Interview
Wie verändert COVID-19 das Riechen und Schmecken?
Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann den Geruchs- und Geschmackssinn erheblich stören – bis hin zum vollständigen Verlust. Das zeigt eine internationale Umfrage. Kathrin Ohla vom Forschungszentrum Jülich koordiniert die Befragung für die deutschsprachigen Länder und berichtet.
Wegen der großen Resonanz und der vielen Anfragen von Betroffenen haben wir noch einmal mit Kathrin Ohla gesprochen. Zum zweiten Teil des Interviews.
Das Riechen und Schmecken ist bei Erkältungen oder Grippe oft beeinträchtigt. Was ist daran überraschend, dass COVID-19-Infizierte auch darunter leiden?
Das Bemerkenswerte ist die Heftigkeit der Empfindungsstörungen. Eine erste Auswertung der Angaben von 4.039 Erwachsenen mit positiver COVID-19-Diagnose ergab, dass das Riechvermögen im Mittel um rund 80 Prozent zurückging. Beim Geschmack lagen die Einbußen bei rund 70 Prozent, bei der Irritation durch Brennen, Kälte oder Prickeln bei rund 37 Prozent. Ein Großteil der Teilnehmer beklagte einen vollständigen Verlust.
Haben Sie die komplette Umfrage am Forschungszentrum Jülich entwickelt?
Wir sind eine internationale Lenkungsgruppe von neun Wissenschaftlern, die diese Studie koordiniert. Dem gesamten Konsortium gehören 550 Mitglieder in 56 Ländern an.
Wie viele Personen haben bisher mitgemacht?
Wir stehen bei mehr als 40.000 Teilnehmern. Das ist sehr gut, wenn man bedenkt, dass unsere Umfrage etwa 20 Minuten dauert. Wir haben einen sehr umfangreichen Fragebogen, um viele Faktoren mitzuerfassen – etwa Menschen, die einen Geruchsverlust erlitten haben, weil sie sich den Kopf gestoßen haben oder nicht schmecken können, weil sie sich einer Chemotherapie unterziehen.
Wie viele dieser 40.000 Teilnehmer wurden positiv auf COVID-19 getestet?
Aktuell sind wir bei 8.000 COVID-19-Positiven. Wir fragen das auf verschiedenen Ebenen ab: Haben Sie einen positiven Speicheltest? Einen positiven Antikörpertest? Hat der Arzt die Erkrankung ganz ohne Test festgestellt? Hatten Sie einen explizit negativen Test oder noch gar keinen? Das haben wir alles unterschieden, um die verschiedenen Gruppen miteinander zu vergleichen.
Was lässt sich aus den ersten 4.039 Datensätzen der COVID-19-Erkrankten herauslesen?
In dieser ersten Auswertung wollten wir herausfinden, wie sich Patienten mit einem positiven Labortest von denjenigen unterscheiden, die keinen Test durchgeführt haben, aber ihrem Arzt zufolge alle Symptome aufweisen. Wir haben verglichen, wie sich diese Gruppen in ihren subjektiven Berichten unterscheiden, wie gut sie riechen, schmecken und Irritationen erleben können.
Mit welchem Ergebnis?
Wir sehen, dass es in beiden Gruppen einen massiven Verlust beim Riechen und Schmecken gibt. Bei der Irritation war das Bild komplizierter. Da gab es Personen, die diesen Sinn komplett verloren haben, Teilnehmende, die ihn halb verloren haben und Personen, die Irritationen weiterhin komplett spüren können. Dass es beim Riechen und Schmecken so ein „Alles-oder-nichts-Prinzip“ war, ist ein spannendes Ergebnis.
Aber beruhend auf subjektiven Einschätzungen.
Normalerweise würden wir die Personen bei uns im Labor testen. Das geht in diesen Zeiten natürlich nicht. Es gibt aber eine ganze Reihe von Studien, die gezeigt haben, dass Selbsteinschätzungen sehr gut funktionieren, wenn Menschen tatsächlich massiv beeinträchtigt sind. Sie funktionieren hingegen nicht zuverlässig, wenn wir beispielsweise zehn Prozent der Riechfähigkeit verlieren. Das können wir nicht gut selbst einschätzen. Aber wenn wir fast alles verlieren, sind wir da genauso gut wie ein objektives Messverfahren. Dass sich die Gruppen mit Labortest und mit einer Einschätzung durch den Arzt nicht unterscheiden, zeigt uns, dass man die ärztliche Beurteilung ernst nehmen sollte.
Die Umfrage sagt aber nichts darüber aus, wie oft diese Schäden bei COVID-19-Patienten auftreten. Wer keine Beeinträchtigungen hat, ist natürlich wenig motiviert, daran teilzunehmen.
Genau, das kann mit einer Online-Befragung nicht einfach erfasst werden. Es gäbe nur eine Möglichkeit, indem man eine repräsentative Stichprobe zieht. Einige klinische, wenn auch nicht repräsentative Stichproben zeigen uns, dass bei 50 bis 80 Prozent der COVID-19-Erkrankten Riech- und Schmeckstörungen auftreten – gerade bei denjenigen mit mildem Krankheitsverlauf. Bei den besonders schweren Fällen konnte man die Zahl nicht bestätigen. Aber das ist natürlich auch das Letzte, was der Arzt erfragt, wenn jemand mit akuten Atemproblemen eingeliefert wird.
Wie lange treten die Beeinträchtigungen auf?
Für diese Frage haben wir gerade eine große zweite Studie gestartet, die die Symptome über längere Zeit nachverfolgen soll. In unserer ersten Studie ist unser Einschlusskriterium, dass die Probanden akute Symptome einer Atemwegserkrankung haben, in den letzten zwei Wochen zumindest. Viele Teilnehmer haben aber gesagt: Meine Krankheit hat schon vor Wochen begonnen und ich habe immer noch Symptome. Wir sehen, dass die Teilnehmer im Schnitt einen Monat krank sind. Das ist eine lange Zeit und wenn wir uns einzelne Patientenberichte anschauen, sehen wir sehr viele Fälle, die auch nach drei Monaten immer noch nicht riechen können. Es ist wirklich langwierig und anders als bei anderen viralen Erkrankungen.
Woran könnte das liegen?
Die Mechanismen sind andere. Bei einem Grippevirus oder anderen Coronaviren sehen wir: Die Patienten sind erkältet, die Nase ist zugeschwollen und wenn das Fieber weg ist, verlieren einige für eine Zeit ihren Geruchssinn und dann kommt er meist zurück. Bei den COVID-19-Patienten ist das anders: Sie können in der Regel sehr gut durch die Nase atmen, können aber von Anfang an nicht riechen. Viele sagen sogar, dass der Riechverlust vor allen anderen Symptomen eingetreten ist. Das ist sehr ungewöhnlich. Das zeigt, dass das Virus das Geruchssystem direkt befällt. Da auch Geschmack und Irritation betroffen sind, die davon unabhängige Sinnessysteme sind, sehen wir, wie das Virus auf diese Systeme einwirkt.
Nämlich unterschiedlich?
Genau. Das Geruchssystem ist das einzige System, bei dem die Sinneszellen Neuronen sind, während das Schmecksystem Hautzellen hat, hauptsächlich auf der Zunge. Es scheint so zu sein, dass die Nervenzellen im Geruchssystem absterben. Glücklicherweise ist es aber auch das einzige System, bei dem sich Neuronen erneuern können. Das dauert aber durchaus mehrere Monate.
Dann kann man also wieder normal riechen?
In der sogenannten Erneuerungsphase riechen Sie falsch. Sie schnuppern an Ihrem Kaffee und er riecht nach Ausguss. Man nennt dieses Phänomen, dass Dinge plötzlich anders riechen, Parosmie. Fäkalgeruch, Abflussgeruch, Brandgeruch: Es gibt leider keine angenehmen Parosmien, es riecht nie nach Blume. Das ist sehr belastend für die Patienten, aber ein Zeichen dafür, dass sich das System heilt. Die Wahrscheinlichkeit ist dann sehr hoch, dass ein Großteil des Geruchssinns wiederkehrt.
Und wie verhält es sich mit dem Geschmackssinn?
Der funktioniert über Hautzellen, die sich alle 14 Tage erneuern. Hier ist der Einfluss des Virus weniger problematisch. Um alles zusammenzubringen, brauchen wir aber noch mehr Daten. Dafür haben wir einen Selbsttest veröffentlicht. Daran kann jeder teilnehmen, egal ob erkrankt oder nicht. Da geht es darum, an Haarshampoo zu riechen, etwas Zucker oder ein wenig Chilipulver auf die Zunge zu nehmen und das zu beurteilen. Wer beeinträchtigt ist, kann verfolgen, wie sich seine Wahrnehmungen verändern. Gesunde Teilnehmer können ihre Riech- und Schmeckfähigkeiten tracken und sind so für den Ernstfall sensibilisiert.
Erkenntnis, Bewältigung, Prävention
Was bedeutet ein Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns generell für die Betroffenen?
Das hat Auswirkungen auf ihr Essverhalten, aber auch auf die gesamte Lebensqualität. Viele Betroffene sind verzweifelt, haben Angst oder leiden unter depressiven Verstimmungen. Eltern berichten zum Beispiel, dass sie ihre Kinder nicht mehr riechen können und empfinden das als sehr belastend. Wenn ich nicht riechen kann, kann ich auch nicht prüfen, ob ich selber Körpergeruch habe oder ob Gefahren wie Brände drohen.
Was können Sie Betroffenen sagen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass Geruchs- und Geschmackssinn mit der Zeit zurückkehren, ist größer als dass die Sinne dauerhaft betroffen bleiben. Um sie in Prozent auszudrücken, fehlen uns jedoch die Daten, da es bisher noch keine Langzeituntersuchungen gibt. Deshalb können wir Betroffenen nichts garantieren, sondern nur auf Erfahrungen mit anderen Viruserkrankungen setzen.
Bis wann ist die Teilnahme an der Umfrage noch möglich?
Es gibt keine Deadline. Je mehr Daten wir erhalten, desto aussagekräftiger sind die Ergebnisse. Wir werden immer wieder Zwischenergebnisse auswerten, wenn wir eine kritische neue Datenmenge erreicht haben.
Wegen der großen Resonanz und der vielen Anfragen von Betroffenen haben wir noch einmal mit Kathrin Ohla gesprochen. Zum zweiten Teil des Interviews.
Online-Umfrage des Globalen Konsortiums für Chemosensorische Forschung (GCCR)
Die Umfrage des GCCR ist seit dem 7. April 2020 und in 32 Sprachen online. Teilnehmen können alle Erwachsenen, die aktuell oder in den letzten zwei Wochen unter einer Atemwegserkrankung wie COVID-19, Grippe oder Erkältung leiden oder gelitten haben. Der Fragebogen erfasst den Geruchssinn, den Geschmackssinn und den Sinn für bestimmte Empfindungen im Mund. Dazu zählen Brennen, Kälte oder Prickeln etwa beim Kontakt mit Chili, Pfefferminzbonbons oder Kohlensäure. Diesen dritten Sinn nennen die GCCR-Experten Irritation. Die Teilnehmer sollen auf einer Skala zwischen 0 und 100 angeben, wie gut sie ihre Wahrnehmungen mit dem jeweiligen Sinn vor und während der Erkrankung beurteilen.
Die über 500 Mitglieder des GCCR wollen die globale Zusammenarbeit in der Erforschung der chemischen Sinne Geruch und Geschmack fördern – in Abstimmung mit lokalen Labors, Wissenschaftlern und Kliniken.
Link zur Teilnahme:https://gcchemosensr.org/surveys/
Außerdem haben Kathrin Ohla und ihr Team einen Geruchs- und Geschmackstest für jedermann entwickelt. Damit können alle Interessierten ihr Riech- und Schmeckvermögen kontinuierlich zu Hause messen:www.riech-check.de
Wer wir sind
Helmholtz ist Deutschlands größte Forschungsorganisation. Wir stellen uns großen und drängenden Fragen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu bündeln wir unsere langfristig angelegte Spitzenforschung in sechs strategische Bereiche.
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