Welche Rolle spielen Antikörper bei der Behandlung?
Antikörper könnten eine wichtige Waffe im Kampf gegen eine SARS-CoV-2-Infektion werden. Doch noch ist keine Therapie offiziell zugelassen.
Die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen das Coronavirus beschäftigt seit Monaten weltweit unzählige wissenschaftliche Experten in Kliniken, Labors und Unternehmen. Während eine Impfung das Immunsystem dazu anregt, Gedächtniszellen und Antikörper gegen das Virus zu produzieren, gibt es auch die Möglichkeit, Patienten Antikörper zu verabreichen, die entweder im Reagenzglas erzeugt oder aus dem Blut anderer Patienten isoliert wurden. Auch die fremden Antikörper erfüllen ihre Funktion und helfen dem Immunsystem, das Virus zu eliminieren. Sie wirken sofort, jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum. Neutralisierende Antikörper, die dabei eingesetzt werden, sind seit Mitte der 1970er-Jahre bekannt, 1984 gab es für die Erforschung den Medizin-Nobelpreis. Mittlerweile werden die teuren sogenannten Biologika gegen viele Krankheiten eingesetzt.
Forscher in aller Welt arbeiten daran, Antikörper gegen SARS-CoV-2 zu isolieren oder herzustellen. Doch bislang werden sie nur experimentell zur Behandlung von Patienten eingesetzt. Ein prominentes Beispiel ist Donald Trump. Der US-Präsident bekam nach seiner Infektion einen Antikörper-Cocktail des Biotechnologie-Unternehmen Regeneron. Am Tag danach schwärmte er, wie „großartig“ er sich fühlte – und versprach allen US-Amerikanern eine kostenlose Verteilung des Passivimpfstoffs REGN-COV2. Welche Rolle die Antikörper bei seiner Genesung spielten, lässt sich natürlich nicht sagen. Studien, die diese Therapieform mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen, laufen noch. Zwischenergebnisse deuten darauf hin, dass die Antikörper bei Patineten mit fortgeschrittener Erkrankung keine schneller Erholung bewirken. Regeneron passte die laufenden Studien aufgrund dieser Zwischenergebnisse an und testet nun vor allem die Wirkung in einer frühen Erkankungsphase.
Vor- und Nachteile einer passiven Impfung
Eine Passivimpfung ist aus mehreren Gründen kein Ersatz für den selbst aufgebauten Immunschutz. „Da die Antikörper im Körper nach und nach abgebaut werden, besteht nur für etwa vier bis zwölf Wochen eine Immunität“, erklärt Harald Prüß, Forschungsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und Oberarzt an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie an der Charité. Nach einer aktiven Immunisierung bleibt der menschliche Organismus im besten Fall ein Leben lang immun. Die Passivvakzine ist zudem in der Herstellung deutlich teurer.
Andererseits hat eine passive Impfung einige Vorteile: Während eine Aktivimpfung möglichst viele Gesunde vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützen soll, ist eine schnell wirksame Passivimpfung vor allem für die Behandlung von Risikopatienten hilfreich, die sich nach Kontakt mit Infizierten mutmaßlich frisch infiziert haben. Auch für immungeschwächte Kranke etwa mit Krebs- oder Autoimmunerkrankungen kommt sie infrage. „Es wäre ideal, wenn es beide Impfungen gäbe. Dann könnten wir auf jede Situation flexibel reagieren“, sagt Harald Prüß.
Forschende legen den Grundstein für eine Passivimpfung
Zusammen mit seinem Team vom DZNE und der Charité – Universitätsmedizin Berlin veröffentlichte der Oberarzt jüngst vielversprechende Ergebnisse für eine Passivimpfung. Aus dem Blut von Menschen, die eine COVID-19-Erkrankung überstanden hatten, isolierten die Forscher zunächst fast 600 verschiedene Antikörper. Durch Labortests konnten sie diese Zahl auf einige hochwirksame Exemplare eingrenzen und diese dann mittels Zellkulturen – quasi in der Petrischale – künstlich nachbilden. „Drei der 600 identifizierten Antikörper sind für eine klinische Entwicklung besonders vielversprechend“, so Prüß. „Mittels Strukturanalysen haben wir gezeigt, dass diese Antikörper an das Virus binden und so verhindern, dass es in Zellen eindringen und sich vermehren kann.“ Die Antikörper neutralisieren das Virus sehr effektiv, das Immunsystem beseitigt die Erreger. Untersuchungen an Hamstern – die ähnlich wie Menschen anfällig für eine Infektion mit SARS-CoV-2 sind – belegen die hohe Wirksamkeit der ausgewählten Antikörper.
Die Chance auf eine sichere Impfung ohne Nebenwirkungen ist dem Neurologen zufolge sehr hoch. „Denn wir haben die Antikörper nicht aus Plasma von infizierten Spendern gewonnen, sondern aus Antikörper-produzierenden B-Immunzellen, die im Blut schwimmen“, erklärt Prüß. Durch Ablesen deren genetischen Bauplans konnten sie dann im Labor diese Antikörper gentechnisch nachbauen. „So lassen sich maßgeschneiderte Antikörper in industriellem Maßstab in gleichbleibend hoher Qualität und theoretisch beliebiger Menge produzieren, und der Körper stößt die identischen, humanen Antikörper nicht als fremd ab“, weiß der Oberarzt. Im nächsten Schritt arbeitet der Industriepartner Miltenyi Biotec daran, die Antikörper effektiv gemäß den strengen Zulassungskriterien in großen Mengen herzustellen. „Wir rechnen noch in diesem Jahr mit ersten Produktionszelllinien“, sagt Prüß. „Mit einem Wirkstoff, der in Phase I- und II-Studien getestet wird, kalkulieren wir im nächsten Frühjahr.“
Mögliche Nebenwirkungen der Antikörpertherapie
Im Rahmen ihrer Untersuchungen machten die Wissenschaftler jedoch eine weitere Entdeckung: „Einige Antikörper binden im Körper noch gegen andere Strukturen wie zum Beispiel im Gehirn, Herzmuskel und an Gefäße“, weiß Prüß. Der Beweis steht noch aus, dass diese sogenannte Kreuzreaktivität schadet und zum Beispiel chronische Entzündungen auslöst. doch die Beobachtung passt ins Bild, das sich von COVID-19 abzeichnet. Verläuft eine Infektion schwer, ist am Ende das überschießende Immunsystem das Problem und nicht mehr das Virus selbst. Die Forscher untersuchen die kreuzreaktiven Antikörper deshalb intensiv weiter. Von der Entwicklung einer passiven Impfung wurden diese Antikörper ausgeschlossen.
„Bestätigt sich unser Verdacht, wäre das spektakulär und fatal zugleich“, sagt Prüß. Denn das würde zwar einerseits erklären, warum zahlreiche COVID-19-Patienten bisher ungeklärte, neurologische Folgen wie Gesichtszuckungen, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen oder epileptische Anfälle haben. „Andererseits hieße es, dass auch von aktiven Impfstoffen diese potentielle Gefahr ausgehen könnte. Das müsste bei der Impfstoffentwicklung natürlich berücksichtigt werden. Insofern könnten unsere Befunde dazu beitragen, Impfstoffe noch sicherer zu machen.“
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