Sprachmodell UroBot
Wie KI-Chatbots die Medizin verändern könnten
Der neu entwickelte „UroBot“ kennt alle Leitlinien und Konsenspapiere zu onkologischen Erkrankungen in der Urologie. Gefüttert mit Patientendaten, gibt er akkurate Therapieempfehlungen – eine Entwicklung, die die Krebsmedizin nachhaltig verändern könnte.
Die Eingebung für das Programm, was die Krebsbehandlung womöglich einmal nachhaltig verändern könnte, kam Titus Brinker im Dezember 2023, kurz, bevor er zu einer Weihnachtsfeier gehen wollte. Er war etwas zu früh dran, also schaltete er noch einmal die Nachrichten im Fernseher an und sah dort, wie das Programm ChatGPT – dargestellt durch eine animierte Figur, einen Avatar – seine Konversationskünste zeigte. Das könnte eine Riesenchance für die Versorgung sein, dachte Brinker, Onkologe und IT-Spezialist am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Auf der Feier erzählte er dann seinen Kollegen davon. Die waren begeistert. Und aus dem Gedanken wurde eine Idee, die nicht mehr verschwand. Kurze Zeit später ging Brinker für das DKFZ eine Kooperation mit Ärzten der Urologischen Uniklinik Mannheim ein.
Und sie begannen, gleich zwei ChatBots zu entwickeln: Einen für Patientinnen und Patienten – und einen zum fachlichen Austausch für die Urologinnen und Urologen. Und der könnte als Modell dienen, um die medizinische Versorgung nachhaltig zu verändern.
Fortschritt ist fantastisch – aber er kann mitunter auch unübersichtlich sein. In der Krebstherapie – bei urologischen Tumorerkrankungen ebenso wie in anderen Feldern, von Bronchialkarzinomen bis Brustkrebs – gibt es in immer schnellerem Rhythmus neue Entdeckungen, die für bestimmte Patientinnen und Patienten eine bessere Therapie bedeuten können. Damit die Leitlinien aktuell bleiben, müssen sie häufiger angepasst werden, man spricht inzwischen von „Living Guidelines“, die in kürzeren Abständen upgedatet werden. Das ist erst einmal gut – aber für die Mediziner bedeutet das, selbst wenn sie in einem Tumorzentrum arbeiten: Es wird zunehmend schwerer, auf dem aktuellen Stand zu bleiben.
„Dabei ist Aktualität nur ein Aspekt. Vielen Therapien geht erst einmal eine molekulare Analyse des Tumors voraus, um ideale Angriffspunkte für eine Behandlung zu finden. Und solche Angriffspunkte gibt es immer mehr, die Therapien werden immer spezifischer, individueller. Das wiederum bedeutet, dass es zunehmend mehr Behandlungsoptionen gibt, die man als Onkologin oder Onkologe kennen muss“, sagt Brinker.
Genau dies soll der „UroBot-4o“, kurz UroBot, adressieren, den Brinker und sein Team entwickelt haben. Dazu haben sie das leistungsstarke Sprachmodell GPT-4o von Open AI mit PDFs von allen möglichen Leitlinien und wissenschaftlichen Publikationen gefüttert. „Wir haben dem Programm beigebracht, alle Infos aus den Texten, Zahlen, Tabellen und Grafiken in den vielen Tausend Seiten PDFs herauszuziehen und zu verarbeiten“, sagt Brinker. Damit der UroBot aktuell bleibt, haben Brinker und seine Kollegen ein Programm geschrieben, was regelmäßig das Internet nach neuen Dokumenten und Leitlinien-Updates durchsucht.
Und tatsächlich: Gibt man dem UroBot, der bislang nur im experimentellen Setting eingesetzt werden darf, alle Daten beispielsweise über eine Patientin mit Harnblasenkrebs, einschließlich der molekularen Analyse des Tumors, dann verarbeitet der UroBot die Daten, vergleicht sie mit allen gelernten Inhalten aus den PDFs und gibt innerhalb von Sekunden eine Therapieempfehlung. Das vielleicht wichtigste daran, damit der UroBot tatsächlich einen Unterschied macht, ist ein Feature, das Brinker bei der Erstellung und Ausgabe der Daten eingebaut haben: „Wir haben den UroBot so trainiert, dass er jede Antwort, die er gibt, belegen können muss“, sagt Brinker.
Das ist der große Unterschied zum bekannten ChatGPT-Programm. Während ChatGPT häufig noch halluziniert und seine Aussagen nicht belegen kann, sind bei den Antworten vom UroBot fast hinter jedem Satz Fußnoten – klickt man darauf, kommt man direkt zur entsprechenden Stelle im entsprechenden PDF, von der die Aussage abgeleitet wurde.
„Der UroBot ist komplett gefühlslos, klar, er kann vieles, was ein Arzt leisten kann, nicht leisten. Aber er kann vermutlich besser als jeder Mensch Daten präzise verarbeiten, mit bekanntem Wissen abgleichen und darauf basierend Empfehlungen geben“, sagt Brinker, und ein wenig Stolz schwingt in seiner Stimme mit.
Wie gut der UroBot ist, haben Brinker und sein Team bereits getestet: An der Facharztprüfung für Urologie. Das Ergebnis ist überzeugend: Der UroBot schloss mit 88,4% korrekten Antworten besser ab als die durchschnittliche Leistung von Urologen, die bei 68,7% liegt.
Ob der UroBot auch bei komplexen onkologischen Fragestellungen anhand individueller Patientendaten tatsächlich bessere Entscheidungen trifft als ein Arzt, das erforschen Brinker und sein Team gerade in einer 3-armigen Studie, sie vergleichen folgende Therapieentscheidungen: Erstens solche, die von mehreren Ärzten in sogenannten Tumorboards getroffen werden; zweitens solche, die der UroBot und Ärztinnen und Ärzte gemeinsam treffen und drittens solche, die der UroBot alleine trifft. „Wenn da rauskommt, dass der UroBot die besten Entscheidungen trifft, dann könnte das zu einer kleinen Revolution führen“, sagt Brinker.
Denn es würde de Fakto bedeuten, dass der UroBot selbst eine Art hocheffizentes Tumorboard ist. Für die Ärzte würde das eine enorme Unterstützung bei der Suche nach der richtigen Therapieentscheidung bedeuten. Doch bis es soweit kommt, dürfte es noch dauern: „In der Europäischen Union dauert es sechs bis acht Jahre, bis ein Medizinprodukt zugelassen wird. Und als Medizinprodukt würden der UroBot und auch unsere Weiterentwicklung, der CancerBot, eingestuft. Wir hoffen natürlich, dass dieses Verfahren angesichts der enormen Benefits beschleunigt wird“, sagt Brinker.
Der CancerBot ist ein ChatBot, der sich an Patientinnen und Patienten richtet und nicht nur urologische, sondern sämtliche Krebsfragen beantworten soll. „Der CancerBot kann nicht nur gut Informationen verarbeiten, er kann auch verständlich Informationen vermitteln. Das kann eine große Hilfestellung sein für alle Patientinnen und Patienten, die beispielsweise ihre eigene Therapie besser verstehen oder sich aufs Arztgespräch vorbereiten wollen“, sagt Brinker. So sollen beim Krebsinformationsdienst bald interessierte Patientinnen und Patienten den CancerBot nutzen können. Allerdings zunächst einmal nur im Rahmen von Studien, in denen die Beratung durch den CancerBot evaluiert wird. Der Ethik-Antrag ist schon durch, Anfang 2025 soll es losgehen.
Sprachmodell UroBot beantwortet Fachfragen genauer als Urologen
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