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SARS-CoV-2

„Wenige Kilogramm reichen, um Millionen zu impfen“

Der Mediziner Ugur Sahin ist Geschäftsführer der Translationalen Onkologie an der Universitätsmedizin Mainz sowie Gründer und Vorstandschef von BioNTech (Biopharmaceutical New Technologies). Bild: BioNTech

Das Mainzer Biotechunternehmen BioNTech steht kurz vor der Zulassung eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus. Im Gespräch erklärt der Gründer und Vorstandschef Ugur Sahin, wie der Impfstoff funktioniert.

Wir haben bereits vor einigen Monaten mit Ugur Sahin gesprochen. Einige seiner Antworten beziehen sich auf die Situation Ende März diesen Jahres.

Auf der ganzen Welt suchen Forscher nach einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Sie setzen auf mRNA-Impfstoffe. Was ist das Besondere daran?

Bei der Entwicklung von Impfstoffen in einer Pandemiesituation gibt es drei große Herausforderungen: Zum einen müssen wir den Impfstoff zügig herstellen. Zweitens muss der Impfstoff klinisch getestet werden, um zu beweisen, dass er wirkt und auch sicher ist. Die dritte Herausforderung ist, den Impfstoff nach der Zulassung für Millionen Menschen in kurzer Zeit verfügbar zu machen. In allen drei Punkten hat ein mRNA-Impfstoff deutliche Vorteile. Man kann mRNA sehr schnell herstellen. Für die klinischen Tests ist es ein Vorteil, dass es ein reiner, biochemisch sehr gut charakterisierter, im Labor ohne tierische Zusätze hergestellter Stoff ist. Und wir benötigen nur geringe Mengen im Mikrogramm-Bereich. Das heißt wenige Kilogramm mRNA-Wirkstoff könnten ausreichen, um viele Millionen Menschen zu impfen.

Wie funktioniert das Prinzip?

Die mRNA (Messenger-RNA) kommt als natürliche Substanz in jeder Zelle vor und hat die Funktion, den genetischen Code vom Zellkern zu den Bereichen in Zellen zu transportieren, an denen die Proteine produziert werden. Dass diese Moleküle als Impfstoffe funktionieren, weiß man im Prinzip schon seit über 30 Jahren. Für die pharmazeutische Nutzung und Optimierung dieses Prinzips waren jedoch sehr viele wissenschaftliche und technologische Fortschritte notwendig. Das Wirkprinzip ist in vielen klinischen Studien bereits getestet und ausgereift. Es gibt bisher allerdings noch keinen zugelassenen Impfstoff auf mRNA Basis.

Man gibt also die mRNA eines Erregers in den menschlichen Körper und die Körperzellen produzieren das Protein, dass dann die Immunreaktion auslöst?

Genau. Im Fall von SARS-CoV-2 haben wir die RNA für das Protein, das der Virus nutzt, um an die Zellen anzudocken und die Aufnahme des Virus in die Zelle vermittelt – das sogenannte Spike-Protein – ins Visier genommen. Wir haben nun im Labor die mRNA dieses Proteins in verschiedenen Varianten erzeugt und getestet, ob sie als Impfstoff funktioniert. Mitte Januar haben wir das Projekt begonnen. Parallel zu den Experimenten haben wir uns an die Zulassungsbehörden – das Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland gewendet und unseren Entwicklungsplan abgestimmt. Seit einigen Wochen sind wir auch mit der chinesischen Arzneimittelbehörde sowie der Food and Drug Administration (FDA) in den USA – im Austausch. Ende April wollen wir eine klinische Studie in Deutschland beginnen, um den Impfstoff am Menschen zu testen.

Wenn man schon seit Jahren weiß, dass das Prinzip funktioniert – warum gibt es dann noch keine zugelassenen Impfstoffe auf mRNA-Basis?

Zulassungsstudien sind extrem teuer und können durch Biotechnologie-Unternehmen nicht allein gestemmt werden. Pharmaunternehmen sind auf die innovative Technologie erst seit einigen Jahren aufmerksam geworden. 

Nackte RNA wird im Köper schnell abgebaut. Wie schaffen sie es, dass die RNA im Körper in die Zellen aufgenommen wird?

Die RNA ist verpackt in Lipid-Nanopartikel von 60 bis 80 Nanometer Größe. Das sind kleine, kugelförmige Kapseln, die mit der Zellmembran verschmelzen. So gelangt die RNA in die Zelle. Dort wird sie dann wie jede mRNA von der Zellmaschinerie in Protein übersetzt. Die Körperzellen bilden also das Antigen. Die fremde RNA selber hat darüber hinaus aber auch eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem.

Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Immunantwort zu stark oder zu schwach ist?

Das ist natürlich ganz entscheidend und war eine der Schwerpunkte unserer Forschung in den letzten 10 Jahren. Die RNA muss so beschaffen sein, dass sie auch dann, wenn sie in geringen Mengen in den Körper gelangt, in ausreichender Menge in Protein übersetzt wird. Diese Forschung zahlt sich jetzt aus. Wir benötigen nur noch millionstel Gramm mRNA, um die gewünschte Wirkung zu erreichen. Und das ist jetzt besonders wichtig, da wir sehr schnell für viele Menschen einen Impfstoff benötigen.

Herausforderung Nummer 2 ist die klinische Prüfung. Sie ist notwendig, um die Wirkung und die Sicherheit des Impfstoffes sicherzustellen. Da hört man oft, dass es vor 2021 nicht klappen wird.

Die Frage ist nicht, ob wir den Prozess beschleunigen können, sondern wie. Und wenn man sich mit den Experten und den Behörden zusammensetzt, dann findet man immer einen Weg. Es ist auch nicht das erste Mal in der Medizingeschichte, dass Substanzen dringend benötigt und im Eilverfahren zugelassen werden. Die Arzneimittel-Zulassungsgesetze sind so konstruiert, dass potentielle Risiken und Nutzen abgewogen werden und Risiken durch passende Maßnahmen abgemildert werden. Ein Arzneimittel wird zugelassen, wenn der Nutzen gegenüber dem Risiko überwiegt. Der Nutzen eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 kann gewaltig sein. Entsprechend muss man eine der Situation angemessene Risiko-Nutzen-Analyse durchführen.

Haben Sie in Ihren Gesprächen mit den Behörden den Eindruck, dass das geschieht?

Eindeutig ja. Es geht aber auch nicht ganz ohne den Gesetzgeber. Der muss den Behörden den Spielraum zugestehen. Ansonsten können die sich nicht bewegen.

Wie lässt sich der Prozess ganz praktisch beschleunigen?

Wir versuchen zum einen, die präklinische Phase – also alles, was vor den Tests an Menschen geschieht – zu beschleunigen. Wir können auch in Tiermodellen schon viele Daten zur Verträglichkeit und Wirksamkeit zu bekommen. Die geplanten klinischen Studien werden uns Informationen über die Verträglichkeit und Aktivität des Impfstoffs geben. Wir können mit geeigneten Verfahren prüfen, ob geimpfte Personen Antikörper bilden, die das SARS-CoV-2 Virus inaktivieren. Es geht also um ein schlüssiges Datenpaket. Bei einer Zulassung gehe ich davon aus, dass der Impfstoff nicht sofort für alle zugelassen wird, sondern zunächst für bestimmte Risikogruppen wie medizinisches Personal oder ältere Menschen mit Vorerkrankungen.

Insgesamt gibt es um die 50 Projekte weltweit, die versuchen, einen Impfstoff zu entwickeln. Glauben Sie, dass es am Ende mehrere verschiedene Präparate auf den Markt schaffen werden?

Es werden sich eine Handvoll durchsetzen. Es wird sicher nicht nur einer sein. Die RNA-Impfstoffe könnten unter den ersten sein, dann Impfstoffe, die auf konventionellen Plattformen beruhen. Die größte Unbekannte ist im Moment die Frage, wie schnell sich das Virus ausbreitet, und ob der Schutz der Bevölkerung durch entsprechende Maßnahmen, wie wir sie im Moment erleben, weiter im Vordergrund steht.

Was glauben Sie, wie es in dieser Hinsicht weitergehen wird?

Ich sehe zwei mögliche Szenarien. Das eine ist, dass die Pandemie schnell voranschreitet und wir in relativ kurzer Zeit eine sehr hohe Infektionsrate der Bevölkerung sehen werden. Dann werden Impfstoffe natürlich auch nur noch diejenigen nutzen, die noch nicht infiziert sind. Die zweite Variante ist, dass es gelingt, die Verbreitung solange zu verlangsamen bis Impfstoffe verfügbar sind. Dann kann ein großer Teil von einer Impfung profitieren.

Die dramatische Entwicklung in den letzten Wochen hat sicher auch bei Ihnen und Ihrer Firma für große Turbulenzen gesorgt?

Allerdings. Wir haben die Situation aber schon im Januar ganz gut eingeschätzt. Die Ausbreitung in China hat schnell gezeigt, dass die Virusausbreitung nicht mehr lokal zu halten ist. Außerdem wussten wir, dass es für dieses Virus keine Basisimmunität gibt. Wir haben dann ein Vier-Stufen-Programm gestartet und losgelegt. Wir sind jetzt beim Übergang von Stufe 3 zu 4. Viele unserer Mitarbeiter haben in den letzten Wochen auch an Wochenenden gearbeitet und sich gegenseitig koordiniert, so dass das Projekt ohne Unterbrechung umgesetzt werden konnte. Wir erleben auch eine unglaubliche Unterstützung im Umfeld der Firma. Wir versuchen aber selbstverständlich, die soziale Distanz zu wahren. Viele koordinieren die Arbeiten von zu Hause. In einem Labor sind nicht mehr als ein bis zwei Personen gleichzeitig aktiv. Die Büroplätze sind ohnehin getrennt.  Dennoch treiben wir das Projekt mit aller Kraft voran. Es ist uns allen, die daran arbeiten wichtig, dass man rechtzeitig helfen kann.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

Wir haben bereits vor einigen Monaten mit Ugur Sahin gesprochen. Einige seiner Antworten beziehen sich auf die Situation Ende März diesen Jahres.

Der Mediziner Ugur Sahin ist Gründer der Translationalen Onkologie (TRON) an der Universitätsmedizin Mainz sowie Gründer und Vorstandschef von BioNTech (Biopharmaceutical New Technologies). Das Mainzer Biotechnologie-Unternehmen hat sich auf die Entwicklung und Herstellung von Immuntherapien zur Behandlung von Krebs, Infektionskrankheiten und anderen schweren Erkrankungen spezialisiert. Im Helmholtz-Institut "HI-TRON" kooperiert das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) mit dem Forschungsinstitut für Translationale Onkologie. 

Am 9. November haben Biontech und Pfizer Ergebnisse einer für die Zulassung entscheidenden Studie veröffentlicht. Demnach bietet ihr Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. Die Unternehmen wollen nun zunächst die Zulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragen.

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