JUnQ - Ungelöste Fragen
Welche Maria betet richtig?
Wie man beim Beten die Hände hält, ist eigentlich egal. Oder doch nicht? Der Psychologe Wolter Seuntjens über eine unerwartete Entdeckung und eine offene Frage. Ein Beitrag aus dem Journal of Unsolved Questions (JUnQ).
Die Christen beten etwa seit dem Jahr 1000 bevorzugt mit gefalteten Händen. Dabei lassen sich die Hände auf unterschiedliche Weise falten: symmetrisch oder nicht symmetrisch – also entweder mit den Handflächen aufeinander oder mit ineinander verschränkten Fingern. Naiv könnte man denken, dass Künstler in ihren Skulpturen und Gemälden die gefalteten Hände zufällig symmetrisch oder nicht symmetrisch abbilden. Bei der Jungfrau Maria und Maria Magdalena jedoch ist kein Zufall am Werk.
Ohne Zweifel ist die Jungfrau Maria die am meisten abgebildete Frau in der Kunstgeschichte, Maria Magdalena belegt den guten zweiten Platz. Ausreichend Material also für eine empirische Studie. Kunsthistoriker haben die Ikonografien der beiden Heiligen bestens studiert, aber eine Besonderheit blieb dabei lange verborgen: Die Jungfrau Maria betet auf 72,3 Prozent von 801 betrachteten Bildern mit symmetrischer Handhaltung, während Maria Magdalena auf 70,3 Prozent von 290 untersuchten Bildern nicht symmetrisch betend abgebildet ist. Die Signifikanz ist bei zusammengenommen 1091 Objekten so groß, dass Forscher vieler wissenschaftlicher Bereiche davon nur träumen können.
Die unzähligen Abbildungen der Jungfrau Maria und der Maria Magdalena lassen sich verschiedenen Themenbereichen zuteilen oder auch den drei Zeitabschnitten Prä-Passion, Passion und Post-Passion. Betrachtet man die Themen und Zeitabschnitte einzeln, wird die Signifikanz noch einmal größer: So betet die Jungfrau zum Beispiel in Abbildungen mit dem Thema Mariä Himmelfahrt ausnahmslos symmetrisch, Maria Magdalena in Abbildungen aus dem Zeitabschnitt Passion zu 85,9 Prozent nicht symmetrisch.
Offen bleibt die Frage, warum die Jungfrau Maria meist mit symmetrischer Handhaltung abgebildet wird, Maria Magdalena dagegen vorwiegend mit nicht symmetrisch gefalteten Händen. Eine mögliche Erklärung liefert die Tradition: Die Jungfrau Maria ist das Symbol der Perfektion, Maria Magdalena dagegen ist eine Frau mit Vergangenheit. Die symmetrische Handhaltung drückt diese Perfektion aus und passt somit zur Jungfrau. Die nicht symmetrische Haltung ist imperfekt, bewegt, emotional und charakterisiert dadurch Maria Magdalena. So plausibel das klingt – es ist nur eine Vermutung. Weitere Hypothesen sind jederzeit willkommen.
Weitere ungelöste Fragen: www.junq.info
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