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Coronavirus-Pandemie

Wie beeinflusst der Lockdown die psychische Gesundheit?

Vor allem bei jüngeren Frauen nahmen Stress, Angst und depressive Symptome während des Lockdowns zu. Bild: Shutterstock/Zigres

Der Lockdown im Frühjahr hat das Wohlbefinden der Deutschen verändert: Stress, Angst und depressive Symptome nahmen zu. Das zeigen Ergebnisse der NAKO-Gesundheitsstudie. Ein Gespräch mit der Studienleiterin Annette Peters vom Helmholtz Zentrum München.

Die Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München Annette Peters ist Vorstandsvorsitzende des Vereins NAKO e.V.. Bild: Christian Kielmann / Helmholtz

Frau Peters, Sie haben eine der umfassendsten Untersuchungen weltweit darüber durchgeführt, wie sich die Pandemie und Schutzmaßnahmen wie der Lockdown auf die Psyche und das Befinden der Menschen auswirken. Was haben Sie herausgefunden?

Es gibt eine Reihe interessanter Ergebnisse. Manches war zu erwarten. So hat etwa das Stresslevel bei allen Altersstufen und beiden Geschlechtern durchweg zugenommen. Auf einer Skala von eins bis zehn ist es im Durchschnitt ungefähr um einen Punkt von etwa dreieinhalb auf vier bis fünf gestiegen, also um fast ein Drittel. Überraschend war hingegen, dass sich die Pandemie und der Lockdown ganz unterschiedlich auf die Psyche auswirken können, je nachdem wie alt man ist.

Was hat Sie dabei überrascht?

Ich hatte ja schon gesagt: Der Stress nahm in jedem Alter zu. Bei Ängsten und depressiven Symptomen aber gab es ausgerechnet bei Menschen über 60 Jahren im Grunde keine Veränderung. Das liegt womöglich an ihrer Lebenserfahrung: Im fortgeschrittenen Alter hat man nicht nur einiges erlebt, sondern kann auch außergewöhnliche Situationen etwas besser aushalten.

Durch die Arbeit im Homeoffice nahm die Belastung im Lockdown gerade bei jüngeren Menschen zu. Bild: pixabay/Vinzent Weinbeer

Bei jüngeren Menschen haben Ängste und depressive Symptome also stärker zugenommen?

Ja, signifikant – das betrifft Menschen zwischen 20 und Ende 40. Vor allem bei jüngeren Frauen bis Ende 30 hat sich die psychische Gesundheit verschlechtert. Das könnte an der Vielfachbelastung bei berufstätigen Frauen mit Kindern liegen: Im Lockdown waren plötzlich die Kinder zu Hause und brauchten Zeit und Zuwendung, gleichzeitig mussten viele Berufstätige auf einmal im Homeoffice im Job ihre Leistung bringen, und dann kam auch noch die Ansteckungsgefahr hinzu. Hier hatten die Älteren vielleicht noch einen Vorteil: Sie waren nicht so gefordert wie junge Familien und Berufstätige. Sie konnten sich eher darauf konzentrieren, sich selbst zu schützen.

Sind das temporäre Belastungen, die wieder verschwinden oder müssen viele jüngere Menschen wegen Angststörungen und Depression über einen längeren Zeitraum medizinisch behandelt werden?

Glücklicherweise sind die meisten Anstiege von Angst und depressiven Symptomen noch im vorklinischen Bereich geblieben. Das heißt, viele Menschen sind zwar ängstlicher geworden und hatten leichte depressive Episoden, aber das alles in einem Maß, das nicht behandlungsbedürftig ist. Die Häufigkeit von schweren behandlungsbedürftigen Symptomen hat allerdings auch zugenommen: von 6,4 Prozent auf 8,8 Prozent. Ob diese Entwicklung sich wieder umkehrt und alles wieder wird wie vorher, können wir nicht sagen. Vielleicht sind bei vielen Befragten die Angst und depressiven Symptome inzwischen wieder zurückgegangen. Wir haben unsere Befragung im Mai durchgeführt und betrachten darin die Auswirkungen des Lockdowns im Frühjahr.

Ein Lockdown hat Auswirkungen auf die Psyche der Menschen.

In der NAKO-Gesundheitsstudie beleuchten Sie eigentlich die Entstehung von Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Herzinfarkt, um deren Vorbeugung und Behandlung zu verbessern. Nun untersuchen Sie auch die Auswirkungen von COVID-19. Wie kam es dazu?

Unsere Studienzentren, in denen wir die Probanden untersuchen, mussten wir Mitte März schließen. Wir waren nicht darauf vorbereitet, Menschen unter Pandemie-Bedingungen zu untersuchen und zu befragen. Ende April haben wir dann Fragebögen versandt, in denen wir uns nach der Lebenssituation und der mentalen Gesundheit erkundigten. 113.000 Menschen haben die Fragebögen in den ersten 30 Tagen ausgefüllt und zurückgeschickt. Die Befragung war ein erster Beitrag der NAKO, um die Pandemie und ihre Auswirkungen besser zu verstehen. Wir haben auch gefragt, ob man bereits an COVID-19 erkrankt ist und ob man schon einmal getestet wurde. 344 Personen waren bereits erkrankt, vier Prozent der Teilnehmer, also mehr als 5.000, hatten einen Test hinter sich.

Wie hat sich das Testen auf das Stresslevel ausgewirkt?

Der Test ging einher mit größerer wahrgenommener Unsicherheit und Stress. Allerdings wissen wir nicht, ob der Test selbst die Menschen gestresst hat oder die Angst, sich infiziert haben zu können. Damals wurde ja vor allem getestet, wenn man einem Risiko ausgesetzt war. Ich denke, mittlerweile ist das Testen weit verbreitet und kann im Gegenteil ja Gewissheit bringen.

Hat die Pandemie auch positive Auswirkungen? Haben Sie darüber etwas in Ihrer Befragung herausgefunden?

Wir haben auch nach einer Bewertung des allgemeinen Gesundheitszustandes gefragt, also wie man sich körperlich fühlt. Und tatsächlich haben 32 Prozent der Studienteilnehmer ihren Gesundheitszustand besser eingeschätzt – und das, obwohl der Stress ja eigentlich zugenommen hat. Wir vermuten, das hat etwas mit der Entschleunigung zu tun, die der Lockdown ja auch mit sich brachte. Manche Menschen hatten mehr Zeit, viele haben angefangen, sich mehr zu bewegen oder Sport zu machen und haben mehr auf ihre Gesundheit geachtet.

Aktuell befinden wir uns in einem zweiten Lockdown, einer Art „Lockdown light“. Was können wir aus den Ergebnissen Ihrer Befragung lernen? Worauf kommt es an, damit die Menschen in dieser Situation mental gesund bleiben?

Dafür gibt es kein bestimmtes Rezept, auch deshalb, weil die Menschen und ihre Lebenssituationen sehr vielschichtig, differenziert und komplex sind. Unsere Befragung hat zunächst wichtige Erkenntnisse gebracht: Ein Lockdown hat Auswirkungen auf die Psyche der Menschen. Das müssen Politiker mitbedenken, wenn sie solche Entscheidungen treffen. Deshalb sollte es in einer solchen Phase breite Hilfsangebote geben. Darunter etwa präventive Angebote im Gesundheitsbereich, etwa Hotlines, wo man sich bei Einsamkeit hinwenden kann. Und dann hat unsere Studie noch die Gewissheit gebracht, dass der Stress in der Pandemie für alle zugenommen hat. Sich allein das klarzumachen, könnte vielen Menschen helfen, es ist ein gewisser Trost: Man ist nicht allein mit seinen Sorgen und Problemen.

Die NAKO-Gesundheitsstudie

Die NAKO-Gesundheitsstudie (kurz NAKO) ist die bundesweite Gesundheitsstudie, die 2014 gestartet ist. Ziel ist es, die Entstehung von Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Herzinfarkt und anderen besser zu verstehen, um Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung in Deutschland zu verbessern.

Die NAKO ist die einzige deutschlandweite Kohortenstudie, in der aktuelle Daten zur Gesundheit in Deutschland unmittelbar vor und zu Beginn der Coronavirus-Pandemie vorliegen. Bis zum Sommer 2019 wurden mehr als 205.000 Deutsche untersucht. Im Mai 2020 haben die Studienleiter bei den Probanden nachgefragt, wie sich ihr Gesundheitszustand in der Corona-Krise verändert hat. Die Ergebnisse der ersten 113.928 Teilnehmer wurden jetzt im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht.

Veröffentlichung im Ärzteblatt

Pressemitteilung der NAKO

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