen sie ihre direkte Umgebung. Und bei Starkregen nehmen sie einen Teil der Wassermassen auf – und verringern so das Risiko für Überschwemmungen. Für derartige Szenarien müssen sich immer mehr Gemeinden städtebaulich rüsten, erläutert Bruno Merz, Hydrologe am Helmholtz-Zentrum Potsdam (GFZ). Denn mit dem Klimawandel steigt die Zahl der extremen Wetterlagen. „Hochwasser droht heute auch Siedlungen, die nicht an einem Fluss oder Meer liegen“, so der Experte.

Die bislang übliche Form des Bauens hat diesen Negativtrend sogar noch begünstigt: Viele Gemeinden haben ihre Flächen versiegelt, um Wasser schnell abzuleiten. „Diesen Grundgedanken müssen wir ins Gegenteil verkehren und unsere Städte und Dörfer so umbauen, dass sie Wasser künftig möglichst lange festhalten“, sagt Merz. Parks, Dachgärten und Grünflächen saugen sich dann bei Regen voll wie ein Schwamm. Überschüsse leiten sie weiter an verborgene Tanks – aus diesen Reservoirs können sich die Grünanlagen später bei Trockenheit versorgen. Gleichzeitig erhöhen diese bepflanzten Areale die Artenvielfalt von urbanen Räumen.

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Die elegante blaue Fassade des Forschungsneubaus des Helmholtz-Zentrums Berlin erzeugt bis zu 50 Kilowatt Strom und dient der Photovoltaik-Forschung als Reallabor. Bild: HZB / M. Setzpfandt

Das Prinzip der „Schwammstadt“ wirkt so gleich gegen mehrere Folgen des Klimawandels – und lässt sich sogar mit Solaranlagen kombinieren, die gleichfalls auf die Dächer vieler Häuser drängen. Darauf weist Björn Rau, stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Photovoltaik am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) hin. Mit seinem Team berät er Gemeinden und Architekturbüros beim Einsatz von Solarzellen an Gebäuden. „Vielen Planenden ist überhaupt nicht bewusst, wie vielfältig sich Photovoltaik heute verwenden lässt, nicht nur auf Dächern, sondern auch in Fassaden“, erklärt Rau. Dort lässt sich mit ihrer Hilfe sogar besonders viel Strom gewinnen, denn gerade mehrstöckige Häuser bieten auf ihren Fassaden oft viel mehr Fläche als auf dem Dach. Insgesamt könnten mit derartige Lösungen allein in Deutschland bis zu einem Drittel des aktuellen Strombedarfs decken, ergab eine Studie.

Noch fehle aber Erfahrung und Wissen zum optimalen Einsatz von Photovoltaik in der Gebäudehülle, so Rau. Das HZB hat deshalb ein Reallabor für bauwerkintegrierte Photovoltaik erbaut: eines der Forschungsgebäude des Zentrums in Berlin-Adlershof trägt Solarmodule – Fassadenplatten in kräftigem Blau. Raus Team will an ihnen beispielsweise testen, wie robust sich die Elemente im Dauereinsatz zeigen und wie viel Strom sie im Jahresverlauf liefern.

Häuser, die ihren eigenen Strom produzieren, frische Lebensmittel liefern und sich selbst kühlen – Ideen wie diese können das Bauen der Zukunft radikal wandeln. Denn durch sie wären unsere Siedlungen keine reinen Verbraucher mehr von Ressourcen wie Strom, Wasser oder Baumaterial. Sondern auch Produzenten von wertvollen Rohstoffen und Energie – und dadurch zukunftsfähiger, nachhaltiger, klimafreundlicher.

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