Pandemiebewältigung
Was leistet die Corona-Warn-App?
Die Corona-Warn-App ist mittlerweile seit mehr als einem halben Jahr erhältlich. Welchen Beitrag leistet sie zur Eindämmung der Pandemie und welche neuen Funktionen sind geplant?
Deutschland steckt tief in der zweiten Welle der Pandemie. Die Corona-Warn-App soll dabei helfen, die Verbreitung des Virus einzudämmen und Infektionsketten schneller zu unterbrechen. Die Anwendung soll Menschen frühzeitig warnen, wenn sie Kontakt mit einer erkrankten Person hatten und ihnen so die Möglichkeit geben, sich selbst rechtzeitig zu isolieren. Mittlerweile ist die App seit mehr als einem halben Jahr verfügbar. Wie wird sie genutzt, welche Neuerungen sind geplant und welche Rolle spielt sie bei der Pandemiebewältigung?
25 Millionen Installationen
Mehr als 25 Millionen Menschen haben die App bisher auf ihrem Smartphone installiert, auch wenn nicht alle von ihnen sie auch aktiv nutzen. Bisher haben mehr als 220.000 positiv getestete Menschen ein Testresultat über die App weitergegeben, um andere Nutzer zu warnen. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts schwankt der Prozentsatz der Personen, die ihr Testresultat geteilt haben, bezogen auf die Zahl der Gesamtinfektionen momentan zwischen 10 und 15 Prozent. Die App kann auch als ein Tool genutzt werden, mit dem die Testergebnisse an Einzelpersonen übermittelt werden. Insgesamt wurde sie in fast 8 Millionen Fällen zu diesem Zweck genutzt.
Es ist nicht ganz leicht, den Erfolg der App auf der Grundlage dieser Zahlen zu bewerten. Wenn die Meldung einer Infektion nicht zu spät erfolgt, hilft sie, die Kontakte einer infizierten Person in der kritischen Phase, in der eine Ansteckung möglich ist, zu informieren. Diese Personen können sich dann testen lassen oder ihre eigenen Kontakte reduzieren. Die Frage, in welchem Umfang die Corona-Warn-App Infektionen tatsächlich verhindert, ist schwerer zu beantworten. Sicher ist: Je mehr Menschen die App nutzen, umso größer ist der Beitrag, den sie zur Eindämmung leisten kann.
Die Umsetzung der App respektiert die Privatsphäre ihrer Nutzer so effektiv, dass eine Bewertung des Erfolges auf Basis der App-Daten allein zunächst nicht möglich ist. Das hat jedoch den Vorteil, dass die App von mehr Menschen genutzt wird, sagt Cas Cremers vom CISPA-Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit: „Die Effektivität einer solchen App hängt zunächst einmal davon ab, wie groß der Teil der Bevölkerung ist, der sie nutzt. Die höchste Priorität dabei, eine solche App besonders effektiv zu machen, sollte also darin liegen, die Anzahl der Menschen zu erhöhen, die der Anwendung vertrauen.“ Das CISPA wurde von der Bundesregierung gebeten, SAP und Telekom bei der Entwicklung der App in Hinblick auf Datenschutz und IT-Sicherheit wissenschaftlich zu unterstützen. Cas Cremers war intensiv an der konzeptionellen Entwicklung der zugrundeliegenden digitalen Kontaktverfolgung beteiligt.
Ein entscheidendes Glied in der Kette zwischen positivem Test und verhinderter weiterer Neuinfektionen ist der App-Nutzer selbst. Selbst wenn ein Nutzer sich entscheidet, sein positives Testresultat mittels der App an andere weiterzugeben, heißt das noch lange nicht, dass sich die Empfänger der daraus resultierenden Warnungen freiwillig in Quarantäne begeben. Zwar gibt es Untersuchungen aus der Schweiz, die nahelegen, dass die Kontaktverfolgung per App ähnlich gut funktioniert wie die klassische Kontaktverfolgung durch Gesundheitsämter. Diese können im Gegensatz zur App allerdings eine Quarantäne der Betroffenen verbindlich anordnen. Es gibt auch keine Daten dazu, wie viele der Nutzer, die sich auf Warnung der Corona-Warn-App selbst isolieren, tatsächlich infektiös werden. Erschwerend kommt hinzu, dass weiterhin sehr schwer zu bestimmen ist, wie sich SARS-CoV-2 in Alltagssituationen verbreitet. Auch lässt sich kaum verlässlich ermitteln, wie hoch die Dunkelziffer an nicht gemeldeten Infektionen wirklich ist.
Grenzübergreifender Datenaustausch
Nach ihrer Veröffentlichung im Sommer wurde die Corona-Warn-App regelmäßig verbessert und mit neuen Funktionen ausgestattet. So können nun etwa Kontakte grenzübergreifend verfolgt werden. Aktuell funktioniert der Datenaustausch mit den Apps aus Belgien, Dänemark, Finnland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, den Niederlanden, Polen, Spanien und Zypern. Eine Integration mit der App-Infrastruktur in der Tschechischen Republik, in Österreich und in der Schweiz ist geplant.
Dass die App grenzübergreifend mit ähnlichen Diensten anderer Länder funktioniert, hat länger gedauert als sich viele Fachleute erhofft haben. Weitere wichtige EU-Länder fehlen nach wie vor auf der Liste. Das erklärt CISPA-Experte Cas Cremers wie folgt: „Die Verzögerungen kommen vor allem durch grundsätzliche europäische Prozesse zustande, wenn es darum geht, solche Verträge auszuhandeln und sich über die technischen Voraussetzungen zu einigen.“ Er vergleicht das mit Eisenbahn-Gleisen. „Die Kerndaten dieser Apps sind zwar kompatibel, drum herum müssen aber viele andere Aspekte beachtet werden. Obwohl alle Gleise in Europa die gleiche Spurweite haben, fahren wir ja auch europaweit nicht einfach überall mit deutschen Zügen.“
Kontakttagebuch und Event-Check-In
Mit einem Update im Dezember erhielten die Nutzer der Corona-Warn-App nun auch die Möglichkeit, in der App ein Kontakttagebuch zu führen. Das ist natürlich komplett freiwillig und soll die Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung unterstützen. Einige Experten hatten im Vorfeld das Führen eines solchen Tagebuchs empfohlen. Wer sein Kontakttagebuch in der App anlegt, hat den Vorteil, dass er Personen und Orte, die oft besucht werden, wiederverwenden kann. Außerdem speichert die App die Einträge nur lokal und löscht sie automatisch nach 16 Tagen, was eine datenschutzkonforme Speicherung einfach macht.
Für die kommenden Monate sind weitere Updates und neue Funktionen geplant. Eine Begegnungshistorie soll dafür sorgen, bei Begegnungen mit niedrigem Risiko Informationen zum Zeitpunkt der Begegnung hinterlegen zu können. Die Diskussionen dazu sind noch nicht abgeschlossen. In einem der nächsten Updates wird eine Befragung integriert, die sich an die Nutzerinnen und Nutzer wendet, die eine rote Statusanzeige erhalten haben. Es soll u.a. erforscht werden, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die eine rote Statusanzeige erhalten haben und darauffolgend selbst positiv getestet wurden. Damit sollen das Robert-Koch-Institut und die Gesundheitsämter in die Lage versetzt werden, die Effektivität der App und die Verbreitung von SARS-CoV-2 in der Öffentlichkeit besser einzuschätzen. Außerdem soll die Corona-Warn-App in den kommenden Wochen auch für Smartphones mit älteren Betriebssystemen verfügbar sein.
Die Entwickler wollen die App mit diesen Änderungen wohl auch interaktiver machen. CISPA-Forscher Cas Cremers sieht grundsätzlich zwei verschiedene Nutzertypen: „Ich persönlich wünsche mir, dass die App mich in Ruhe lässt, bis eine Warnung angebracht ist. Das funktioniert momentan gut und ich kenne viele Leute, die die App genauso nutzen. Aber es gibt auch Menschen, die wollen, dass die App zeigt, dass etwas passiert, weil sie sie ansonsten wieder deinstallieren. Diese Nutzer würden sich mit mehr Interaktion wohler fühlen.“
Auch darüber hinaus prüfen die Projektbeteiligten laufend, wie die App nach den Grundprinzipien der Freiwilligkeit und des Datenschutzes weiterentwickelt werden kann. Auch über die Möglichkeit, sich bei Veranstaltungen und Meetings anonym registrieren zu können, wird nachgedacht. In welcher Form steht noch nicht fest. Die Schweizer Warn-App hat ein entsprechendes Konzept aus der Open-Source-Gemeinde bereits umgesetzt. Nach dem Ende des Lockdowns könnte eine solche Funktion helfen, das gesellschaftliche Leben wieder ein Stück weit zu normalisieren und die Verbreitung des Virus trotzdem weiter einzuschränken.
Interview mit CISPA-Forscherin Ninja Marnau zur Sicherheit der Corona-Warn-App
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