SARS-CoV-2-Infektion
Wie das Virus Proteine der Zelle nutzt
Wie interagieren Körperzellen und deren Proteine mit SARS-CoV-2, wenn sie von dem Virus befallen werden? Nachwuchswissenschaftler haben nun die weltweit erste Publikation dazu veröffentlicht. Mathias Munschauer, einer der Hauptautoren, erklärt, wie daraus neue Behandlungsansätze entstehen könnten.
Herr Munschauer, Sie haben einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt, um das Coronavirus und seine Wirkmechanismen besser zu verstehen. Sie konzentrieren sich nicht auf das Virus und seine Proteine, sondern auf die Wirtszelle, also die Zelle, die vom Virus befallen wird. Was haben Sie daraus über das Virus gelernt?
Wir haben in den Zellen nach Mechanismen gesucht, die entweder schützend wirken oder die Zelle anfälliger machen für einen Befall durch das Virus. SARS-CoV-2 ist ja ein RNA-Virus. Das RNA-Erbgut des Virus wird in die Zelle eingeschleust und dann von der Zelle in Proteine übersetzt, die das Virus für seine Vermehrung benötigt. Wir haben die interessante Entdeckung gemacht, dass SARS-CoV-2 auf bestimmte Proteine angewiesen ist, für die das Virus selbst aber keine genetische Information mitbringt.
Es nutzt also auch Proteine von den Wirtszellen?
Genau, es greift bei den menschlichen Zellen auf deren Proteom zurück. Als Proteom bezeichnet man die Gesamtzahl aller in menschlichen Zellen vorkommenden Proteine. Das Virus baut gewissermaßen darauf, bestimmte Proteine, die zum Proteom der Wirtszelle gehören, in einer befallenen Zelle vorzufinden.
Wenn diese Proteine nicht in der Zelle vorhanden wären, wäre die Vermehrung des Virus also blockiert?
Ja, das ist ein möglicher Mechanismus. Allerdings sind die Proteine in aller Regel vorhanden. Aber es gibt auch Proteine in der Körperzelle, die mit der Virus-RNA interagieren und die Vermehrung des Virus dadurch hemmen können. Mithilfe von Massenspektrometrie konnten wir diese RNA-bindenden Proteine identifizieren. Wir haben in unserer Arbeit eine Art Katalog von ihnen erstellt: bis zu 104 menschliche Proteine interagieren direkt mit der RNA des Virus. Mindestens 18 davon scheinen bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 besonders wichtig zu sein. Wir haben uns vor allem zwei von ihnen genauer angesehen, die durch eine Bindung an die Virus-RNA die Vermehrung des Virus hemmen. Sie wirken also antiviral.
Zusätzlich haben wir auch sogenannte niedermolekulare Wirkstoffe getestet. Durch ihre sehr geringe Größe sind sie in der Lage, in Zellen einzudringen und solche Proteine zu inhibieren, die nicht hemmend, sondern stimulierend auf das Virus und seine Vermehrung wirken. Das wäre ein weiterer möglicher Angriffspunkt, um die Viren in ihrer Vermehrung zu bremsen.
Mathias Munschauer hat Biotechnologie studiert und anschließend im Fach Biochemie promoviert. Er hat zahlreiche Forschungsstipendien gewonnen, darunter den Springer-Preis für herausragende Doktorarbeiten. Seit 2019 ist er Helmholtz-Nachwuchsgruppenleiter am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg. Das HIRI ist ein Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI).
Dann lassen sich diese Mechanismen auch therapeutisch nutzen?
Sicher ergeben sich daraus Ansätze, die weiterverfolgt werden sollten. Denn diejenigen Zellen, die die beiden genannten antiviralen Proteine in eher größerer Menge produzieren, sind eventuell besser vor SARS-CoV-2 geschützt. Wenn man zum Beispiel Wege findet, in den Körperzellen die Produktion oder Aktivität dieser Proteine zu stimulieren, könnte man diese Zellen gegen das Coronavirus wehrhafter machen. Alternativ kann man mit den niedermolekularen Wirkstoffen versuchen, bestimmte Proteine der Wirtszelle zu hemmen, die begünstigend auf das Virus oder seine Vermehrung wirken. Aber dazu braucht es natürlich mehr Forschung, auch klinische Studien. Ich hoffe, dass unsere Befunde von einigen Kollegen aufgegriffen und fortgeführt werden.
Sie haben die Ergebnisse vor Kurzem in dem renommierten Fachjournal Nature Microbiology veröffentlicht. Die Studie hat bei der Veröffentlichung große Aufmerksamkeit bekommen.
Wir waren sehr froh, als wir die Ergebnisse publiziert hatten. Auch wenn sich die meiste Forschung in diesem Feld mehr auf das Virus und seine Proteine konzentriert, so gibt es doch ein paar Arbeitsgruppen, die genau wie wir die Wirkung des Proteoms der Wirtszelle auf SARS-CoV-2, insbesondere die RNA untersuchen – unsere Studie ist die weltweit erste dazu, die veröffentlicht wurde. Für uns als eine Gruppe aus recht jungen Wissenschaftlern war das ein sehr großer Erfolg. Das gibt natürlich auch einen enormen Motivationsschub.
Sie leiten am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg eine Nachwuchsgruppe. Wie ist das strukturiert?
Die Helmholtz-Gemeinschaft macht einmal jährlich eine Ausschreibung für sogenannte „Helmholtz Young Investigator Groups“. Dort kann sich jeder erfolgreiche jüngere Wissenschaftler bewerben. War die Bewerbung erfolgreich, wird man Nachwuchsgruppenleiter und bekommt Forschungsausstattung und ein Budget. Damit kann man unter anderem Doktoranden und andere Wissenschaftler anstellen und so eigene Forschungsfragen verfolgen. Natürlich gibt es unter den Nachwuchsgruppenleitern auch regelmäßige Treffen und Seminare, denn auch wenn die Forschungsfelder manchmal weit auseinanderliegen, gibt es doch gemeinsame Themen.
Zurück zu der Veröffentlichung. Das war wahrscheinlich auch ein Gemeinschaftsprojekt?
Ja absolut. Bei der Publikation in „Nature Microbiology“ war meine Nachwuchsgruppe zwar federführend, aber natürlich war das ein großes Gemeinschaftswerk. Insgesamt waren sechs Arbeitsgruppen beteiligt. Insbesondere Jochen Bodem und sein Team vom Institut für Virologie und Immunbiologie an der Universität Würzburg und die Kollegen vom MIT in Boston haben einen großen Anteil an der Publikation.
Sie haben das Ganze koordiniert?
Ja, bei meiner Nachwuchsgruppe liefen die Fäden zusammen. Ich musste steuern und ein Auge darauf haben, dass aufkommende Probleme zügig angegangen werden. Die allermeisten Erkenntnisse, die mit COVID-19 in Verbindung stehen, finden zurzeit in der Wissenschaft großes Interesse. Zugleich steht man genau deshalb auch unter Zeitdruck. Da war es gut, dass ich als Nachwuchsgruppenleiter eine große Freiheit und Flexibilität hatte. Da ich wenig Lehre mache, kann ich mich voll auf die Forschung konzentrieren. Außerdem kann ich das verfügbare Budget frei einsetzen.
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